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Berlin: Drei, zwei, eins – keins

Die Reise von Waren, die im Internet gekauft wurden, endet oft beim Zoll. Obendrein drohen dem Empfänger saftige Nachzahlungen

Kein Transportweg hat den globalen Warenverkehr so vervielfacht wie die Datenautobahnen. Seit deren Ausbau sind die reiselustigen Deutschen nicht mehr nur physisch in aller Welt unterwegs, sondern auch virtuell im World Wide Web. Und zwar alle Altersgruppen. Schnäppchenjagd ist zum Breitensport geworden. Im Internet gibt’s dieselben DVDs, Turnschuhe, Uhren, denselben Schnaps oder Kaffee entschieden billiger – wie früher auf Auslandsreisen. Und sie werden noch billiger, wenn man sie ersteigert auf digitalen Auktionen. Dank Ebay bekommt Schnäppchenjagd obendrein einen Poker-Thrill.

„Wir hatten 2004 knapp 30 000 Abfertigungen“, sagt Zollamtmann Frank Grzyb, „Ende 2006 waren’s bereits über 50 000, und Hochrechnungen für 2007 ergeben, dass wir an die 60 000er- Grenze kommen.“ Die Zahlen beziehen sich allein auf Dinge, die per Post aus dem Nicht-EU-Ausland an Empfänger in Berlin kommen. Sie werden zentral im Zollamt Schöneberg bearbeitet, einem freundlich-nüchternen Flachbau zwischen Stadtautobahn und ehemaligem Rias. Grzyb ist seit 1988 im Zollamt Schöneberg, inzwischen stellvertretender Vorsteher und nebenbei für die Diplomatenpost zuständig. „Die Steigerung“, sagt er, „ist zu 90 Prozent auf den Internetversandhandel zurückzuführen.“

Einundvierzig Zollbeamte und -angestellte wickeln hier ab, was reinkommt. Seit September an vier Wochentagen bis halb sieben Uhr abends. Trotzdem muss man etwa eine Stunde einkalkulieren, auch wenn man zu den zwanzig Prozent Leuten gehört, deren Post abgabenfrei ist – nämlich wirklich ein Geschenk für maximal 45 Euro oder etwas Gekauftes für maximal 22 Euro. „Dann ist man schnell wieder weg, aber nur, wenn das auch papiermäßig sauber dokumentiert ist: Jawoll, das ist ein MP3-Player aus Hongkong für 13,99 Euro“, warnt Grzyb.

„Andernfalls sieht’s schlecht aus“, erklärt Thomas Hartung, „dann werden Zoll und Einfuhrumsatzsteuer fällig.“ Letztere heißt auch Mehrwertsteuer, derzeit neunzehn Prozent. Die Zollgebühr variiert jeweils und steht zumeist europaweit einheitlich in langen Warenlisten. „Die kann bis zu 75 Prozent betragen.“ Zollobersekretär Hartung arbeitet seit einem Jahr hier in dem großen Schalterraum, der durch einen flachen Tresen geteilt ist. Davor stehen Kassenbox und Wartebänke für die Kunden, dahinter befinden sich Computerarbeitsplätze für die Mitarbeiter. Auf Sackkarren werden immer wieder exotische Riesenpakete aus dem riesigen Lager hinter dem Schalterraum hereingefahren. Von dort werden auch wattierte Umschläge hereingereicht. Ratschend aufgerissene Klebebänder, klackernde Tastaturen, surrende Drucker, Gesprächsfetzen: Hartung findet Zollrecht faszinierend, und Publikumsverkehr sieht er sportlich-spielerisch. „Jeder Zöllner hat seinen Riecher, und jeder Zollbeteiligte versucht ja, wenn’s geht, nichts zu zahlen. Aber im Gespräch kriegt man da schon viel raus.“ Ob das wirklich ein Geschenk oder wirklich so wertlos ist, wie der „Zollbeteiligte“ treuherzig erklärt. Den Zöllner nervt es nur, wenn die Kundschaft aggressiv reagiert: „Was hat’n der Zoll damit zu tun, wenn ich mir was kaufe?!“ Da muss Hartung dreimal schlucken und in Ruhe erklären, dass es prinzipiell egal ist, ob man sich etwas aus dem Ausland mitbringt oder schicken lässt. Ist es zoll- und steuerpflichtig, muss man es anmelden und verzollen und versteuern. Alles andere ist Steuerhinterziehung und ein Straftatbestand, der je nach Schwere mit hohen Bußgeldern und sogar Haftstrafen bis zu fünf Jahren geahndet werden kann.

