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Berlin: Durch den Rost des Rechts gefallen

Niemand sitzt länger in Abschiebehaft als Siva. Der 23-jährige Tamile ist im Hungerstreik

Beim letzten Besuch sagte Paramesvaran Sivabalasundaram noch: „Ich werde langsam verrückt hier.“ Länger als ein Jahr saß der 23-jährige Schauspieler aus Sri Lanka damals schon in Abschiebehaft in Köpenick, inzwischen ist er auf die Krankenstation in der JVA Moabit gebracht worden. Ein Hungerstreik, den er vor fünf Wochen begann, hat ihn lebensbedrohlich geschwächt. In einem Schreiben an die deutschen Behörden bittet der Tamile, der der zurzeit am längsten inhaftierte Abschiebehäftling in Berlin ist, um seine Freilassung und eine persönliche Anhörung in einem Asylverfahren. „Wenn Sie mir diese Bitte nicht erfüllen, werde ich den Hungerstreik bis zu meinem Tod fortsetzen“, schreibt er. „Ich flehe Sie an, mein Leben zu retten.“

Doch die deutschen Behörden geben sich ungerührt. Erst vor wenigen Tagen lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Berlin die Zulassung eines Asylfolgeantrags ab. Begründung: Die Tatsachen, die vorgebracht würden, seien irrelevant. Auf Sivabalasundaram, der sich kurz Siva nennt, wirken solche Worte zynisch: Monatelang saß er ohne Anklage in einem Gefängnis von Sri Lanka. Er kann Folternarben an Armen und Beinen zeigen und von weiteren Misshandlungen berichten. So schnürte man ihm eine Plastiktüte über den Kopf, die vorher mit Benzin gefüllt worden war. Die Polizei in Sri Lanka hatte Siva verhaftet, nachdem er in einem regierungskritischen Theaterstück die Hauptrolle gespielt hatte. Sie hielt ihn für einen „Tamil Tiger“, einen Untergrundkämpfer. Nachdem Siva aus der Haft fliehen konnte, schaffte er es über Umwege nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde aus formalen Gründen abgelehnt. Bis heute ist Siva nicht ein einziges Mal persönlich angehört worden.

Am 20. April hat der Tagesspiegel bereits über Sivas Schicksal in der Abschiebehaft berichtet. Wenige Tage später kündigte die Behörde an, Siva abzuschieben. Seine Anwältin hatte zu dieser Zeit beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bereits einen Antrag auf Prüfung eines Asylfolgeverfahrens gestellt. Diesem gab das Bundesamt am Morgen des Abschiebetages tatsächlich statt – was zur Folge gehabt hätte, dass Siva nicht abgeschoben werden durfte. Bei der Ausländerbehörde, die die Abschiebungen ausführt, weiß man an diesem Nachmittag jedoch von nichts. Der für die Abschiebung zuständige Beamte Peter Staudtmeister sagt: „Wenn ich kein Fax auf dem Tisch habe, wird abgeschoben.“ Beim Bundesamt reagiert man ungläubig. Die Beamtin sagt, sie habe am Morgen ein Fax an Staudtmeister geschickt. Sie verspricht, sofort ein weiteres Fax zu senden und anzurufen – versucht es aber mehrfach mit einer veralteten Telefonnummer. Stundenlang geht es hin und her, schließlich heißt es bei der Ausländerbehörde dann doch: „Das Bundesamt hat sich gemeldet. Wir werden nicht abschieben.“

Siva ist mit seiner Geduld inzwischen fast am Ende. „Ein Jahr sitze ich im Gefängnis. Ich bin kein Verbrecher“, sagt er. Der Amtsrichter, der Siva wiederholt hinter Gitter geschickt hat, damit er sich seiner Abschiebung nicht entziehen kann, argumentiert im Fall Siva eher pragmatisch. „Wir können nicht halb Indien aufnehmen“, sagt Dietrich Lexer. Sivabalasundaram habe deshalb „gute Chancen, die Höchstdauer von 18 Monaten zu sitzen“. Zur Panne in der Ausländerbehörde sagt der Richter: „Herr Sivabalasundaram ist wohl durch den Verfahrensrechtsrost gefallen.“

Siva steckt in einem Dilemma. Auf der einen Seite fürchtet er sich vor der Abschiebung, zumal er ohne dauerhafte Ausweispapiere nach Sri Lanka geschickt würde. Auf der anderen Seite will er so schnell wie möglich aus der Abschiebehaft heraus. „Eine Duldung wäre durchaus drin“, glaubt der Jesuit Dieter Müller, der seit vielen Jahren Gefangene in Köpenick betreut. Er ist überzeugt: „Siva ist extrem glaubwürdig.“ Müller macht sich große Sorgen um den Gesundheitszustand des Tamilen. Er ist durch den Hungerstreik sehr schwach, wiegt weniger als 50 Kilo bei circa 1,68 Meter Körpergröße.

Wenn ein Arzt Siva in Moabit die Entscheidungsfähigkeit absprechen sollte, kann er dort zwangsernährt werden. Zurzeit läuft eine Klage gegen die Nichtzulassung von Sivas Asylfolgeverfahren. Wird die Klage abgelehnt, kann Siva abgeschoben werden, sobald er reisefähig ist. Die Ausländerbehörde hat die Abschiebung vorsorglich bereits für den 29. Juli geplant.

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