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Vor 70 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer von den Nazis umgebracht

© dpa

Dietrich Bonhoeffer: Die Auferstehung des Widerständigen

Dietrich Bonhoeffer wurde vor 70 Jahren von den Nazis umgebracht. Heute kann man in Berlin auf den Spuren des evangelischen Theologen und Freiheitskämpfers wandeln.

Dietrich Bonhoeffer lernte früh, mutig zu sein. Seine Mutter machte es ihm vor, bisweilen auf unkonventionelle Art. Als Dietrich und seine Geschwister schwimmen lernten und ein Kind zögerte, ins Wasser zu springen, sprang sie kurzerhand voran – in voller Bekleidung und ohne dass sie selbst schwimmen konnte.

Ralf Herold erzählt die Anekdote. Er ist Theologe und bietet Stadtrundgänge auf den Spuren des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers an. In diesen Wochen hat er viel zu tun, nicht nur wegen Ostern. Am 9. April jährt sich Bonhoeffers Todestag zum 70. Mal. Die Nazis haben ihn kurz vor Kriegsende im Konzentrationslager Flossenbürg gehängt.

An diesem Tag kurz vor Ostern sitzen zwei Dutzend Jugendliche aus dem schwäbischen Heubach vor Herold in den Kirchenbänken in St. Matthäus am Kulturforum. Sie haben im Konfirmandenunterricht und in der Schule von Bonhoeffers Mut gehört. In Berlin wollen sie ihm näher kommen. „Mich fasziniert, dass Bonhoeffer die Chance hatte, sein Leben zu retten. Aber er hat sie nicht genutzt, sondern sich dafür entschieden, solidarisch mit den anderen zu sein“, sagt Laura Hettler, 15. Sie hat über Bonhoeffer ein Referat geschrieben, weil er sie so beeindruckt hat.

Mit 24 Jahren war er ausgebildeter Pfarrer

Ralf Herold zeigt das Foto einer Villa in Dahlem, Wangenheimstraße 14. Die Bonhoeffers zogen 1915 mit ihren acht Kindern in das weitläufige Haus mit den hohen Giebeln. Vater Karl Bonhoeffer leitete die Nervenklinik der Charité. Nachbarn im noblen Grunewald waren Max Planck und Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident. „Im April 1918 brach das Unglück über die Familie herein“, sagt Herold. Dietrichs zweitältester Bruder starb an der Front. Die Mutter verfiel in eine Depression. Dietrich Bonhoeffer war 12 Jahre alt und grübelte darüber, wo der Bruder jetzt wohl sei und was das „ewige Leben“ bedeute, von dem der Pfarrer erzählte. Er entschied, nach dem Abitur Theologie zu studieren. „Dass der so früh wusste, was er wollte – krass“, sagt ein Junge. „Würde ich mir auch wünschen.“

Fußabdrücke der Freiheit. Der Theologe Ralf Herold bietet Stadtführungen auf den Spuren von Dietrich Bonhoeffer an.
Fußabdrücke der Freiheit. Der Theologe Ralf Herold bietet Stadtführungen auf den Spuren von Dietrich Bonhoeffer an.

© Kai-Uwe Heinrich

Der Vater und die Brüder versuchten, ihm das Theologiestudium auszureden. Sie gaben nicht viel auf die Kirche. Dietrich setzte sich durch. Mit 24 Jahren war er ausgebildeter Pfarrer und Professor. 1931 wurde er in der Matthäuskirche ordiniert. Eine Tafel mit Bonhoeffers Kopf erinnert daran. „Sieht aus wie Ulrich Tukur“, sagt ein Mädchen.

Es stürmt. Die Jugendlichen ziehen die Reißverschlüsse ihrer Jacken höher. Herold geht in Richtung Sony Center voran. Unterwegs erzählt er, dass Bonhoeffer ein Studienjahr in New York verbrachte. Er war viel in Harlem und freundete sich mit einem schwarzen Theologen an. Er konnte sich mit ihm aber auf keine Parkbank setzen. Rassentrennung. Bonhoeffer war schockiert. Die Erfahrung prägte ihn. Schon im April 1933 verurteilte er die Judenverfolgung der Nazis deutlich, als erster und fast einziger deutscher Theologe.

Bronzeplastik an der Zionskirche erinnert an ihn

Seine Eltern und Lehrer erwarteten, dass Bonhoeffer an der Uni Karriere machen würde. Doch er kümmerte sich lieber um 40 Konfirmanden in der Zionskirche, mit denen sonst keiner klar kam. Die Zustände im angrenzenden Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg waren katastrophal, ein Drittel der Schulabgänger konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten. Viele der Konfirmanden hatten nicht mal Schuhe an den Füßen. „Bonhoeffer hat die Jungen gleich in der ersten Stunde für sich eingenommen“, sagt Ralf Herold. Er erzählte ihnen nicht von der Dreieinigkeit Gottes, sondern von den Kindern in Harlem. Er fragte sie nach ihrer Meinung. Das habe die Kinder beeindruckt. Es hatte sich noch nie jemand für sie interessiert.

