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Berlin: Die wilden Jahre sind vorbei

Mick Rock hat sie in den Siebzigern alle fotografiert: Mick Jagger, David Bowie, Freddy Mercury, Lou Reed, Iggy Pop. Aus seinen Aufnahmen ist jetzt ein Buch entstanden – und ein Teil der Arbeiten ist in einer Ausstellung zu sehen

Manchmal bedarf es keiner großen Anstrengung, um berühmt zu werden. Manchmal muss man einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Im Sommer 1972 war der richtige Ort eine Konzerthalle in Oxford, England. Sie war ausverkauft, weil ein gewisser David Bowie spielte, ein Mann, der damals noch nicht sonderlich bekannt war, mit seinen seltsamen Konzerten aber zunehmend mehr junge Leute für sich begeisterte. Jedenfalls stand dieser David Bowie an diesem Abend vor seinem Mikrofon, machte wilde Gesten und Posen, sein drahtiger Körper steckte in einem glänzenden Kostüm, seine Augen waren schwarz umrandet, die Fingernägel lackiert. Metrosexuell würde man so etwas heute nennen, doch diesen Begriff gab es damals noch nicht, und eigentlich spielt es auch keine Rolle, denn das, was sich da auf der Bühne ereignete, war viel größer, viel mehr als nur eine kurze Modeerscheinung. Es ging um das Experiment, um die Kunst, die Rebellion: Es ging darum, den Rock’n’Roll zu retten – oder ihn zumindest neu zu erfinden.

Die Show lief bereits eine ganze Weile, und Bowie, der sich damals gerade als Kunstfigur Ziggy Stardust neu erfunden hatte, lief zu Hochform auf. In der Ekstase des Augenblicks ging er vor seinem Gitarristen Mick Ronson in die Knie, zog ihn eng an sich und übernahm das Saitenspiel, mit den Zähnen zupfend. Die anwesenden Besucher starrten ungläubig, einige grinsten. Genau in diesem Augenblick drückte Mick Rock, der am hinteren Bühnenrand stand, auf den Auslöser seiner Kamera und machte das Bild, das sein Leben von Grund auf veränderte.

„Danach war ich der Mann, der Ziggy Stardust geschossen hatte“, erzählt Mick Rock trocken und emotionslos über diesen Schnappschuss, der jetzt in dem Bildband „Blood & Glitter“ (Schwarzkopf und Schwarzkopf) neben so vielen anderen abgedruckt ist. Dabei hielt ihn dieses Motiv nicht nur in jener Nacht wach, weil Bowie ihn sofort um Abzüge gebeten hatte. Das Foto wurde in etlichen Musikmagazinen veröffentlicht, es ging um die Welt und machte den Briten Rock, der bis dahin nur gelegentlich als Hobbyfotograf in Erscheinung trat, fast so berühmt wie den Mann, den es zeigte. In der darauf folgenden Zeit wich Rock David Bowie nicht mehr von der Seite, er wurde zu dessen Hoffotografen und Freund.

Über 30 Jahre ist das mittlerweile her, doch wenn Mick Rock gedankenverloren in seinem Bildband blättert, sich seine Fotos ansieht, manchmal schmunzelt, manchmal ungläubig den Kopf schüttelt, hat man den Eindruck, als käme es ihm, der inzwischen als Starfotograf gilt, noch gar nicht so lange vor. Rocks Fotografien erzählen Geschichten aus einer Zeit, die vielleicht schon länger der Vergangenheit angehört, als es sich der Brite eingesteht. Die Fotos zeigen Lou Reed, Freddy Mercury, Mick Jagger oder Debbie Harry, noch lange bevor ihre Karrieren auf dem Höhepunkt waren. Und deshalb ist es auch nicht übertrieben zu behaupten, dass Mick Rock maßgeblich daran beteiligt war, das Image dieser Persönlichkeiten, die sich selbst nicht nur als Musiker, sondern als Gesamtkunstwerke verstehen, zu manifestieren und zu verbreiten, vielleicht wirkungsvoller und nachhaltiger als es heute Musikvideos vermögen.

Zur Eröffnung einer Ausstellung im Kulturkaufhaus Dussmann mit einer Auswahl seiner Arbeiten kam Rock nun für ein paar Tage nach Berlin. Er hat die Erscheinung und das Image derer, die er vor seiner Linse hatte, selbst perfekt verinnerlicht – wie man es von jemandem erwartet, der jahrelang mit den Rockstars dieser Welt von Konzert zu Konzert reiste: Der 57-Jährige erscheint zum Gespräch mit der für Rockstars fast schon obligatorischen Verspätung, begleitet von einem Tross persönlicher Assistenten, die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt.

„Eigentlich hatte ich damals gar keine eigene Identität. Vermutlich habe ich deshalb automatisch das angenommen, was ich vor der Kamera sah“, sagt er. Ob er sich selbst als Rockstar fühle? Der Mann, der von sich selbst nicht viel, noch nicht mal seinen bürgerlichen Namen Preis gibt, weiß es nicht. Nur allzu gerne und allzu oft versteckt er seine eigene Geschichte hinter den Anekdoten und Erzählungen über seine Fotomodelle. Statt einer Antwort fährt er sich verlegen durch die Locken und schiebt kurz darauf einen Ärmel hoch. Eine riesige Narbe erstreckt sich über seinen linken Unterarm, Erinnerung an eine schwere Operation vor einigen Jahren. Er sagt, nach dieser Operation habe er gewusst, dass er allmählich zurückschalten muss.

Zwischen all den üblichen Rockstar-Klischees vom wilden Feiern und exzessiven Lebenswandel klingt eher nach dem ehrlichen Eingeständnis eines Menschen, der sich langsam bewusst wird, dass seine wilden, hemmungslosen Jahre hinter ihm liegen. Das würde einer wie Mick Rock natürlich nie zugeben. Stattdessen redet er von früher – und rechtfertigt sich sofort dafür: „Die Leute denken von mir immer, ich sei so ein Typ, der ständig in der Vergangenheit lebt. Dabei erzähle ich ihnen nur die Geschichten, die sie ohnehin hören wollen.“ Vielleicht will er diese Geschichten aber auch immer wieder und immer noch erzählen, weil sie ihn daran erinnern, wie es war, jung zu sein.

Die Ausstellung der Fotos von Mick Rock ist bis Ende April im Kulturkaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße 90 im Bezirk Mitte zu sehen.

Dieses Buch bestellen Mick Rock: Blood & Glitter Fotografien aus den siebziger Jahren. Vorwort von David Bowie. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin. 225 Seiten, ca. 300 Abb., 99,90 Euro

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