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Berlin: „Diese Anwältin ist irregeworden“ Wie die Hürriyet über Frauen berichtet, die sich gegen die Zwangsehe engagieren

Formiert sich gegen die prominente Rechtsanwältin Seytan Ates türkischer Widerstand? In ihrer Ausgabe am gestrigen Sonntag warf die auflagenstarke Tageszeitung Hürriyet ausgerechnet der Trägerin des Berliner Frauenpreises 2004 vor, Stimmung gegen türkische Frauen in Berlin zu machen.

Formiert sich gegen die prominente Rechtsanwältin Seytan Ates türkischer Widerstand? In ihrer Ausgabe am gestrigen Sonntag warf die auflagenstarke Tageszeitung Hürriyet ausgerechnet der Trägerin des Berliner Frauenpreises 2004 vor, Stimmung gegen türkische Frauen in Berlin zu machen. Die Zeitung berief sich dabei auf ein Interview, das die Expertin für Familienrecht zur Situation von türkischen Frauen in Berlin gegeben hatte. Das Gespräch erschien am Montag vor einer Woche in der Taz unter der Überschrift „Multikulti ist verantwortungslos“. Darin fordert die 41-jährige Frauenrechtlerin eine Verschärfung des Strafrechts, „um türkische Einwanderinnen vor Gewalt und so genannten Ehrenmorden zu schützen“. „Diese Anwältin ist irregeworden“, urteilte die Hürriyet daraufhin in der Überschrift ihres Sonntag-Aufmachers auf Seite 17.

Aber der Reihe nach. Eigentlich kritisierte die Anwältin in dem Beitrag in erster Linie „faule und bequeme Linke“, die „Prosecco trinken, gesunde Lebensmittel aus allen Ländern kaufen und sich dabei ziemlich gut fühlen.“ Die Taz zitierte Seyran Ates mit den Worten: „Die Linken und Liberalen sind immer nur ratlos und veranstalten Tagungen und suchen den Konsens. Das ist zu wenig.“ Im Zuge des Interviews machte Ates die Deutschen dafür verantwortlich, den Frauen, die zwangsverheiratet und misshandelt werden, nicht zu helfen. Das störte die Hürriyet offensichtlich. Die Boulevardzeitung schrieb in einer Unterzeile: „Sie stellt die türkischen Männer als Sklavenhalter dar.“

Auch die türkischen Frauen in Berlin leisteten Widerstand, schrieb die Hürriyet. Denn Seyran Ates mache die Frauen klein, indem sie alle als wehrlos und hilfsbedürftig darstelle. Als Beweis kam in einem bebilderten Text etwa die Berliner Rap-Sängerin Aziza A. zu Wort. Sie sagt über Seyran Ates: „Ich glaube, sie hat Depressionen.“ Und die türkischstämmige SPD–Vertreterin im Berliner Abgeordnetenhaus, Dilek Kolat, verteidigt sich: „Wir tun viel für unterdrückte Frauen.“ Ates wundert sich über den Hürriyet-Aufmacher. „Ich habe auch der Hürriyet ein Interview mit demselben Tenor gegeben“, sagte sie gestern.

Doch sie ist nicht die einzige, die derzeit von der Zeitung attackiert wird. „Nur damit sie ein Buch mehr verkaufen“, kommentierte die Hürriyet bereits vor knapp 10 Tagen und meinte damit nicht Seyran Ates, die die Autobiografie „Große Reise ins Feuer“ geschrieben hat, sondern die Soziologin Necla Kelek. Denn die sorgt derzeit mit ihrem Buch „Die fremde Braut“ zum Thema Zwangsehe für Gesprächstoff. Kelek hatte zusammen mit Serap Cileli, Verfasserin der Autobiografie „Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre“, in München referiert. Die Hürriyet titelte daraufhin: „Zwei Schriftstellerinnen machen uns alle zu Schlägern.“

Suzan Gülfirat

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