Kriminell über die Steuerstraftat hinaus ist alles, was den Markenschutz verletzt. Nicht nur Produktpiraterie, also total gefälschte Marken, sondern auch Parallelimporte, wie sie amtlich heißen: Originalsachen oder Lizenzen, die für einen bestimmten Markt produziert werden und nur da verkauft werden dürfen. Luxusfirmen zum Beispiel bieten ihre Produkte in armen Ländern billiger an, um da überhaupt auf dem Markt zu sein. Allerdings lassen sie ungern mit diesen billigen Waren die Preise auf teureren Märkten kaputtmachen. Sie bestimmen auch, wann sie wie auf welchem Markt auftreten. „Apple-iPhones zum Beispiel sind schon aufgetaucht“, sagt Hartung. Erst im Herbst will sie der Hersteller offiziell in Europa verkaufen. Wer sich da superclever das Objekt seiner Begierde von texanischen Freunden schicken lässt, hat Pech. „Da geht an dem Tag erst mal gar nichts“, grinst Hartung. „Was damit passiert, entscheidet der Rechteinhaber, und der hat maximal zwanzig Tage Zeit.“ Falls er die Sache gnädig als Bagatelle durchgehen lässt, machen zwar immer noch die bekannten Steuern und Zölle das superclevere Schnäppchen superteuer. Aber etliche Firmen sind inzwischen beim kleinsten Verstoß notorisch ungnädig. „Dann kommen noch vierstellige Abmahngebühren dazu“, sagt Grzyb, „auch bei einem Paar Turnschuhe, die sich als Plagiat herausstellen.“ So kann sich zum Beispiel ein 700-Euro-Luxustäschchen, das jemand als Ebay-Schnäppchen für 100 Euro ergattert hat, plötzlich als Fake herausstellen. Das kostet nicht nur paar tausend Euro, sondern das Schnäppchen ist am Ende auch noch weg. „Der Käufer muss die Vernichtung beantragen, erst damit erlischt auch die Steuerschuld“, erklärt Hartung. Und Grzyb ergänzt: „Widerspricht er, leitet der Rechteinhaber ein Verfahren ein, dann kommen auch noch die Gerichtskosten dazu.“

