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Berlin: Drama mit neuer Besetzung

Schon 1971 wurde um das Bethanien gestritten. Die Kreuzberger Politiker tun sich schwer damit

Hier also soll sich Geschichte wiederholen, jedenfalls behaupten das die einen. Andere sagen, dass sei ein ziemlicher Unsinn. Seit Wochen gibt es deswegen einen heftigen Streit.

Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus!

Hat Rio Reiser gesungen mit seiner Gruppe „Ton Steine Scherben“. Über 30 Jahre ist die Textzeile aus dem Rauch-Haus-Song alt – und erneut aktuell. Denn seit Mitte Juni ist das Künstlerhaus Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz wieder besetzt. Die 60 Männer und Frauen, die mit Gerichtsbeschluss und Polizei-Einsatz aus ihrer Fabriketage in der Yorckstraße 59 geholt wurden und kurz darauf das ehemalige Krankenhaus in Beschlag nahmen, halten es mit Rio Reiser. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat deshalb ein Problem, von dem die Politiker, die der Grünen und der PDS vor allem, derzeit nicht wissen, wie sie es lösen sollen. Sie scheiterten bereits mehrfach in ihrem Versuch, mit den Besetzern eine Frist auszuhandeln, wann diese auszuziehen haben. Erst hieß es, nach ein paar Wochen, dann zum Jahresende, plötzlich war von Ende Mai 2006 die Rede. Die Besetzer fordern einen angemessenen Ersatz – mit welchem Recht, ist nicht ersichtlich. Aber mancher Politiker erweckt den Eindruck, in der Geschichte von heute das Spiegelbild der Geschichte von einst zu sehen. Vermutlich ist das der Hauptgrund für das Hin und Her des Bezirks.

Franz Schulz zum Beispiel, Grüner und Baustadtrat des Bezirks, war einer der ersten, die nach der Besetzung zum Künstlerhaus fuhren. „Tolle Nummer“, rief er den Alternativen zu – um daran zu erinnern, dass es ohne die Besetzung vor fast 34 Jahren heute gar kein Bethanien mehr gäbe. Schulz ist einer der wenigen im Bezirk, die öffentlich sagen: „Ich hätte nichts dagegen, wenn die Besetzer bis Mai 2006 blieben.“ Bei anderer Gelegenheit erinnerte er daran, dass es eine alte Forderung sei, Hochkultur und alternative Lebensart zu vermischen. Gerade in Kreuzberg. Ein Parteifreund mutmaßt daher, Schulz könne sich vorstellen, dass das Wohnprojekt im Bethanien bleibt. Schulz wiegelt ab: „Das ist derzeit nicht das Thema.“

Oder Cornelia Reinauer. Die PDS-Bezirksbürgermeisterin sagt zwar, Geschichte wiederhole sich nicht. Nachdem kürzlich mal wieder eine Verhandlung mit den Besetzern gescheitert war, fragte sie allerdings: „Wie soll man gegen einen Mythos angehen?“

Der Mythos Bethanien. Beginn der Hausbesetzerzeit im alten West-Berlin. Cornelia Reinauer ist eine kleine Frau, die mit schwäbischem Akzent spricht. Längst verrät ihr Erscheinungsbild nicht mehr, dass sie eine linke Kreuzberger Kiez-Biografie hat. Doch die hat sie, weshalb sie nun von zwei Seiten heftig kritisiert wird. Für die Hausbesetzer ist sie eine, die ihre Ideale von früher verrät. Und der politische Gegner, CDU und SPD, verlangen von der Bürgermeisterin nach zwei Monaten eine Anwort auf die Frage, wann die Aneignung öffentlichen Eigentums ein Ende habe. Für den CDU-Kreischef Kurt Wansner ist der Fall klar: „Die Bürgermeisterin steckt mit den Besetzern unter einer Decke.“ Was wäre zu tun gewesen? „Sofort rausholen. Die Bürgermeisterin und der Innensenator haben versagt.“ Die SPD-Spitze im Bezirk hat mehrfach betont, dass sie das genauso sieht.

Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da.

Auch das hat Rio Reiser gesungen, als er die Räumung des Bethanien beschrieb. Damals. Dazu soll es nicht wieder kommen, soweit sind sich Bürgermeisterin Reinauer und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) einig. Beide befürchten Krawalle, falls sie räumen würden. Als Körting die Besetzer aus ihrer früheren Bleibe in der Yorckstraße holen ließ, protestierten über tausend Sympathisanten gegen den Polizeieinsatz. Das Wohnprojekt war 16 Jahre lang ein Symbol der linken Szene. Nun soll „deeskaliert“ werden. Also: dulden und verhandeln.

Doch die Verhandlungen ruhen. Vor einer Woche haben die Besetzer das Angebot ausgeschlagen, bis März kommenden Jahres bleiben zu dürfen. Seitdem sind Reinauer und Schulz im Urlaub. Und wenn sie zurückkommen, geht der Bundestagswahlkampf in die entscheidende Phase. Die Lage ist für die Besetzer günstig. Auch weil sie womöglich rechtlich dagegen geschützt sind, einfach rausgeschmissen zu werden. Jedenfalls sagt das Andy Hehmke, der SPD-Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung: „Ein Gericht könnte diesen Anspruch aus der Tatsache ableiten, dass der Bezirk die Besetzer zunächst ausdrücklich geduldet hat.“ Das Thema ist vor allem für die Grünen, gerade in Kreuzberg, ein vermintes Feld. Schließlich will Christian Ströbele hier ein Direktmandat. Er hatte gegen die Besetzung nichts einzuwenden.

Im Gegensatz zu Christoph Tannert, dem Leiter des Künstlerhauses Bethanien. Er hat zu DDR-Zeiten im Untergrund verbotene Ausstellungen organisiert. Ein Unangepasster also auch er. Von einer Reanimation des alten Mythos aber will er nichts wissen: „1971 wiederholt sich nicht. Es gibt weder innerhalb noch außerhalb des Bethanien eine Situation, die eine Revolution erfordert.“ Außerdem: „Damals wollten Spekulanten das Gebäude abreißen, dagegen musste man sich wehren.“ Heute ist das Haus denkmalgeschützt, und Tannert nennt die Besetzung „einen vom Bezirk geduldeten Rechtsbruch“.

Bleiben die Besetzer. Der Weg zu ihnen führt über ein Treppenhaus, wo verschiedene Epochen deutscher Protestlyrik vereinigt sind. „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ steht da. Oder „Bullenschweine – ich brech euch Genick und Beine“. Im Flur des besetzten Bürotraktes türmen sich die Möbel des Sozialamts, das es hier vor Hartz IV gab. Was stellen sich die Besetzer als „angemessenen Ersatz“ vor? Jonas, Buchhalter, um die 30 und vor acht Jahren in die Yorckstraße gezogen, sagt: „In etwa das, was wir bisher hatten“. In der Yorckstraße gab es auf 2700 Quadratmetern Männer-, Frauen-, Lesben- und gemischte WGs. Initiativen gegen Rassimus oder Hartz IV durften im Haus Büros einrichten. Jetzt Bücherkisten auszupacken und Hochbetten aufzubauen, lohne sich nicht, sagt Linda, 42 – weil man ja wieder ausziehe. Der Einbau einer mobilen Dusche lohnte sich dagegen schon.

Nicht alle Yorckstraßenbewohner konnten sich mit dem Gedanken anfreunden, ein Haus zu besetzen. Von den älteren sind vorher ein paar abgesprungen. Eine Ehemalige sagt, sie habe das Gefühl, „dass es einigen Jüngeren nur noch darum geht, Radau zu machen.“ Als einer die Willy-Brandt-Büste aus der SPD-Zentrale stahl, hatte sie genug. Mit dem Geist von 1971 habe das nichts zu tun.

Mitarbeit: Thomas Loy

Marc Neller

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