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Ein Herz fassen. Mit Defibrillatoren kann man durch Stromstöße im Notfall Herzrhythmusstörungen beseitigen. Im öffentlichen Nahverkehr gibt es die Geräte aber nicht.

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Diskussion um Notfalleinsätze: Defibrillatoren in S- und U-Bahnhöfen: Eine Herzensangelegenheit

Bei einem Infarkt können Defibrillatoren Leben retten. In Berlins U- und S-Bahnhöfen hängt allerdings kein einziger. Mediziner und Sanitäter kritisieren das. Die BVG sagt, der Feuerwehrnotarzt könne effektiver helfen.

Die Pfeile zeigen nach links und nach rechts, je nach Bedarf. Zum Bundesrat, Finanzministerium oder der Dalí-Ausstellung? Bitte sehr, in diese Richtung. Zum Kulturforum oder Martin-Gropius-Bau? Bitte, die andere Richtung. Steht doch alles gut ausgeschildert auf der Infosäule auf dem U-Bahnhof Potsdamer Platz. Nur den Hinweis, wie man zu jenem Gerät kommt, das Leben retten kann, wenn ein Passant mit Herzinfarkt zusammengebrochen ist, den gibt die Säule nicht. Kein Wunder: Am gesamten U-Bahnhof gibt es keinen Defibrillator. Mehr noch: Auf keinem einzigen U- und S-Bahnhof in Berlin hängen jene Geräte, die auch jeder Laie bei einem Notfall bedienen kann, die Automatisierten Externen Defibrillatoren (AED).

„Das ist ungünstig, Zeit ist Leben“, sagt Professor Wilhelm Haferkamp, kommissarischer Leiter der Kardiologie im Virchow-Krankenhaus. „Ich hatte gehofft, dass zumindest an den Knotenpunkten der U- und S-Bahn welche hängen“, sagt Heiko Jünger, Geschäftsführer Rettungsdienst des Berliner Verbands des Deutschen Roten Kreuzes und damit oberster Rettungssanitäter des DRK.

Ein Defibrillator wird in jedem Erste-Hilfe-Kurs vorgeführt und hat zwei wesentliche Aufgaben. Er erkennt, ob ein Mensch, der zusammengebrochen ist, gerade eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung erleidet. Vor allem aber, das ist der wichtigste Punkt, er kann Elektroschocks abgeben, damit das Herz wieder in seinem normalen Rhythmus schlägt. „Das Hauptproblem“, sagt der Kardiologe Haferkamp, „sind die Rhythmusstörungen. Die halten sie als Patient nicht lange aus, da sind sie schnell tot.“ Bei Herzrhythmusstörungen sollte der Arzt spätestens nach fünf bis sieben Minuten vor Ort sein. „Wenn das Herz wieder normal schlägt“, sagt Haferkamp, „spielt die Zeit für den Patienten.“ Berlin verfüge über ein exzellentes Notarztsystem, trotzdem ist er nicht sicher, dass in jedem Fall der Notarzt in so kurzer Zeit vor Ort sein könne.

„Bei Herzrhythmusstörungen kommt es auf jede Sekunde an.“

Die BVG allerdings vertraut auf dieses Notarztsystem. Petra Reetz, die Pressesprecherin des Unternehmens, sagt: „Auf jedem Bahnsteig der U-Bahn befinden sich mindestens zwei Notrufsäulen. Dort gibt es einen Notrufknopf.“ Der zuständige Mitarbeiter der BVG sehe sofort, wo der Notfall ausgelöst worden und welcher Zugang für die Feuerwehr am besten sei. Der Notarzt treffe nach drei Minuten ein. Im längsten Fall habe es bisher fünf Minuten gedauert. „Wir haben festgestellt, dass Notrufsäulen ausreichend sind. Daher haben wir entschieden, auf die AEDs zu verzichten.“

Außerdem gebe es das Problem des Vandalismus’. „Nichts ist schlimmer, als wenn Fahrgäste einen Defibrillator benutzen wollen, und dann funktioniert der nicht. Da geht wertvolle Zeit verloren“, sagt Petra Reetz. Und schließlich seien da die Kosten. Ein Defibrillator kostet zwischen 1300 und 1500 Euro. Die Geräte aufzustellen, würde Millionen Euro kosten, zuständig für die Finanzierung wäre das Land Berlin.

