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Berlin: Die Wahl als Qual

Auf der Suche nach der geeigneten Grundschule – der Erfahrungsbericht einer Mutter

Das Schwierigste am Elternsein sind die Entscheidungen. Hausgeburt oder Klinik? Tagesmutter oder Kita? Und dann: die Suche nach der richtigen Grundschule. Unsere 16 Vorschüler aus Niederschönhausen wären gern zumindest in Grüppchen zusammengeblieben. Daraus wurde nichts. Seit August verteilen sie sich auf zehn Grundschulen. Darunter sind evangelische und katholische, eine im Märkischen Viertel und eine in Lichtenberg. Und bis es so weit war, sind die Eltern gut 40 Wochen lang auf einer Odyssee gewesen.

Immerhin – manche Entscheidung fällt eine höhere Macht. Neun der Vorschuleltern träumten nicht von der ihnen vom Bezirk zugewiesenen Schule, sondern von der Evangelischen Schule in Pankow. Dort besuchten sie Vereinssitzungen, zahlten Beiträge, dachten, putzten oder engagierten sich sonst wie für die Insel der Seligen – und scheiterten am Ende an der Auswahlkommission. Nur zwei Geschwisterkinder haben es geschafft, zwei weitere punkteten bei der katholischen Konkurrenz im Märkischen Viertel. Die Eltern der anderen schliefen schlecht. Dummerweise träumte niemand von der großen, im Verfall begriffenen, muffigen Verwahranstalt, von der gesagt wurde, sie habe eine schlechte Führung, immerhin aber eine großartige Sekretärin. Und so beantragten vier Eltern eine andere öffentliche Schule als die, der sie qua Wohnort zugehörten. Drei wurden abgewiesen, legten Widerspruch ein.

Diese drei entwickelten manische Züge. Und hofften: Immerhin hatte die Verwahranstalt für die künftigen Erstklässler einen Shooting-Star als Lehrer im Angebot: Mann! Jung! Vater! Engagiert! Kommunikativ! Geht doch, dachten sie, schämten sich ihrer Vorurteile und begannen sich zaghaft zu freuen auf die gemeinsame Schulzeit ihrer Kinder – bis das Bezirksamt ihrem Widerspruch Ende Juni stattgab und eine Alternative bot in einer ebenfalls im Verfall begriffenen Einrichtung mit weniger schlechter Führung und deutlich besserem Ruf. Was tun? Hektische Recherchen ergaben: Der engagierte junge Vater an der unbeliebten Schule macht Kinder vielleicht glücklicher als der gefühlskalte Lehrkörper an der Anstalt besseren Rufs. Links oder rechts? Die Eltern wälzten sich im Schlaf – und fieberten dem noch ausstehenden Elternabend der wenig beliebten Schule entgegen, bereit, sich von Vorurteilen zu lösen. Heiter waren sie, fast gelöst: Jetzt fällt die Entscheidung! Und betrachteten neugierig den Junglehrer. Nett sah der aus, sehr viel netter als die Dame neben ihm, von der man glaubte, sie schon mal auf dem Rummel als Kartenabreißerin gesehen zu haben.

Der ältere Herr, der sich nicht vorstellte, aber im Laufe des Abends als Schulleiter entpuppte, eröffnete die Kaffeefahrt-ähnliche Veranstaltung. Religions- und Lebenskundelehrer warben aufs Gewinnendste, ebenso die Vertreter zweier externer Sprachschulen und einer Musikschule. Sehr schön, aber wer sind jetzt die Klassenlehrer? Auf die ungehaltene Bitte eines Vaters, zum Wesentlichen zu kommen, stellt der Rektor die Kartenabreißerin vor, die sich kurz erhebt, den Kopf neigt und wieder Platz nimmt.

Der nette junge Mann neben ihr bekommt keine Klasse – weil viele Kinder abgewandert sind, werden statt drei nur zwei Klassen eingerichtet. Die andere erste Klasse übernimmt eine ältere Dame, die sich an diesem Abend aus unbekannten Gründen entschuldigen lässt. Im letzten Jahr übrigens war die Klasse der Kartenabreißerin aufgelöst worden, weil einige Familien nach dem Elternabend um eine andere Schule zu kämpfen begannen – warum auch immer. Manche Fragen klären sich von ganz allein. So ist es den drei Eltern, die Widerspruch eingelegt hatten, doch noch gelungen, ihre Kinder an der Schule mit dem deutlich besseren Ruf als jener vom Bezirksamt zugewiesenen unterzubringen.

Die 16 Vorschul-Eltern sind erleichtert, für die nächsten drei Jahre liegt der Weg jetzt klar vor ihnen. Dann müssen sie sich wieder Gedanken machen. Vier oder sechs Jahre Grundschule? Bleiben oder gehen? Und wohin?

Tanja Samrotzki

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