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Berlin: Diplomatisch geschickt

Der Besuch Klaus Wowereits in Israel verlangt viel Feingefühl. Beim Treffen in Jerusalem wurden problematische Fragen vermieden

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Jerusalem – die unvergleichliche Stadt. Zwei Bürgermeister, die auch nicht zu verwechseln sind. Sie trafen am Montag im Rathaus der heiligen Stadt aufeinander: Klaus Wowereit, ein sozialdemokratischer Katholik, der das Leben in all seinen Facetten kennt und liebt. Uri Lupolianski, ein ultra-orthodoxer Jude, Vater von zwölf Kindern, der sich streng an die Regeln des Glaubens hält. Frauen gibt er nicht die Hand; auch nicht Hillary Clinton, die vor einer Woche zu Besuch kam. Dem Gast aus Berlin hat Lupolianski gestern herzlich die Hand geschüttelt und ihm einen silbernen Löwen, das Wappentier Jerusalems, ans Revers geheftet.

Dann plauderten die beiden Bürgermeister beim Tee über die Möglichkeiten, enger zusammenzuarbeiten, außerhalb einer regulären Städtepartnerschaft. Einen Theateraustausch haben sie ins Auge gefasst. Das Berliner Ensemble möchte in Jerusalem und Tel Aviv ein Gastspiel geben. Der Schüler- und Jugendaustausch könnte intensiviert werden, die Stadtplaner tauschen sich ohnehin regelmäßig aus. Und dann hat der Bürgermeister Lupolianski noch versucht, den Amtskollegen Wowereit aufs Glatteis zu führen. Wenn die neue Bundesregierung im Amt sei, möge er sich doch bitte dafür einsetzen, dass die deutsche diplomatische Vertretung von Tel Aviv nach Jerusalem umzieht, bat Lupolianski. Das kommt natürlich nicht in Frage, solange der international umstrittene Status der Stadt ungeklärt ist. Diplomatisch freundlich hat Wowereit den kleinen Überraschungsangriff abgewehrt. „Ich hoffe, dass die Zeit bald kommen wird, dass dies so sein möge“, antwortete er. Wie elegant. Die deutsche Botschaft war mit dieser Antwort zufrieden. Mit heiklen Statusfragen haben die Berliner schließlich Erfahrungen.

Die missliche Frage der Städtepartnerschaft hat Wowereit dann doch angesprochen. Jerusalem – drei Jahrtausende alt und heiliger Ort der monotheistischen Weltreligionen – pflegt zu keiner Kommune der Welt eine vertraglich geregelte Beziehung und begründet dies mit ihrer Einzigartigkeit. Deshalb war der einstimmige Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses vom 2. Mai 2005 wohl etwas naiv. Der Anlass war ein wichtiges Jubiläum: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel vor 40 Jahren. „Zur Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen“ wünschte sich das Landesparlament eine Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Jerusalem. Das sei gut gemeint, aber ein „Missverständnis“ gewesen, erklärte der Regierende Bürgermeister seinem Gastgeber gestern. Lupolianski war mit dieser Antwort vollkommen zufrieden.

Tel Aviv hingegen, wo Wowereit den ersten Tag seiner Reise verbrachte, pflegt mit mehreren deutschen Städten eine Partnerschaft: Mit Bonn und Köln, Essen und Frankfurt/Main. Und die Berliner Bezirke sind mit einem Dutzend israelischer Gemeinden verbunden. Als Wowereit Stadtrat in Tempelhof war, reiste er mehrmals nach Nahariya, in die Partnerstadt des Bezirks. Ansonsten konzentrieren sich die Kontakte zwischen Berlin und israelischen Städten fast ausschließlich auf kulturelle und wissenschaftliche Austauschprojekte.

Nach dem Plauderstündchen im Rathaus stellten sich die Herren aufgeräumt, aber frierend auf den Balkon mit der grandiosen Aussicht über die Hügel der Stadt den Fotografen. Denn der Winter ist gestern in Jerusalem eingekehrt, mit Kälte und Regen. „Ein freundlicher, offener Mensch“, lobte Wowereit den Kollegen. Kein Sterbenswörtchen verlor er zu einem Thema, das in der Schwulenszene Israels seit 2002 heftig diskutiert wird. Seit 2002 müssen sie um ihre jährliche Parade in Jerusalem kämpfen, in diesem Jahr wurde das bunte Happening, das Lupolianski „hässlich, beleidigend, anstößig und provokativ“ nannte, sogar verboten. Der Bürgermeister hatte dies nach den Berichten israelischer Zeitungen mit den Terrordrohungen fundamental-nationalistischer Gruppierungen gegen die Parade begründet. Etwa 40 Prozent der Bewohner Jerusalems sind strenggläubige Juden. Im säkular geprägten Tel Aviv gibt es seit Jahren eine Christopher-Street-Parade mit vielen tausend Teilnehmern. Dort sieht man auch noch um Mitternacht selbst gebastelte Techno-Wagen mit hingebungsvoll tanzenden Jugendlichen, die auf der Strandpromenade die Lautsprecher voll aufdrehen, und die Polizei findet das okay.

Aber bei diesem Besuch geht es nicht um Folklore. Heute wird Wowereit den israelischen Staatspräsidenten Moshe Katsav treffen und mit ihm über den Antisemitismus in Deutschland und Berlin sprechen und ihm sagen, dass es gegen den Neonazismus eine breite, demokratische Bewegung gibt. Die Katsav-Visite wurde wegen des innenpolitischen Chaos in Israel zwar um einen Tag verschoben, aber der Präsident legt Wert darauf, dass der Termin stattfindet. Überhaupt wurde die Reise wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die englischsprachige „Jerusalem Post“ veröffentlichte einen halbseitigen Namensartikel Wowereits, und die „International Herald Tribune“ druckte in ihrer Israel-Ausgabe ein großformatiges Foto von der Kranzniederlegung in Yad Vashem ab. Einheimische und auswärtige Gläubige sprachen ihn an. „Wir finden es schön, wenn Deutsche hierher kommen“, sagte ein älterer Herr. Was auf dem Zettel stand, den er in die Klagemauer steckte, verriet Wowereit zwar nicht, aber es soll sich um einen Friedenswunsch handeln. Dazu passt, dass er am Vormittag einen israelisch-palästinensischen Radiosender besuchte, der mit der Humboldt-Uni in Berlin ein Kooperationsabkommen abschloss. Dies könnte durchaus die politisch wichtigste Auslandsreise werden, die Wowereit seit dem Amtsantritt 2001 unternahm.

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