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Dokumentarfilm „Ein Apartment in Berlin": Wenn das Leben Regie führt

Drei Israelis und eine ermordete jüdische Familie aus Berlin. Was haben sie miteinander zu tun? In der Stadt entstand ein Film über das Erinnern und die Erwartungen, die damit verknüpft sind. Der Film „Ein Apartment in Berlin“ läuft am Sonnabend um 22.15 Uhr auf 3sat.

Wie geht das zusammen? Drei Israelis, die aus den unterschiedlichsten Gründen in Berlin leben. Yael Mendel verließ mit 20 ihre orthodoxe Familie, trampte durch die halbe Welt und landete in Deutschland. Yoav Sapir ist Historiker und arbeitet hier. Eyal Roth wollte immer schon in einer angesagten Stadt leben. Und dann sind da noch die Adlers, Kaufleute in Berlin. Vater, Mutter und die drei Söhne, Erich, Bernhard und Heinrich. Enteignet, 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Drei junge Leute aus Israel und eine ermordete jüdische Familie aus Berlin. Was haben sie miteinander zu tun?

Es beginnt mit einer guten Idee. 2009, die Dokumentarfilmerin Alice Agneskirchner stößt in einem Archiv in Potsdam auf die Listen, die Berliner Juden anfertigen mussten, bevor sie deportiert wurden. Listen über ihren Besitz, die Dinge in ihren Wohnungen – Tische, Stühle, Schränke, Betten, Geschirr, Lampen, Kleidung, Bücher, Bilder, Vorhänge, Schmuck. Jede Liste ein Leben.

Zurück in Berlin fällt Agneskirchner auf, wie viele Straßennamen sie in den Listen gesehen hat. Allein bei ihr um die Ecke in Prenzlauer Berg, Stubbenkammerstraße, Raumerstraße. Die Stadt, eine Summe von Wohnungen, die geräumt wurden. Warum, fragt sich Agneskirchner, nicht eine dieser Wohnungen rekonstruieren? Und eine Leerstelle füllen mit den Tapeten, Möbeln und Teppichen aus den Listen. Mit dem Alltag der Leute, die dort nicht leben durften. Zumindest einen Film lang. „Ein Apartment in Berlin“ heißt er, am heutigen Sonnabend läuft er auf „3sat“.

Eine Historikerin bringt Agneskirchner auf die Geschichte der Adlers. Über die Plattform „Israelis in Berlin“ findet sie Mendel, Roth und Sapir, drei von 20 000 Israelis, die in Berlin leben. Sie sollen ihr helfen, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Die drei streifen über den Flohmarkt in der Straße des 17. Juni. Sie kaufen Stühle, Lampen und einen Tisch. Sogar einen siebenarmigen Leuchter entdecken sie. Etwas fehlt daran. Jemand hat den Davidstern herausgebrochen.

Sie ziehen Dinge an, wie sie die Adlers getragen haben könnten, Yael Mendel ein schwingendes Kleid, die Jungs steife Hüte. Alles könnte so schön sein. Ein gutes Projekt, engagierte Leute.

Eyal Roth sitzt auf dem Dach seines Hauses in Neukölln. Er hat blaue Augen, trägt Vollbart und ein T-Shirt mit einem hebräischen Comic. Roth kommt aus Tel Aviv. Er war bei der israelischen Armee, dann studierte er Biologie und ging nach Deutschland. Er ist 30 und aufgewachsen mit Geschichten über Deutschland. Sein Großvater hat Auschwitz überlebt, wenn sie Freitagabend zusammensaßen, beim Essen vor dem Sabbat, dann dauerte es nie lange, bis sein Opa sagte: Wir hatten auch so gutes Essen, bevor uns die Deutschen holten.

