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Berlin: „Dieses Wort kommt mir eigentlich nicht über die Lippen“

Der Ton ist rau, im Privaten wie im Öffentlichen. Manchmal ist er auch verboten. Deshalb werden im Amtsgericht jeden Tag Beleidigungen verhandelt

Es geht um die Wurst. Und ein böses Wort. Um einen Bahnsteig, einen eifrigen BVG-Mitarbeiter, eine hungrige Kundin. Eine heikle Kombination, und weil es mit ihr nicht gut ausging, treffen sich die Kontrahenten an diesem Morgen im Amtsgericht Tiergarten wieder. Denn irgendwann soll es neben den Gleisen gefallen sein, das schlimme Wort: Arschloch. „Also, dieses Wort kommt mir eigentlich nicht über die Lippen, das gehört nicht zu meinem Wortschatz“, beteuert die Angeklagte – und erntet vom Richter nur milden Spott. „Dieses Wort – das sage ich im Brustton der Überzeugung – gehört zum Wortschatz eines jeden von uns!“

Der Großstadtmensch im Allgemeinen und der Berliner im Besonderen gelten nicht gerade als Ausbund an Höflichkeit. Der Ton ist rau, im Privaten wie im Öffentlichen. Manchmal ist er auch verboten. Und deshalb vergeht kein Tag, an dem in den Sälen des Amtsgerichts Tiergarten keine Beleidigung verhandelt wird. Im Saal 862 sind es heute zwei. Im Fall mit der Wurst kommt die Angeklagte, eine angehende Grundschullehrerin aus Prenzlauer Berg, fast zu spät. Die junge Frau trägt Jeans mit Schlag, einen schwarzen Rolli, die dunklen Haare hoch gesteckt. Der BVG-Mann wartet da schon lange auf dem Flur, akkurat in Uniform gekleidet, mit Schnurrbart und Brille.

Es war der 16. Oktober 2001, als sich die beiden das erste Mal begegneten. Auf dem U-Bahnhof Dahlem Dorf. Die Referendarin stand am Fahrscheinautomaten, hatte eine Rostbratwurst in der Hand, der BVG-Mensch eine guten Rat parat: „Mit der Wurst dürfen Sie aber nicht in den Zug einsteigen!“ Da schaute die junge Frau auf ihre halb aufgegessene Wurst herab, die leeren Gleise hinunter, lächelte und ließ den Mann mit den Worten „Das is’ doch wohl’n Scherz“ stehen. So jedenfalls beschreibt Cornelia W. die Szene. Weiter ging es demnach recht turbulent: Der BVG-Mann heftete sich ihr an die Fersen, sie futterte gehend die Wurst, der Uniformierte geriet in Rage, die Wurst war schließlich alle, der Zug fuhr ein, der BVG-Mann warf sich zwischen Tür und Frau, hielt sie fest, alarmierte die Polizei, erstattete Anzeige. Und die Angeklagte? „Nichts weiter. Ich fand das nur unglaublich absurd.“

Der Richter blickt skeptisch, die Staatsanwältin auch, und draußen wartet der Mann von der BVG, um seine Version des Vorfalls zu präsentieren. Das könnte teuer werden, warnt der Richter und schlägt vor: 50 Euro für das Kinderschutzzentrum, und die Sache ist vergessen. Die Angeklagte hadert, akzeptiert dann doch, fühlt sich aber „sehr ungerecht behandelt“, sogar „ein bisschen erpresst“ – sie könnte den Richter nur schwer schlimmer beleidigen. „Dieses Wort will ich hier nicht hören!“, donnert es durch den Saal. „Das ist ein Good-will-Angebot!“

Doch dankbar zeigen sich im Amtsgericht die wenigsten. Auch Andreas W., ein 40-jähriger Arbeiter, gibt sich eher trotzig als schuldbewusst. Denkt vermutlich: Was geht euch das an? Meine Liebe zu Elenie. Die Trennung. Der Schmerz. Die vergeblichen Versuche, sie zurückzugewinnen – auch, wenn sie eher ungewöhnlich ausfielen. „Du dreckige Nutte! Du treibst es mit anderen Männern!“, brüllte Andreas W. seiner Ex-Freundin ins Telefon. „Du bist ein Parasit der Gesellschaft!“, schimpfte er auf die Mailbox.

„So ist das nicht ganz korrekt“, sagt Andreas W., während er die Arme vor der Brust verschränkt. Das dunkle Haar trägt er zurückgekämmt, an seinem Jeansgürtel klemmt ein Handy. Doch weshalb, fragt der Richter, sollte seine Ex-Freundin dann so etwas behaupten? Andreas W. zuckt mit den Schultern. „Gekränkte Eitelkeit, was weiß ich.“

Die Frau, die schließlich in den Zeugenstand tritt, trägt in der Hand eine Tüte, randvoll gefüllt mit Briefen, „als Beweis“. Es sind die Briefe, die Elenie seit der Trennung vor zwei Jahren bekommen hat. Zusätzlich zu den Anrufen. Die Tüte kippt die Zeugin vor dem Richter aus, dann schaut sie zur Anklagebank: „Ein für allemal: Ich will keinen Kontakt, keine Briefe, keinen Kaffee!“

Es ist die erste Abfuhr, die sich der Hilfsarbeiter heute einhandelt. Der Richter legt dann noch einen drauf, verurteilt den Mann für seinen Psychoterror zu 500 Euro Geldstrafe. In seinem Schlusswort legt der Angeklagte auf eines Wert: Die Briefe, sagt er, seien nicht beleidigend gewesen. „Da habe ich mich im positiven Sinn um etwas bemüht.“ Den richtigen Ton hat Andreas W. aber offenbar auch da nicht getroffen.

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