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"Bloß nicht!" Denken die Regierenden. Umso besser.

© dpa

Direkte Demokratie in Berlin: Lasst die Bürger endlich mehr entscheiden!

Mit einer in rot-grün-roten Koalition könnte ein Schreckensgespenst kommen: Weniger Hürden für noch mehr Volksentscheide. Sogar der Bausenator gibt sich volksnah. Aber Wohnungsverbände warnen, davon profitiere die AfD. Ach, wirklich? Ein Rant.

Die armen Regierenden in Berlin. Da lassen sie das Volk abstimmen und nichts als Ärger kommt dabei raus. Nicht von der Wahl zum Abgeordnetenhaus ist hier die Rede – davon später. Erheben wir zunächst das Wort gegen ein böses, gefährliches Instrument der direkten Demokratie: gegen das Volksbegehren.

Gut, dass sich die große Koalition vor den Wahlen selbst zerlegt hat, sonst hätte sie sich ein neues Volk suchen müssen. Denn dieses stimmt eigentlich immer falsch ab: Die Berliner wollen keine Häuser auf dem Tempelhofer Feld, wollen keine Investoren bei den Wasserbetrieben und wollen jetzt gar ein Gesetz, das ihre eigenen Gesetze schützt, damit Senatsmehrheiten im Abgeordnetenhaus sie nicht schnell wieder kassieren können. Die rufen demnächst auch noch einen Volksentscheid aus gegen die Verschleppung von Volksentscheiden. Solche „politische Winkelzüge“ prangern sie ja schon an, erst diese Woche die Macher des Fahrrad-Begehrens.

Nichts da, wär’ ja noch schöner, dass wegen ein paar „linker Chaoten“ – um mal ein Wort der Christdemokraten zu zitieren aus einer Zeit, als das Volk ihnen noch folgte – plötzlich gilt, was die da draußen wollen. Apropos Linke: In deren Wahlprogramm steht, man wolle die Schwelle für die Mitbestimmung senken. Kommt das jetzt wirklich, mit der rot-grün-roten Koalition?

Oder ist Widerstand zu erwarten, – wenigstens von verlässlichen Freunden der Bauwirtschaft vielleicht? Noch-Bausenator Andreas Geisel, für renditesteigernde Ausnahmegenehmigungen am Leipziger Platz gerühmt, war da ja – dem sozialdemokratischen Parteibuch zum Trotz – stets eine sichere Bank: Bürgerproteste in Kiezen überging er nonchalant. Und besser als jeder CDU-Senator es könnte, foppte er Kiezbewahrer, indem er einem Bezirk die Hoheit entzog für die Planung, als Bürger gerade einen Entscheid gegen dieselbe einreichen wollten.

Interessenvertreter der Wirtschaft erinnern an die Machtergreifung Hitlers

Aber aufgepasst: Geisel hat seinen Wahlkreis an einen Kandidaten der Linken verloren. Und weil außerdem im neuen Senat das Pendel von rechts nach links schwenkt, wendet auch Geisel den Hals. Auf einer Veranstaltung von Maklern und Bauträgern sagte der Noch-Senator: Viele Unternehmer seien nicht in ausreichendem Maße bereit, bei der Planung ihrer Bauvorhaben die Sorgen und Wünsche der Anwohner zu hören und miteinzubeziehen. Hat er wirklich gesagt!

Gut, dass wenigstens noch auf die Wohnungsverbände Verlass ist. Einer der Vertreter warnte mich neulich: Die AfD habe angekündigt, künftig häufiger für Volksentscheide mobilisieren zu wollen. Auf die unrühmliche deutsche Geschichte verwies der Mann, spielte auf die Machtergreifung Hitlers an. Dem Volk ist einfach nicht zu trauen, schon gar nicht dem deutschen. Ob rechts oder links ist da im Übrigen einerlei.

Just vertraute Hans-Christian Ströbele dem „SZ-Magazin“ an, er und andere hätten in der Gründungszeit der Partei das Land in eine Räterepublik umwandeln wollen. Politiker wären in einer solchen Republik direkt gewählte Räte, die jederzeit abberufen werden können – vom Volk! Wie soll Politik da noch gestalten? Doppelinterview-Partner Otto Schily warf dem schwelgenden Ströbele vor, ein „terrible simplificateur“ zu sein. Wenigstens einer, der was auf stabile Verhältnisse gibt.

Tatsächlich?! Jetzt mal ehrlich, ihr Freunde von Recht und Ordnung: Erst beklagt ihr Politikverdrossenheit. Wollen die Bürger dann mitgestalten, sprecht ihr ihnen die Mündigkeit ab. Sind sechs Volksentscheide in 12 Jahren seit Erlass des entsprechenden Gesetzes zu viel? Nein, zu wenig! Da mobilisieren engagierte Bürger die Massen, schärfen den Blick für Probleme und erlangen Kompetenz in der Sache – und ihr tut es ab als lästige Einmischung. Falsch, es ist ein neues Verständnis von Politik: Wir wollen entscheidende Fragen nicht mehr ein paar Vertretern überlassen, gewählt alle fünf Jahre im Vertrauen auf Versprechen, die nach der Wahl verlässlich in immer weitere Ferne rücken. 

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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