Berlin sei „ein cooler Ort“, sagt Roth. Die Stadt von David Bowie. Er schaut über die Dächer Berlins. Fernsehturm, Rathaus Neukölln. Ein paar Straßen weiter die Friedelstraße 47. Ein mintfarbener Altbau, umgeben von Galerien und schicken Bars. Drei goldene Stolpersteine sind in den Boden eingelassen, für Simon, Rachel und Heinrich Adler, auch ein Erinnerungsprojekt. Die Adlers betrieben hier einen Eierhandel. Sie wollten emigrieren, hatten schon ein Visum. Doch ein Sohn war behindert und durfte nicht mit. Also wanderten nur die Söhne Bernhard und Erich aus, nach Palästina. Die Eltern blieben bei Heinrich in Berlin.

Eyal Roth weiß noch gut, wie sich die Wohnung der Adlers langsam mit Möbeln füllte. Drei Zimmer in der Raumerstraße 41 in Prenzlauer Berg. Es ist 2013, die Mieter sind für die Dreharbeiten ausgezogen. Als Erstes kommen grün gestreifte Tapeten, dann ein rechteckiger Holztisch. Irgendwann der Bücherschrank mit herausklappbaren Betten, wie in der Liste.

Er habe nicht verstanden, was das soll, sagt Roth. Was er mit einer großbürgerlichen Familie aus Berlin zu tun habe. Sein Großvater war aus Siebenbürgen, aus einem anderen Milieu. Roth spricht gut Deutsch, aber jetzt schaltet er um auf Englisch. Als sei das Unbehagen so besser auszudrücken. Er habe sich gefühlt wie in einer „Reality Show“, sagt er. In einer Inszenierung von Gedenken, das nicht das seine sei.

Yoav Sapir weiß alles über das Gedenken. Sapir ist Historiker und verdient sein Geld damit, israelischen Touristen die Stadt zu zeigen. Die Synagoge, die Topographie des Terrors, das Mahnmal. Man erreicht Sapir am Telefon, außer Atem, er ist unterwegs zwischen zwei Terminen. Die Israelis seien beeindruckt von der deutschen Erinnerungskultur, sagt Sapir. Aber manchmal frage einer, ob es nicht bedrückend sei, hier zu leben.

Mit bedrückenden Geschichten sei er aufgewachsen, wie alle in Israel. Mit zehn wusste er alles über den Holocaust, sah Filme über Vernichtungslager. Das Bedürfnis, sich von dem Schrecken abzugrenzen, habe seltsame Blüten getrieben. Als Kinder malten sie sich Hakenkreuze in die Hefte und spielten Räuber und Gendarm. Nur dass es „Nazi und Gendarm“ hieß. Er sei am liebsten der Nazi gewesen.

Frühjahr 2013, dritter Drehtag. Die drei haben genug. Ihre Welt sei voller „Knochen und Schädel“, voller Angst, gleich klopft es an der Tür, und etwas Furchtbares geschieht. So wie sie die Adlers wohl hatten, in der Raumerstraße 41. Ihr Sohn kam 1940 in die Landespflegeanstalt Brandenburg, wo er im Zuge der Euthanasie ermordet wurde. Sein Vater ging in ein Werk zur Zwangsarbeit, die Mutter verdiente etwas Geld mit Nähen.

Die Israelis geben der deutschen Regisseurin zu verstehen, dass sie nicht in Berlin seien, um daran erinnert zu werden. Sondern, um woanders zu sein. Yael etwa, die ihren Mann in der ultraorthodoxen Stadt Bnei Berak verließ, den die Eltern für sie ausgesucht hatten. Sie verkaufte ihren Ehering und flog mit dem Geld nach Australien. Inzwischen lebt sie in Amsterdam.

Alice Agneskirchner ist eine große resolute Frau, Jahrgang 1966. Im Haar steckt eine Sonnenbrille, auch abends. So, als wolle sie sich gegen etwas wappnen. Sie erzählt, es sei schwer gewesen, den Film zu finanzieren. Alle hätten gesagt: Nicht schon wieder die Nazizeit. Und dann wollten ihr auch noch die Protagonisten abspringen. Sie ist in Bayern aufgewachsen, bei ihr zu Hause wurde über die Vergangenheit nicht geredet. Sie erfuhr erst davon, als im Fernsehen die Serie „Holocaust“ lief.

