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Berlin: Dienstleistungen Berlin/Brandenburg: Interview mit Sebastian Turner: "Das System Berlin gleicht dem System Deutschland"

Sebastian Turner ist Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz & Friends in Berlin. Er gründete seine erste Agentur 1990 mit zwei Partnern in Dresden.

Sebastian Turner ist Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz & Friends in Berlin. Er gründete seine erste Agentur 1990 mit zwei Partnern in Dresden. Schon zwei Jahre später gehörte das Unternehmen zu den ersten Adressen in Ostdeutschland und erfreute sich großer Beachtung unter den großen Werbeagenturen. Der populärste Auftrag des inzwischen in das Stadtzentrum von Berlin umgesiedelten Unternehmens ist die Kampagne "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Nennen Sie bitte drei bedeutende europäische Metropolen, Herr Turner!

London, Paris, Moskau.

Moskau?

Ja, das gehört doch auch dazu. Moskau ist eine ziemlich große Stadt.

Ist Größe ein hinreichendes Attribut für eine Metropole?

Hinreichend wohl nicht, aber notwendig. Ohne Größe hat eine Stadt kaum Magnetismus.

Dann darf sich die Millionenstadt Berlin auch zu den Metropolen zählen?

Ja. Vielleicht nicht in einem Atemzug mit New York, aber in eine Reihe mit Madrid oder Mailand gehört Berlin sicher.

Der Region sagte man sehr lange Provinzialität und ökonomische Unbedeutenheit nach. Hat sich Berlin davon befreit?

Im Geldausgeben ist die Stadt schon immer ziemlich gut gewesen, im Verdienen holt sie jetzt langsam auf. Ehrlicherweise muss man aber sagen: Die Geschichte hat der Stadt übel mitgespielt - wie ja auch umgekehrt. Berlin war ein halbes Jahrhundert lang nicht nur geteilt sondern auch abgeschnitten von einer normalen Entwicklung. So etwas hinterlässt Spuren. Andere Metropolen haben sich kontinuierlich entfalten können. Zudem wird in einer föderalen Struktur niemals eine einzige Stadt so große Bedeutung bekommen, wie in zentralistischen Ländern eine Kapitale Paris oder London. Die gewaltige Entwicklung von Berlin in den vergangenen Jahren ist aber nicht zu übersehen. Keine andere Stadt in Europa hat ihr Gesicht in so kurzer Zeit so gründlich geliftet.

Dann ist die Region aus ihrem Märchenschlaf endgültig erwacht?

Ja. In sehr vielen Feldern hat die Stadt den Sprung aus der Kreisklasse in die Bundesliga geschafft. Am eindrucksvollsten zeigt sich das am Beispiel der Galerien. In den letzten zehn Jahren ist Berlin neben Köln zur allerersten Adresse geworden. Das ist ein gutes Zeichen, denn Galeristen sind ein sehr mobiles und für gesellschaftliche Veränderungen sensibles Völkchen, zweifelsohne eine Trendbranche.

Die Trendbranche Werbung ist sich da wohl nicht so sicher mit der Bedeutung Berlins?

Jedenfalls nicht so schnell. Die Werbebranche hat Berlin in zwei Schüben entdeckt. Anfang der neunziger Jahre hielt man Berlin als Zentrum der Ex-DDR für einen eigenständigen Markt, so wie Estland oder Polen. Die internationalen Agenturen haben hier Büros eröffnet und nach Kunden Ausschau gehalten. Das war eine Fehlkalkulation, die dann ja auch nicht aufging, weil die innere Einheit schneller als die Werber war. Doch nun zieht die Branche wieder nach Berlin - unter ganz anderem Vorzeichen. Die Werber haben erkannt, dass es die Talente nach Berlin zieht. Wer Kreativität sucht, der findet sie hier. Noch nicht sehr professionell, aber das kann noch kommen. Die Agenturketten bringen jetzt nicht nur Büros, sondern gleich große Aufträge mit, Etats von Volkswagen, Lufthansa und der Post etwa.