Auf großzügige Richter sollte man nicht spekulieren. Markenplagiate, ob Bremsbeläge oder Spielzeug, können lebensgefährlich sein. Gegen sie weht inzwischen europaweit ein ebenso scharfer justizieller Wind wie gegen illegale Einfuhr von Arzneimitteln, Pornos, Drogen und Waffen. Die Tabaksteuer sollte man ebenso wenig per Post zu umgehen versuchen wie die für Bier, Schaum- und Branntwein oder diese Abgabe, die es außer in Belgien und Dänemark nur in Deutschland gibt: die Kaffeesteuer. Knapp eine Milliarde Euro kassiert der Bund jährlich, gut dreimal so viel kommt durch Alkoholika aller Art herein, 15-mal soviel durch Tabak. Man darf zwar bis zu zehn Kilo Lieblingsespresso aus Italien nach Hause schleppen, das gilt als Eigenbedarf. Aber lässt man ihn sich schicken, kostet einen jedes Kilo 2,19 Euro Steuer. Der hiesige Käufer muss ihn anmelden, sonst begeht er Steuerhinterziehung. „Und die Ware kann als Tatgegenstand eingezogen werden“, sagt Michael Kerscht, „als Nebenfolge im Strafverfahren.“ Der Zolloberamtsrat ist stellvertretender Leiter des Sachgebiets Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten beim Hauptzollamt Berlin. Dessen Bürokomplex zwischen Columbiadamm, Platz der Luftbrücke und Schwiebusser Straße ist im selben Stil erbaut wie der Flughafen Tempelhof gegenüber. Die Kantine ist noch so denkmalgepflegt authentisch, dass sie jüngst als Kulisse für die Cruise-Stauffenberg-Crew diente. Normalerweise herrscht im Haus ganz unzackige Computermoderne. Das Gros der zollrelevanten Verkehre passiert heute via Internet, auch Zollermittler arbeiten netzgestützt und seit 2004 auch im Netz. „Wir haben in Frankfurt (Oder) die Zentrale Internet-Recherche-Einheit ZIRE“, sagt Kerscht, „die wurde gegründet, um mit Rechnern recherchieren zu können, die nicht als Behördenrechner erkannt werden können.“ Also verdeckt. Was die ZIRE findet, kommt auf die Tische von Kerschts Abteilung. So erklärt sich, dass – obwohl die Kaffeesteuer seit 1993 existiert – Ende 2004 zum ersten Mal Internetforen gegen „Zoll-Abzocke“ schäumen. Gut ein Jahr später steigen die Medien ein mit Berichten über die „Kaffee-Katastrophe bei Ebay“. Die Internetzollfahnder hatten sich auf die Spuren des Ebay-Anbieters gemacht. „Wir konnten in einem Verfahren gut 3000 Verkaufsgeschäfte ermitteln“, erzählt Kerscht, „mit etwa 2300 Abnehmern.“ Bei solchen Ermittlungen wird Ebay und jede andere Internetvermittlung zum Zeugen und muss Namen und Anschriften herausrücken. Es dauert, bis die alle überprüft und befragt sind. „Es ging da nicht um große Summen, nur zwischen 4,50 und hundert Euro, und unser Ziel ist auch nicht, den kleinen Bürger zu kriminalisieren. Wir wollen an die Verkäufer ran, die das im großen Stil betreiben.“ Die Verfahren gegen diese Käufer sind alle nach Zahlung der Steuern wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Die inkriminierte Ware konnte in diesem Fall nicht eingezogen werden, sie war längst weggeschlürft. Aber immerhin einen Händler haben sie erwischt: Steuerschuld 47 000 Euro. Die andern saßen alle im Ausland. Manche Anbieter bei Ebay & Co. werben inzwischen mit Firmensitz in Deutschland und schon versteuerter Ware. Andere, ausländische, verstecken irgendwo ganz unten im Kleingedruckten, dass man ihren Kaffee noch versteuern muss.

Aber nicht jeder an der Steuer vorbeigetrickste Kaffee kommt per Internetversand. „Seit letztem Jahr läuft ein großes Geschäft vor allem mit Kaffeepads“, sagt Kerscht. „Die sind in den Niederlanden besonders billig und kommen anhängerweise auf Wochenmärkte hinter der Grenze. Das geht immer in Wellen, je nachdem, wie der Preis im Ausland ist.“

Die Ermittlungen sind weiter tausendfache Kleinarbeit pro Jahr. Die richtig dicken Steuerfische sind beim Thema Kaffee nicht zu angeln. Die schwimmen eher in Diesel. Auf 14 Millionen Euro Steuerschuld stieß Kerscht in einem einzigen Fall. Mineralölsteuereinnahmen sind 40 Mal so hoch wie die von Kaffee. Ein „verschwundener“ Branntweinlastwagen bedeutet einen sechsstelligen Steuerausfall. Wie hoch der Schaden durch Elektronik „aus Hongkong“ mit umfrisierten Rechnungen ist, weiß kein Mensch. „Die Masse an Gütern, die heutzutage weltweit hin- und hertransportiert wird, kann man nicht flächendeckend überprüfen.“ Stichproben müssen reichen.

Das ist im Zollamt Schöneberg anders. „Wir haben eine extrem hohe Beschauquote“, sagt Zollamtmann Grzyb, „80 Prozent.“ Deshalb dauert es etwas, bis man sein Amazon-Buch aus den USA oder die Flasche echten Tequila aus Mexiko erhält. Aber deshalb kommen eben auch kaum schmutzige Geldscheine, Zigaretten oder Drogen per Post. „Das hatten wir ein Mal, waren 1,2 Kilo Heroin“, erinnert sich Grzyb. Vor 20 Jahren.

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