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Berlin: Die Verwaltung soll erfahren, wie teuer Bürokratie ist

Mit dem Standard-Kosten-Modell könnten Unternehmen entlastet werden / Andere Länder machen es vor – Berlin hinkt noch hinterher

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Was kostet Bürokratie? In Brandenburg weiß man, dass die Güteprüfung für Milcherzeugnisse die Agrarunternehmen jährlich 607 000 Euro kostet. Die Erteilung von Sondergenehmigungen nach dem Straßengesetz schlägt mit 952 000 Euro zu Buche, und die gesetzlich vorgeschriebene Statistik über Feuerbestattungen belastet die Krematorien mit 314 000 Euro pro Jahr. Das gesamte Landesrecht wurde in Brandenburg im Frühjahr in bares Geld umgerechnet, der Bund und fünf weitere Länder ziehen nach. Das Ziel: teure Verwaltungsakte herauszufinden, die die Privatwirtschaft unnötig belasten. Berlin trödelt noch hinterher.

Bisher haben SPD und Linkspartei im Koalitionsvertrag nur angekündigt, dass sie das „Standard-Kosten-Modell“, das in den Niederlanden schon 1993 entwickelt wurde, nach Berlin übernehmen wollen, um die „tatsächlichen Bürokratiekosten in den Unternehmen transparent zu machen“. Immerhin gab es ein Pilotprojekt. Dabei wurde gemessen, wie teuer es ist, beim Bezirksamt eine Gaststättenerlaubnis zu beantragen. Mit einem „Quick Scan“ wurde ermittelt, dass es durchschnittlich 237 Minuten dauert, um den Antrag zu verstehen, auszufüllen und die notwendigen Unterlagen zusammenzustellen. Hinzu kommen An- und Abfahrtszeiten, Wartefristen und Gebühren, etwa für ein polizeiliches Führungszeugnis. Später müssen die Arbeitnehmer beim Arbeitsamt angemeldet, eventuell die Erlaubnis für einen Schankvorgarten oder die behördliche Genehmigung für Umbauten beantragt werden.

Der gesamte Aufwand für Genehmigungsverfahren, Statistiken, Berichterstattungspflichten, Prüfungen, Inspektionen usw. fließt in die Betriebskosten der betroffenen Unternehmen ein. Davon weiß die öffentliche Verwaltung, die diese Kosten verursacht, normalerweise nichts. Mit dem Standard-Kosten-Modell soll das geändert werden. In den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Großbritannien wird es längst flächendeckend verwendet. Unsere holländischen Nachbarn haben errechnet, dass die landesweite Bürokratie die Unternehmen 2002 mit 16,4 Milliarden Euro belastete. Das waren 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis 2007 werden diese Kosten um 4,1 Milliarden Euro verringert. Das funktioniert nur, wenn man weiß, welche Gesetze und Verordnungen besonders aufwendig oder ineffizient – und damit für die Wirtschaft teuer sind.

Die Rechnung ist einfach und erprobt: Die Zahl der meldepflichtigen Vorgänge wird mit der Bearbeitungsdauer und dem Stundensatz multipliziert. Brandenburger Unternehmen kamen so auf jährliche Bürokratiekosten von 15 Millionen Euro. In Berlin geht der Senat – trotz des offensichtlichen Erfolgs – recht zurückhaltend an das Modell heran. Erst im Februar 2006 hatten die Staatssekretäre der Senatsverwaltungen auf einer Klausurtagung eine Erprobung des Standard-Kosten-Modells und den „möglichen Einsatz“ empfohlen. Jetzt wird es im Koalitionsvertrag angekündigt. Und ein Gutachten zur „Vollzugskritik in ausgewählten Bereichen der Berliner Verwaltung“, das die Finanzverwaltung in Auftrag gab, fordert den „gezielten Einsatz dort, wo hohe Bürokratisierungskosten zu vermuten sind“. Erfahrungsgemäß rühre ein erheblicher Teil der Ausgabenlasten aus einer sehr geringen Zahl von Einzelvorschriften.

Dazu gehört zweifellos das Baurecht. Deshalb haben Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Saarland, unterstützt von der Bertelsmann-Stiftung, die Bürokratiekosten ihrer Landesbauordnungen erkundet. Berlin nahm an dem Gemeinschaftsprojekt nicht teil und die Senatsverwaltung für Finanzen, federführend bei der Verwaltungsreform, konnte zum weiteren Fortgang der Dinge gestern nichts sagen. Der Einwand, dass 90 Prozent der Bürokratiekosten auf nationaler Ebene entstehen, kann die passive Haltung Berlins nur teilweise entschuldigen. Im Bundeskanzleramt arbeitet seit September ein hochrangig besetzter Normenkontrollrat am Problem. „Landesgesetze, die der Wirtschaft zusätzliche Kosten verursachen, könnten problemlos identifiziert und einbezogen werden“, steht in einem Papier der Bertelsmann-Stiftung.

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