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2008 hatte die Richterin offenbar schon einen Selbstmord versucht.

© Michael Gottschak/ dapd

Berlin: Die zwei Leben der Kirsten Heisig

Film versucht eine behutsame Annäherung an Berlins bekannte Jugendrichterin

Von Sandra Dassler

Mit dem Bernauer Jugendrichter Andreas Müller hat Kirsten Heisig über Suizid gesprochen. Auch über „Tabletten nehmen“, wie er erzählt. Das ist eine der wenigen Überraschungen in der Fernsehdokumentation „Tod einer Richterin“, was keine Kritik sein soll. Denn den beiden Journalistinnen Nicola Graef und Güner Balci ging es nicht um Spektakuläres sondern um eine behutsame Annäherung an Deutschlands berühmteste Jugendrichterin, die sich im vergangenen Sommer überraschend das Leben nahm.

So kombiniert der 45-minütige Film Aufnahmen von Heisig bei Anne Will oder bei arabischen Eltern mit den Erinnerungen jener Menschen, die der Richterin im Kampf gegen Jugendkriminalität sehr nahe standen. Sie alle berichten von einer Frau, die voller Energie für ihre Überzeugung eintrat, von einer Kämpferin, der bis zuletzt keiner der Befragten einen Selbstmord zugetraut hätte.

Unweigerlich kommt der Film immer wieder auf das wesentlich von Kirsten Heisig initiierte Neuköllner Modell zur schnelleren Bestrafung jugendlicher Gewalttäter zu sprechen. „Sie war für uns schlimmer als der Teufel“, sagt ein von Heisig verurteilter junger Mann aus Neukölln und erzählt, dass Freunde ihn vor der „Richterin Gnadenlos“ gewarnt hatten. „Sie war die einzige, die direkt zu uns kam“, lobt hingegen ein türkischer Vater – der zu den Eltern gehört, mit denen Heisig oft das Gespräch suchte, um zu verhindern, dass ihre Kinder kriminell wurden.

Ihr Engagement, das auf Dauer wohl auch über ihre eigenen Kräfte hinaus ging, bescherte ihr viele Widerstände – gerade in der Justiz: „Wir haben uns nicht um die Veränderung der Welt zu kümmern“, sagt Jugendrichter Müller im Film sehr bitter. Überhaupt sind die Wunden acht Monate nach Heisigs Tod keineswegs verheilt. So lehnte die Polizeiführung Interviewanfragen immer wieder ab, erzählen die Filmemacherinnen. Viele Diskussionen habe es auch um den Umgang mit ganz persönlichen und familiären Lebensumständen gegeben. Als sich Ex-Fußball-Nationaltorwart Robert Enke 2009 das Leben nahm, habe seine Frau die tiefe Depression ihres Mannes öffentlich gemacht. Kirsten Heisig habe das offenbar nie gewollt, ihre genaue Krankheit kenne man bis heute nicht.

„Sie hat nie darüber gesprochen“, sagt Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Erst nach ihrem Tod hat er von einem Selbstmordversuch Heisigs im Jahr 2008 erfahren. Auch damals habe er weder davor noch danach irgend etwas davon mitbekommen.

Der Frage nach dem Motiv für den Suizid kann sich der Film daher nur annähern – auch mit Rücksicht auf die Eltern der Toten sowie ihre beiden Töchter, die nach der Trennung Heisigs von ihrem Partner bei ihrem Vater lebten.

Dass einfache Wahrheiten, Schuldzuweisungen oder Verschwörungstheorien im Fall Heisig nicht funktionieren – das macht der berührende Streifen allemal deutlich. „Es muss zwei Kirsten Heisigs gegeben haben“, sagt Heinz Buschkowsky: „Die andere Persönlichkeit hat dann letztlich über die Kirsten Heisig gesiegt, die ich gekannt habe.“ Sandra Dassler

Der Film „Tod einer Richterin – Auf den Spuren von Kirsten Heisig“ ist am 9. März

um 22.45 Uhr in der ARD zu sehen.

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