Die Deutsche Bahn, zuständig für die S-Bahnhöfe und die Fernbahnhöfe in Berlin, teilt mit: „Es werden ausschließlich Geräte in den abgeschlossenen pächtereigenen Vermarktungsbereichen vorgehalten, auf die die DB keinen direkten Einfluss hat (etwa in der Toilettenanlage am Ostbahnhof und am Hauptbahnhof).“

Den Kardiologen Haferkamp überzeugen die ganzen Argumente nicht. „Kein Notarztsystem kann so gut sein wie ein Gerät, das vor Ort ist“, sagt er. „Bei Herzrhythmusstörungen kommt es auf jede Sekunde an.“ Und Vandalismus? Da kann er nur den Kopf schütteln. „Was ist denn das für ein Argument? In anderen europäischen Städten, gerade an Flughäfen, hat man diese Geräte auch, da scheint der Vandalismus geringer zu sein als in Deutschland.“ Am Flughafen Tegel sind indes 13 und in Schönefeld elf der Geräte für die lebensrettenden Stromstöße für jeden öffentlich zugänglich.

„Da fragt man sich schon: Was ist mir ein Menschenleben wert?“

In Großbritannien und in den Niederlanden, sagt Haferkamp, habe man sich dem Problem anders genähert, „da gibt es gesetzliche Regelungen“. Das Argument Vandalismus bedeutet aus seiner Sicht, „dass man sich dem Problem nicht widmet“. Auch DRK-Geschäftsführer Jünger kann mit dem Argument Vandalismus wenig anfangen. „Es gibt AEDs mit einer Alarmsicherung. Die löst ein Notsignal aus, sobald das Gerät von der Wand genommen wird.“ Es gebe Überwachungskameras, es gebe an einigen Bahnhöfen Mitarbeiter vor Ort, „da rennt keiner mit dem Ding weg, ohne dass es bemerkt wird“. Und die Kosten? Da wird Haferkamp eine Spur emotionaler. „Ein Schleudersitz in einem Jet kostet Millionen Euro. Und wenn Leute in einer Grube verschüttet sind, werden über Wochen Anstrengungen unternommen, um die Leute zu retten. Da fragt man sich schon: Was ist mir ein Menschenleben wert?“ Auch Jünger sagt: „Wenn man damit nur ein Menschenleben retten kann, darf man gar nicht darüber nachdenken.“ Auch DRK-Pressesprecher Jörg Kunz ist überzeugt: „Kosten dürfen bei diesem Thema keine Rolle spielen.“

Ein Problem aber bleibt, und das hat nichts mit Kosten oder Vandalismus zu tun. Es ist die Angst vieler Menschen vor der Bedienung eines Defibrillators. „Da sehen die Leute US-Slapsticks, in denen zwei Kacheln auf die Brust gelegt werden, und die Leute erhalten dann selber einen Stromschlag. Und dann denken sie, das sei die Realität“, sagt DRK-Sprecher Kunz. In Wirklichkeit sei die Bedienung eines Defibrillators absolut ungefährlich für den Bediener und zudem narrensicher. „Da kann überhaupt nichts passieren“, bestätigt auch Haferkamp. Eine Computerstimme erkläre jeden einzelnen Schritt. „Jeder, der der deutschen Sprache mächtig ist, kann einen Defibrillator bedienen“, sagt auch Jünger.

Schnellstmögliche Hilfe ist enorm wichtig

Weil aber die Hemmschwelle bei vielen Menschen trotzdem enorm ist, plädieren Kunz und Jünger dafür, in allen möglichen Bereichen Seminare abzuhalten, in denen der Einsatz von Defibrillatoren gezeigt werde und auch noch andere erste Hilfemaßnahmen vermittelt werden.

Wie bedeutsam schnellstmögliche Hilfe ist, hat Haferkamp vor kurzem erst wieder erlebt. Beim Berliner Halbmarathon brach ein Teilnehmer zusammen. Zufällig lief eine Medizinstudentin neben ihm. Sie leitete sofort Wiederbelebungsmaßnahmen ein. „Vor ein paar Tagen“, sagt Haferkamp, „ist der Patient hier aufrechten Ganges herausgegangen.“

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