Bonhoeffer nahm sich ein Zimmer in der Oderberger Straße 61. „Die Jungs konnten ihn besuchen, wann sie wollten“, sagt Herold. Er brachte ihnen Schach bei und Englisch, lud sie zum Essen ein, spielte mit ihnen Fußball. Frömmigkeit war für ihn kein Selbstzweck, die Kirche sollte für andere da sein. Für die Konfirmation kaufte er ihnen Stoff, damit sie sich Anzüge schneidern lassen konnten. An der Zionskirche erinnet eine Bronzeplastik an Bonhoeffer. Von vorne sieht sie aus wie ein Kreuz, von der Seite wie eine zum Gebet knieende Person.

Er unterstützte aktiv den Widerstand

Die Jugendlichen aus Heubach gruppieren sich um Ralf Herold herum. „Bonhoeffer war es egal, was die anderen von ihm denken“, sagt Nina Zent, 16. Sie fällt auf unter den Mädchen, die alle lange Haare haben. Nina Zent hat sich eine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Bis auf eine Locke verschwinden die Haare drunter. Dass Bonhoeffer sich so wenig angepasst hat, „sein Ding durchgezogen hat“, gefällt ihr.

Für Herold ist Bonhoeffer ein Vorbild, „weil er Christsein mit politischem Handeln verbunden hat“. Was für evangelische Theologen heute selbstverständlich ist, traute sich vor 1933 kaum einer. Martin Luther hatte von den zwei „Regimentern“ gesprochen, von der weltlichen Obrigkeit und dem Reich Gottes, die es zu trennen gelte. Bonhoeffer verstand das so, dass die Kirche auf der Seite der Opfer stehen und den Staat nach seiner Verantwortung fragen müsse. Wenn alles nichts helfe, dürfe sie nicht nur die Opfer unter dem Rad verbinden, sondern müsse „dem Rad selbst in die Speichen fallen“. „Er hat sehr mit sich gerungen, ob er als Christ Hitlers Ermordung rechtfertigen kann“, sagt Laura Hettler. Das sei ja eine schwierige Frage. Man dürfe niemanden töten.

1939 kehrte Bonhoeffer von einer zweiten Reise in die USA nach Berlin zurück, obwohl er dort hätte bleiben können. Er lehnte den Nationalsozialismus und die „Deutschen Christen“ ab, die Hitler die Treue schworen. Aktiv unterstützte er nach seiner Rückehr den Widerstand. Ralf Herold erzählt, dass am Rand des heutigen Sony Centers früher zeitweise der Volksgerichtshof untergebracht war. Hier unterschrieb der gefürchtete NS-Richter Roland Freisler Todesurteile – auch das für Bonhoeffers Bruder Klaus.

Widerstand ist ein großes Wort

Herold geht mit den Jugendlichen weiter zur „Topographie des Terrors“ in der Niederkirchnerstraße. 1943 wurde Bonhoeffer verhaftet und in Tegel inhaftiert. Vorwurf: Wehrkraftzersetzung. Dass er mit den Verschwörern des 20. Juli zu tun hatte, merkten die Nazis erst nach dem Attentatsversuch 1944, als sie in Dokumenten zufällig auf seinen Namen stießen. Sie verlegten ihn ins Gestapo-Gefängnis. Hier, wo heute graues Geröll die Zellen markiert, schrieb Bonhoeffer zum Jahreswechsel 1944/45 sein Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“.

Einige Jungen albern herum. Die Konzentration lässt nach. Herold liest Bonhoeffers Gedicht vor. Es wird still. So viel Hoffnung spricht aus den Zeilen – obwohl Bonhoeffer ahnte, dass es nicht gut für ihn ausgehen würde, sagt Herold. Ob sie etwas mit dem Begriff „Widerstand“ anfangen können?, fragt Herold die Jugendlichen. „Widerstand ist ein großes Wort“, sagt Nina Zent, aber sie versuche, für Schwächere einzutreten. „Ich bin oft diejenige, die zu anderen sagt: Hey, das ist nicht okay, wie ihr miteinander umgeht.“

Am 9. April um 17.30 Uhr weiht Altbischof Wolfgang Huber eine Gedenktafel in der Oderberger Str. 61 ein. Um 19 Uhr hält er einen Vortrag über Bonhoeffer in der Zionskirche, Zionskirchplatz. Von 18 bis 23 Uhr lädt die Matthäuskirche am Kulturforum zur Bonhoeffer-Lesenacht mit Christoph Hein, Sibylle Lewitscharoff und Peter Raue. Empfehlenswert ist auch die Bonhoeffer-Gedenkstätte in der Marienburger Allee 43 in Westend. Hier lebte die Familie ab 1935.

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