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Berlin: Drei Prozent Hoffnung

Trotz schlechter Umfragewerte treten die Piraten beim Wahlkampfauftakt in Berlin selbstbewusst auf.

Von Sabine Beikler

Die Piraten stehen auf Berlin. Für den Bundestagswahlkampf ist die Hauptstadt der Dreh- und Angelpunkt. Am Sonntag stellten sich in Berlin alle Spitzenkandidaten der Länder vor, der Wahlkampf startete im Kreuzberger Club „Ritter Butzke“ Live-Schaltungen in andere Städte, die Wahlkampfzentrale in der Landsberger Allee wird zurzeit eingerichtet. Und lernen wollen Piraten wie die Spitzenkandidaten Bruno Kramm aus Bayern oder Melanie Kalkowski aus Nordrhein-Westfalen auch von Berliner Parteifreunden und absolvierten bereits einwöchige Praktika im Abgeordnetenhaus. „Wichtig ist zu wissen, wie man mit parlamentarischen Prozessen umgeht“, sagt Kramm, Musiker mit Hut und roten Haaren.

Schlechte Umfragewerte von aktuell drei Prozent für die Bundestagswahl ficht die Piraten nicht an. Die Partei, zurzeit 10 000 zahlende unter 30 000 angemeldeten Mitgliedern, strahlt Siegesgewissheit und Selbstbewusstsein aus. „Wir Spitzenkandidaten haben uns schon zweimal getroffen. Die Chemie stimmt, und wir können sicher im Bundestag gut zusammenarbeiten“, sagt die 38-jährige Berliner Spitzenkandidatin Cornelia Otto. Die Freiberuflerin, die zurzeit über Finanzmarktsoziologie ihre Bachelorarbeit schreibt, kam 2009 zu den Piraten, damals aus Protest gegen Vorratsdatenspeicherung. „Ich will mich engagieren“, sagt Otto. Ihre politischen Schwerpunkte sind Soziales und Finanzpolitik. Sie will prekäre Beschäftigungsverhältnisse verhindern, den europäischen Rettungsschirm kritisch hinterfragen, im Bundestag ein Lobby-Register initiieren und direkter mit den Bürgern kommunizieren. „Einfach mal Tacheles reden“, ergänzt Diplom-Finanzwirtin Melanie Kalkowski, die im Bundestag gegen „Absurditäten im Steuerrecht“ kämpfen will.

„Wir stellen das mal infrage“ und „Aufbrechen, klarmachen, ändern“ lauten die Wahlkampfslogans der Piraten. Diese Mottos sollen sich auf den 120 000 Plakaten bundesweit widerspiegeln. Die 15 Plakatmotive behandeln Wirtschaftspolitik, Bildung, Transparenz, Demokrate oder Netzpolitik. Und meistens sind neben den Texten auch noch Köpfe abgebildet. „Wir wollen Köpfe nicht von Inhalten trennen“, sagt der Bundeswahlkampfleiter Salomon Reyes aus Berlin.

Rund 400 000 Euro geben die Piraten für ihren Wahlkampf aus. Damit finanzieren sie auch Flyer zu einem Dutzend Politikfeldern. Auf Bildungsebene sprechen sich die Piraten zum Beispiel gegen das Sitzenbleiben und sogenannte Kopfnoten aus, für Lernziele statt Lehrpläne oder die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe aus. In der Sozialpolitik fordert die Partei das bedingungslose Grundeinkommen, einen bundesweiten Mindestlohn für Angestellte von 9,02 Euro und für befristet Beschäftigte von 9,77 Euro. Die Sanktionen bei Hartz-IV-Regelungen sollen abgeschafft und die Leiharbeit strikt begrenzt werden. Um Kleinanlger und Rentner vor Spekulationen zu schützen, plädieren die Piraten für eine konsequente Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken. Ein neues Unternehmensstrafrecht soll eingeführt werden, damit Unternehmen unmittelbar für Korruptionsdelikte zur Verantwortung gezogen werden. Und in der Datenschutzpolitik lehnen die Piraten Vorratsdatenspeicherung, Wohnungs- und Telefonüberwachung sowie die Weitergabe von Reisedaten an Staaten außerhalb der EU strikt ab. Spitzenkandidatin Otto will in der Hauptstadt noch die Mietenpolitik als zusätzlichen Schwerpunkt setzen.

Etwa 3500 Mitglieder haben die Piraten in Berlin. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2011 zog die Partei mit 8,9 Prozent der Stimmen erstmals in ein Landesparlament ein. 130 105 Berliner glaubten damals den Versprechen von Transparenz und Partizipation. Doch die 15-köpfige Fraktion hangelte sich in den letzten Monaten von einer Führungskrise zur nächsten. Der „Höhepunkt“ der zum Teil privat motivierten Ränkespiele war die Wahl einer neuen Fraktionsspitze.

Die Piraten sitzen inzwischen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein- Westfalen in weiteren Landesparlamenten. Auch wenn sie Transparenz und Partizipation programmatisch hochhalten: Auf dem Bundesparteitag im Mai bekannten sich die Piraten gegen eine ständige Mitgliederversammlung im Netz, um Anträge verbindlich abzustimmen. Beim Wahlkampfauftakt in Berlin war das kein Thema mehr. Sabine Beikler

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