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Berlin: Diplomatische Lösung

Warum wohl war Bundespräsident Rau beim Neujahrsempfang der Axel Springer AG verhindert?

Es war viel los in der Axel-Springer-Straße am Dienstagvormittag. Das Verlagshaus hatte zum Neujahrsempfang eingeladen. Weil gleichzeitig auch die neue Axel-Springer-Passage eingeweiht werden sollte, waren die Gastgeber besonders festlich gestimmt. „Ganz Berlin“ traf sich. Über einen kleinen Wermutstropfen ging man elegant hinweg: Der auf den Einladungskarten als Ehrengast und Redner angekündigte Bundespräsident hatte aus Termingründen kurzfristig absagen müssen. Für ihn sprang dann der Regierende Bürgermeister ein.

Was war geschehen? Nichts Ungewöhnliches, bedeutet das nach den Gründen befragte Präsidialamt. 50 Prozent der Termine des Staatsoberhauptes seien nicht öffentlich und damit auch der Debatte in den Medien entzogen. Just ein solcher, überraschender, aber wichtiger Termin habe Johannes Rau zur Absage beim Haus Springer gezwungen. Dabei hatte der Präsident der Bitte des Verlages, beim Neujahrsempfang zu sprechen, ursprünglich gerne entsprochen – aus Sympathie zu Friede Springer, wurde ausdrücklich bestätigt. Aber dann muss etwas schief gelaufen sein. Jedenfalls gehen die Schilderungen von dem Punkt auseinander, an dem plötzlich ein weiterer Name auf der Agenda des Festaktes auftaucht: Helmut Kohl. Wie hat der Bundespräsident davon erfahren, dass der Altkanzler der Hauptredner sein soll? Das Präsidialamt ist nicht bereit, über dieses Thema auch nur nachzudenken, weil, siehe oben, die Absage von Johannes Rau ja nichts mit Helmut Kohl, sondern mit dem überraschenden nichtöffentlichen Termin zu tun habe. Aber es gibt doch einen Zusammenhang. Es sieht so aus, als habe die neue Zusammensetzung der Rednerliste – Grußwort Rau, Ansprache Kohl – im Bellevue Missstimmung geschaffen. Darauf gab es einen diskreten und deshalb dementierten Kontakt mit dem Haus Springer. Wie man wohl diesem protokollarischen Dilemma entgehen könne – denn dass ein amtierender Bundespräsident erst öffentlich als Ehrengast und Redner einer Veranstaltung angekündigt wird, dort aber dann den Worten eines Ex-Kanzlers lauschen muss, das ginge nicht.

Abseits des Protokolls darf man Johannes Rau auch noch eine andere Überlegung zutrauen: Beim Festakt eines eher konservativen Verlagshauses vor einem eher konservativen Publikum hätte der christdemokratische Ex-Kanzler wahrscheinlich deutlich mehr Beifall bekommen als der den Sozialdemokraten nicht entfremdete amtierende Bundespräsident. Das wollte er sich (und dem Amt) kaum antun.

Was machen? Eine diplomatische Lösung musste gefunden werden, da weder Gastgeber noch Gast den Tag mit einem Missklang beginnen wollten. Da kam, welch glückliche Fügung, der nicht öffentliche, wichtige und überraschende Termin gerade recht.

Gerd Appenzeller

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