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Berlin: Drewermanns Märchen für Erwachsene

Für den Andrang beim Vortrag des umstrittenen Theologen war die Emmauskirche viel zu klein – Hunderte mussten draußen bleiben

Eine halbe Stunde vor Beginn des Vortrags geben die Ordner auf. Niemand darf mehr rein. 600 Leute drängeln sich bereits in der Emmauskirche. Genauso viele drücken von draußen nach, um in dem roten Backsteinbau in Kreuzberg dem Vortrag von Eugen Drewermann zuzuhören. „Gehen Sie bitte nach draußen. Wir stellen einen Lautsprecher auf die Wiese“, sagen die Ordner.

Was die Kirchentagsbesucher an dem Theologen und Psychotherapeuten fasziniert? Die wenigsten können es genau sagen. Es ist vor allem die Persönlichkeit Drewermanns, die sie begeistert. „Charismatisch“, „eindringlich“, „wortgewaltig“, „angenehm bescheiden“ sind die Stichworte, die bei seinem Namen fallen. Die wenigsten haben ein Buch von ihm gelesen, doch meisten haben ihn bereits im Fernsehen gesehen. „Man versteht, was er spricht“, fasst es eine ältere Dame aus der Uckermark zusammen. „Er spricht mir aus dem Herzen.“ Auf mehreren Kirchentagen hat sie ihn bereits gehört. Drewermann, sagt sie, sei ein bisschen Lebenshilfe. „Man wird ungeduldig, wenn man alt wird“, erklärt sie. „Ich erhoffe mir ein paar Tipps für meinen Lebensabend.“

Applaus brandet auf, als der so Verehrte einige Minuten zu spät zu seinem Vortrag eilt. Das Manuskript in einer Plastiktüte in der Hand muss er sich mühselig einen Weg durch die Wartenden bahnen. Drinnen wird er mit begeistertem Rufen empfangen. Drewermann spricht über „Die Kunst zu leben und die Kunst zu sterben“, indem er die beiden Grimmschen Märchen „Gevatter Tod“ und „Fundevogel“ interpretiert. Ein Stückchen Bibelkritik. „Die Bibel“, sagt Drewermann, „enthält nur wenig Märchen. Denn in der Regel werden Märchen als profane Geschichte begriffen.“

Menschen, die in der Hospizbewegung arbeiten, sind gekommen, um sich seine tiefenpsychologischen Deutungen anzuhören, aber auch Fans seiner Märcheninterpretationen. „Jedes Märchen ist eine Parabel menschlicher Existenz“, sagt eine Frau, die aus Bremen angereist ist. „In jedem Märchen drückt sich die Erfahrung aus, dass die Kraft zur Bewältigung all meiner Probleme in mir selbst liegt.“ Eben das schaffe Drewermann aus den Märchen herauszulesen. „Er legt das geheime Wissen frei, was wir alle in uns tragen“, sagt sie.frh

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