Agneskirchner sagt, sie habe das erst lernen müssen: Dass die Israelis und sie verbunden seien durch die gemeinsame Geschichte. „Aber dazwischen stehen unsere Leben.“ Und sie beschließt, sich auch dem Leben zu widmen in ihrem Film. Sie begleitet die drei ins Café, wo sie das tun, was viele Israelis tun, wenn sie zusammensitzen: über den Nahost-Konflikt diskutieren. Sie ist dabei, als Yael in der Wohnung der Adlers an einem Freitagabend ein Abendessen ausrichtet.

Sie begleitet Roth auf sein Dach in Neukölln, wo er und seine Freunde zusammensitzen, Bier trinken, von zu Hause erzählen. Mit den Sprüchen, mit denen sie aufwuchsen: Kauf nichts Deutsches, flieg nie über Deutschland. Inzwischen haben sich die Eltern abgefunden, dass sie in Berlin leben. Als einer von Roths Freunden zu Hause anrief und sagte, er sei jetzt in Deutschland, rief die Mutter: „Denk daran, dass dieser Name ausgelöscht werden muss. Und jetzt viel Spaß!“

Einmal geht Roth ins Jüdische Museum. Dort läuft gerade die Ausstellung „Die ganze Wahrheit. Was Sie schon immer über Juden wissen wollten.“ Es gibt dort eine Glasbox, in der jeden Tag zwei Stunden ein Jude sitzt und Fragen beantwortet. Auch Roth setzt sich in die Box. Ein junger Deutscher bleibt stehen und stammelt, er habe noch nie „mit einem Juden gesprochen“. Das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen – es ist bis heute nicht entspannt.

Ein milder Abend im August, der Film wird im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums gezeigt. Es ist ein Film über das Leben in Berlin geworden. Das dreier junger Israelis. Und das der Familie Adler. Rachel und Simon Adler tauchten unter, lebten in verschiedenen Wohnungen. 1944 wurden sie verraten. In den Akten steht, dass Rachel Adler, als sie verhaftet wurde, sagte: „Ich gehe in den Tod.“

Vor allem aber ist „Ein Apartment in Berlin“ ein Film über das Erinnern und die Erwartungen, die damit verknüpft sind. Darüber, was passiert, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. In einer Szene zieht Sapir eine Nazi-Uniform aus dem Kostümverleih an und spaziert damit durch die Stadt.

Der Film ist zu Ende, die Zuschauer stehen in Grüppchen zusammen. Filmleute, Freunde der Israelis. Margot Friedländer ist gekommen, eine kleine alte Dame in einem dunklen Kleid. Friedländer tauchte in Berlin unter, überlebte Theresienstadt, nach dem Krieg ging sie nach New York. Seit einigen Jahren kommt sie immer wieder nach Berlin.

Die Sprachen gehen durcheinander, Englisch, Deutsch, Hebräisch. Es gibt Diskussionen um Sapirs Szene als Nazi. Ob das eine Provokation ist oder Performance-Kunst. Sapir, ein schmaler Mann mit Brille, steht neben seiner Freundin, einer jungen Deutschen, die zum Judentum konvertieren will. Ein Mädchen tritt zu Sapir und sagt: „Ich glaube, ich weiß, warum du die Uniform angezogen hast. Du wolltest die Macht darüber haben.“ Ja, das kann sein, sagt Sapir. Oder auch nicht. Man ist froh, dass das Heute so viele Perspektiven zulässt im Blick auf das Gestern. Und dass die Geschichte hier nicht zu Ende ist. Vor kurzem hat sich Sapir in Berlin eine Wohnung gekauft.

„Ein Apartment in Berlin“ läuft am Sonnabend um 22.15 Uhr auf 3sat.

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