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Schonungslos. Marlene Stark schreibt nicht nur, sondern ist vor allem als DJ unterwegs, etwa in der Neuköllner Bar „Sameheads“.

© Kitty Kleist-Heinrich

DJ und Autorin Marlene Stark: Ein Sittenbild der Berliner Kunstszene

Marlene Stark ist DJ, Künstlerin und Co-Autorin des Romans „M.“. Ein Gespräch in Neukölln über Underground, den Kunstbetrieb und Sexismus.

Die Bar „Sameheads“ sieht aus wie das Wohnzimmer eines hippen Messies mit Neunzigerjahrefetisch. Im Schaufenster, das zur Neuköllner Richardstraße zeigt, stehen silbern bemalte Schaufensterpuppen, die abgeschnittene Trainingsklamotten und neonbunt leuchtenden Raver-Kopfschmuck tragen.

Drinnen thront ein Röhrenfernseher mit Dauerstörbild auf einem Podest, dazwischen findet sich allerhand Schräges, Glitzerndes und Blinkendes. Marlene Stark ist oft hier. Zur Begrüßung umarmt sie den englischen Barkeeper über den Tresen hinweg, sodass ihre Beine kurz in der Luft schweben.

Stark ist Künstlerin, DJ und Veranstalterin und hat kürzlich in Co-Autorenschaft mit Anna Gien ihren ersten Roman veröffentlicht. Der hat einige Aufmerksamkeit erregt, was an seinem Thema liegen mag: „M.“ handelt von einer jungen Frau, die in Berlin lebt, als Künstlerin und DJ arbeitet und ihren Körper und ihre Sexualität nutzt, um strukturelle Macht in der Kunstszene zu hinterfragen, was etwa bedeuten kann, dass Protagonistin M. einen wichtigen Galeristen anal mit einem Umschnalldildo penetriert.

Ein Buch wie Otto Dix' "Großstadt"-Triptychon

Aber auch sonst ist der nächste unverbindliche Sex nie weit: M. hat Dreier auf Clubtoiletten oder leitet eine Sexgruppe unter ihren Freunden, bei der sie bestimmt, wer wann mit wem ins Bett steigt. Dabei sparen die Autorinnen kein Detail aus.

Die Welt, die Stark und Gien zeichnen, ja, genüsslich überzeichnen, ist eine von vermeintlicher Freiheit, von Orgien, offenen Beziehungen und Drogenexzessen. Die Erzählung dieser Berliner Subkultur aus Kunst- und Partymenschen erinnert an das „Großstadt“-Triptychon von Otto Dix, ein provokantes Sittenbild über Klassengesellschaft, Partys, Sex und körperlichen Verfall in Berlin Ende der 20er Jahre.

M. hat dabei viele Gemeinsamkeiten mit Marlene Stark, Romanfigur und Autorin legen etwa beide regelmäßig im „Sameheads“ auf. „Diese Idee von Wahrheit ist ja eine wichtige Frage beim Lesen“, sagt Stark. „Was ist biografisch, was nicht? Ich finde es interessant, damit zu spielen.“

Malen tut sie nur noch mit Nan Goldin

Stark wurde 1985 im baden-württembergischen Ellwangen geboren. Sie studierte Malerei an der Kunstakademie in Karlsruhe, hielt es aber bald nicht mehr im Süden Deutschlands aus und zog nach Berlin, von wo aus sie ihr Studium beendete. Heute lebt sie mit ihrer kleinen Tochter in Neukölln.

Der Malerei hat Stark mittlerweile fast vollständig den Rücken gekehrt, nur ab und an malt sie noch gemeinsam mit Nan Goldin, die eines ihrer Ateliers in Berlin hat. „Sie nennt mich ihre Mallehrerin“, sagt Stark und lacht. Für sie ist diese Kunstform nicht mehr zeitgemäß: „Ich kann doch nicht im Bioladen einkaufen und Secondhand-Klamotten tragen und dann ins Studio gehen und eine Materialschlacht verursachen.“

Ein weiterer Grund: Die Strukturen im Kunstbetrieb, der Sexismus, die Ausbeutung und die prekäre Lebenssituation der meisten Künstlerinnen und Künstler, die im krassen Gegensatz steht zum großen Reichtum der Sammler. Der Großteil der Studenten an den Akademien seien Frauen, aber Geld mit Kunst verdienten hauptsächlich Männer.

Sexistische Galeristen, Sammler, Professoren

Seit einer Weile konzentriert sich Marlene Stark darum auf die Musik, produziert und legt bei Partys auf. Insbesondere Sexismus sei in der Underground-Musikszene deutlich weniger verbreitet als in der Kunst, sagt sie. Hier stehen mittlerweile neben bekannten DJs wie Nina Kraviz oder Monika Kruse auch immer häufiger weibliche Nachwuchskünstler hinter dem Mischpult.

„Und wenn es in der Szene einen sexuellen Übergriff gibt und jemand das mitbekommt, ist der Täter raus. Was ich und viele andere Künstlerinnen an Sexismus in der Kunst erlebt haben, von Galeristen, Sammlern oder Professoren, jegliche Angebote mit ihnen Sex zu haben, das habe ich so in der Musikwelt nicht erfahren.“ In der Kunstbranche habe sie von Anfang an gelernt, dass es karrieretechnisch gut sein kann, sich als sexuell verfügbar zu präsentieren.

Trotzdem würden auch in der Musikszene Frauen oft schlechter bezahlt, sagt Stark, vor allem aber fehle es ihnen an Vorbildern – bis vor wenigen Jahren war das Auflegen fast eine reine Männerdomäne. Und so geht es auch bei „M.“ wohl weniger um eine Abrechnung mit dem Kunstbetrieb als vielmehr um Vorbilder: Nicht um die Protagonistin als direktes Vorbild, sondern, so wie bei einigen anderen feministischen Romanen der jüngeren Zeit auch – beispielsweise von Caroline Rosales oder Isabelle Lehn – um das literarische Vorbild. Es geht darum, eine eigene Sprache zu finden, eine eigene Erzählung über den weiblichen Körper und Sex zu schaffen. Denn auch, wenn es, zumindest in Berlin, manchmal anders wirken mag: Diese Erzählung ist bisher eine hauptsächlich männliche.

Anm. d. Red.: In einer ersten Version dieses Artikels wurde die Co-Autorin Anna Gien als Journalistin bezeichnet. Diese Formulierung wurde auf Wunsch Giens gestrichen. Der letzte Absatz erschien im gedruckten Tagesspiegel in leicht gekürzter Fassung.

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