Wenn so viel Kreativität in der Stadt ist, dann sind die Berlin gar nicht so kleinbürgerlich, wie man ihnen nachsagt?

Wahrscheinlich sind die Leute in Paris oder London genau so weltstädtisch und genau so piefig wie die Berliner. Mit einem Unterschied: Die Pariser hatten immer Perspektiven. Die Berliner waren eingemauert. Jetzt gibt es Perspektiven und die Leute nehmen ihr Schicksal in die Hand.

Und fordern Subventionen ein.

Ja, aber nicht mehr so laut wie früher. Es ist noch wie ein Reflex, eine über viele Jahre einstudierte pawlowsche Prägung. Diese Reflex haben bei genauerer Betrachtung allerdings die meisten Deutschen. In Berlin hat man nur länger und lauter nach dem Staat gerufen. Wer am lautesten schrie wurde dann mit größeren Subventionen belohnt. Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Wer laut schreit wird nur noch heiser, weil die Stadt endlich pleite ist. Berlin ist noch pleiter als die meisten anderen Länder. Deshalb muss hier schneller als in anderen deutschen Regionen umgedacht werden. Das ist eine große Chance für die Stadt. Je größer der Anpassungsdruck, umso größer die Kräfte, die er freisetzt. Berlin wird die gesellschaftlichen Veränderung, die sich in ganz Deutschland vollziehen werden, schneller durchleben, als das anderswo geschehen wird.

Ist dieser Prozess spürbar?

Eindeutig. In der Politik, besonders aber bei den Unternehmern. Noch vor ein paar Jahren haben sich hier die Unternehmer wie Asta-Vorsitzende aufgeführt und nach Senatskohle gerufen. Solche gibt es in Berlin kaum noch. Der Markt hat die Stadt von den meisten Unternehmen befreit, die nur als Subventionsempfänger existieren konnten.

Die alten Politiker sind der Stadt geblieben.

Politik wandelt sich langsamer als die Wirtschaft. Die Machtbasis von Unternehmen sind Märkte und Kunden. Wenn die sich verändern, dann müssen sich die Unternehmen bei Strafe des Untergangs sehr schnell mitändern. Die Machtbasis von Politikern sind Wähler und Parteien. Beide scheuen den Wandel, die Politik ist geradezu dazu da, den Wandel abzufedern. Und: Während die Wirtschaft schwache Konsumenten vernachlässigen kann, kann und darf die Politik das nicht. In Berlin haben wir deshalb einen bemerkenswerten Sonderfall: Die politische Führung ist hier stabiler als die Führung der Wirtschaft. In der Wirtschaft hat der Anpassungsdruck die meisten Köpfe seit der Wende ausgetauscht. Aber auch in der Politik ist Erneuerung kaum zu verhindern.

Im Augenblick sieht es noch nicht so aus. Nur sehr langsam wird offenbar, wie stark in Berlin Wirtschaft und Politik verstrickt sind und die Beharrungskräfte sind sehr groß.

Ich glaube nicht, dass Berlin korrupter ist als andere Grossstädte in Deutschland oder gar Metropolen in Europa. Jeder Kommunalpolitiker hat ein enges Verhältnis zu den städtischen Unternehmen. Eine Besonderheit ist allerdings, dass sich in einer grossen Koalition die Krähen nicht gegenseitig behacken und obendrein die Opposition in Berlin strukturkonservativer ist als die Regierung. Die Bezirksreform und die Privatisierungen zeigen aber: Sie bewegt sich doch.

Heißt das, Berlin wird der Trendsetter für den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland?

Unbedingt. Das System Berlin spiegelt das System Deutschland. Hier sind die Geschwüre allerdings besonders groß und werden deshalb schneller unerträglich als anderswo. Das läßt sich auch im Kleinen beobachten. In Berlin wurde der Ladenschluss bespielsweise ausgehölt.

Nennen Sie bitte drei bedeutende europäische

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