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Abgefahren. Den meisten Besuchern gefällt der jetzige Zustand des Tempelhofer Feldes. Darin sind sie sich einig mit der Bürgerinitiative gegen die Bebauung.

© dpa

Die Zukunft des Flugfelds: Senat will Bebauung von Tempelhof durchsetzen

Ein Gutachten rechnet mit 300 Millionen Euro Schaden, wenn auf die Bebauung des ehemaligen Flugfelds in Tempelhof verzichtet wird. Die Grünen sprechen von "Voodoo-Berechnungen".

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die landeseigene „Tempelhof Projekt“-Gesellschaft wollen die Bebauung des Tempelhofer Flugfeldes durchsetzen. Sie argumentieren mit „volkswirtschaftlichen Kosten“ von knapp 300 Millionen Euro für das Land, die ein Verzicht auf die geplanten Wohn- und Geschäftshäuser an den südlichen und östlichen Rändern des Parks verursachen würde. Das jedenfalls rechnet das Forschungsinstitut Empirica vor in einem knapp 34-seitigen Bericht für die Senatsverwaltung. Die Auftragsarbeit liefert Argumente für die Auseinandersetzung mit der Bürgerbewegung „100 Prozent Tempelhofer Feld“, die zurzeit Unterschriften sammelt, um jegliche Veränderungen am bestehenden Parkgelände zu verhindern.

Wie groß der Einfluss der Bürgerinitiative ist, hatte bereits die landeseigene Gesellschaft Grün Berlin zu spüren bekommen: Sie musste infolge des Drucks aus dem Kiez die auf dem stillgelegten Flugfeld geplante Internationale Gartenschau (IGA) nach Marzahn verlegen. Dass die Meinungsmacher in den Quartieren Gehör finden bei den Politikern, liegt nicht zuletzt daran, dass Tempelhof der Wahlbezirk von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) ist – und Entscheidungen gegen die eigenen Wähler zu treffen, nicht unbedingt die Beliebtheit erhöht. Eine Sprecherin des Senators sagte, die Behörde sei ebenso wie die Bürgerinitiative dazu verpflichtet, eine Schätzung der Kosten vorzulegen, die ein Verbot von Bauten am Rande des Feldes hätte.

Visionen für Tempelhof: An Ideen für das Gelände mangelt es nicht

Wie aber kommen die Forscher auf diese enorme Schadenssumme? Weil eine Bebauung des Feldes einen „hohen öffentlichen Nutzen“ erzeugt, schreiben sie, der sich „aus der Verkehrsvermeidung bei dieser zentralen Bebauung“ ableitet – und diese lasse sich genauestens ermitteln. Denn von Tempelhof sei beispielsweise der Boulevard Unter den Linden – je nach Baufeld – nur 5,9 bis 6,3 Kilometer entfernt, die zudem leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zurückgelegt werden können. Mehr als doppelt so weit müsste dagegen von einem „mittleren Alternativstandort“ gefahren werden.

„Verkehr ist eine Seuche“, bilanzieren die Forscher, die sich weiter ausbreiten werde, falls die in Berlin dringend benötigten neuen Wohnungen nicht in nennenswertem Umfang auf dem Tempelhofer Feld entstehen.

Die Studie haben die Forscher mit „Oktober 2012“ datiert. Bereits zuvor hatte Stadtentwicklungssenator Müller wiederholt erklärt, an der seit langem geplanten Bebauung festhalten zu wollen. Deren Ränder hält er für bestens geeignet, um „Wohnungen in Größenordnungen“ zu bauen. Und die Forscher sekundieren: Wenn nicht dort gebaut wird, dann müsse – mangels anderer innerstädtisch gelegener Baufelder – auf „dezentrale Standorte“ ausgewichen werden.

Die Grünen sprechen von "Voodoo-Berechnungen"

Abgefahren. Den meisten Besuchern gefällt der jetzige Zustand des Tempelhofer Feldes. Darin sind sie sich einig mit der Bürgerinitiative gegen die Bebauung.
Abgefahren. Den meisten Besuchern gefällt der jetzige Zustand des Tempelhofer Feldes. Darin sind sie sich einig mit der Bürgerinitiative gegen die Bebauung.

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Warum so viele neue Wohnungen gebraucht werden, erklären die Gutachter auch: „Berlin wächst, die Zahl der Einwohner ist seit dem Jahr 2000 um 120 000 gestiegen“. Die „Trendwende“ markiere das Jahr 2005, weil sich seither die Bewohnerzahl besonders schnell erhöhe: „Allein im Jahre 2011 wuchs Berlin um 41000 Einwohner“. Für die Forscher eine gute Entwicklung, denn immer mehr Berliner sind auch erwerbstätig: 100 000 mehr als 2000. Und wo mehr Menschen leben, wird mehr konsumiert: Der Umsatz im Einzelhandel sei um 15 Prozent gestiegen, die Zahl der Lokale seit 2005 um zehn Prozent. „Dieses Wachstum benötigt Fläche“, sagen die Gutachter – und davon gebe es genug: an den Rändern des Tempelhofer Feldes.

Kritik am Gutachten kommt von den Grünen im Abgeordnetenhaus. Deren stadtentwicklungspolitische Sprecherin Antje Kapek sieht darin „Voodoo-Berechnungen“: Rot-Schwarz wolle nur die Erhaltung der Freifläche teuer rechnen und damit das Volksbegehren torpedieren. Zudem sei die Behauptung „lächerlich“, man müsse das Tempelhofer Feld zu mehr als einem Drittel bebauen, weil sonst fiktive Verkehrsströme von fiktiven Bewohnern fiktiver Wohnungen am Stadtrand fast 300 Millionen kosten würden. Kapek forderte ein Planungsmoratorium – und eine umfassende Beteiligung der Bürger.

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