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Berlin: Die Zeiten ändern sich: "Das Leben ist spannend"

Das Bild tut weh: Im Mai 1997 posiert Andreas Sch. in seiner Wohnung.

Das Bild tut weh: Im Mai 1997 posiert Andreas Sch. in seiner Wohnung. Die wirkt heruntergekommen, wie der Hausherr, vermutlich ein Trinker, auch. Ungepflegt steht er mit hängenden Schultern da, wirkt kraft- und mutlos. Der 30-Jährige ist arbeitslos. Eine zweite Aufnahme zeigt ihn elf Jahre zuvor und zwar im gleichen Zimmer - und doch ganz anders. Eben nicht nur jünger, sondern auch gut angezogen und gekämmt, lehnt er lässig am Kachelofen mit stolz geblähter Brust. Damals arbeitete der 19-Jährige im Feldbau einer LPG. 1986, als dies Foto entstand, gab es noch die DDR.

Die Zeiten ändern sich, Menschen auch, gerade Ostdeutsche mit und nach der Wende. "Zeitenwende" hat deshalb der Neubrandenburger Fotograf Bernd Lasdin sein Projekt getauft, für das er zwischen 1986 und 1988 Menschen aus verschiedenen Milieus der damaligen DDR aufsuchte und in deren Wohnungen an ihrem jeweiligen Lieblingsplatz ablichtete. Zehn Jahre später hat der Schüler des Fotografen Arno Fischer seine Protagonisten von einst - Paare, Familien, Lebensgemeinschaften, einzelne Personen - erneut besucht. Stets bat der 48-Jährige die Porträtierten, ihr Originalbild mit einem kurzen persönlichen und handgeschriebenen Text zu versehen. "Ich habe zuerst Freunde fotografiert, später auch Leute auf der Straße angesprochen", sagt Lasdin. So entstanden 110 Porträts von 55 höchst unterschiedlichen Personen und Personengruppen, die als Bildband (Edition Temmen Bremen, 29,80 DM, 125 S.) und Ausstellung schon in halb Deutschland für Furore sorgen und noch bis heute im Falkenseer Heimatmuseum zu sehen sind. Die 80er-Jahre-DDR wirkt in der Ausstellung wie eine 70er-Jahre-BRD: immer wieder Spitzendeckchen vor schweren Bücherschränken mit Cognacschwenkern für die seltene Feierstunde.

In der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam wurde die Schau intimer Zeitdokumente am Dienstagabend eröffnet. Die fotografische Langzeitstudie visualisiert auf eindrucksvolle Weise soziale wie persönliche Befindlichkeiten vor und nach der "Zeitenwende", die für die Menschen im Osten Umbrüche der unterschiedlichsten Art mit sich brachte.

Manche sind abgestürzt, enttäuscht, verbittert, andere aufgestiegen, die Mehrzahl aber scheint ganz einfach im (neuen) Alltag angekommen zu sein. Gabriele W. zum Beispiel, Mutter zweier Söhne, der eine seit der Geburt querschnittsgelähmt, schrieb unter die zweite (aktuelle) Aufnahme kurz und bündig: "Die Söhne sind groß - das Leben ist spannend!" Die porträtierten Personen inszenieren sich so, wie sie sind oder gesehen werden möchten.

Für die Fortsetzung seines Projektes hat sich der freie Fotograf Lasdin in der Wendezeit nach Flensburg, der Partnerstadt Neubrandenburgs, aufgemacht. Auch hier porträtierte er nach gleichem Muster Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus, die er im letzten Jahr erneut fotografierte. Wieder entstanden mit "Westzeit-Story" Bildband und Ausstellung, die in ihrer zeitlichen Dimension Lebensgeschichten offenbaren, die in häuslicher Umgebung von Chancen und Risiken sozialer Wirklichkeit erzählen. Nichts anderes lässt sich von der ostdeutschen Porträtreihe sagen. Und so treten die vorhandenen augenfälligen Unterschiede - etwa mit Blick auf Einrichtungsgegenstände - schnell in den Hintergrund. Wüsste man nicht, wo die einzelnen Bilder entstanden, wäre manche Zuordnung schwierig. Die Gemeinsamkeiten überwiegen. Die Fotos faszinieren durch Authentizität und durch die Betroffenheit des Betrachters. Sichtbar ist immer der Einfluss veränderter Umstände.

Andreas Hergeth

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