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Berlin: Durchblick für alle

Diagnose Krebs – und dann die Fragen. Sind Spontanheilungen möglich? Wie wirkt sich Rauchen aus? Und wie verändert sich der Sex? Antworten gab’s am Wochenende, bei der Ersten Offenen Krebskonferenz in Berlin. Sie wurde ein großer Erfolg

Medizinkongresse sind normalerweise Expertentreffen, Patienten oder Angehörige haben selten etwas davon. Deswegen hatte die Deutsche Krebsgesellschaftschon im vergangenen Jahr versucht, dieses Schema mit einem „Krebsaktionstag“ zu durchbrechen, an dem jeder Interessierte teilnehmen konnte – und es kamen 4000 Besucher. Für die Gesellschaft war das Grund genug, nun, mit Unterstützung der Berliner Krebsgesellschaft, noch etwas weiter zu gehen. An diesem Wochenende fand im ICC die „Erste Offene Krebskonferenz“ statt.

Schon am Morgen wurde es voll im ersten Stock des Kongresszentrums. Es gab Workshops, in denen Experten über den neuesten Stand von Diagnostik und Therapie verschiedener Krebsformen informierten. In Saal drei hatten die großen Pharmahersteller – Merck, Novartis, Pfizer und Roche – eine Fachausstellung aufgebaut. Im Brückenübergang stellte die Regionalgruppe der Diättrainerinnen Ernährungsprogramme vor, die helfen sollen, einer Krebserkrankung vorzubeugen. Nur ein paar Schritte weiter war ein mannshohes Modell von einem menschlichen Darm aufgebaut. Dreiteilig. Gesunder Darm, Darm mit gutartigen Polypen, Darm mit Krebs. Und direkt gegenüber warb die Berlinerin Christine Krupke für eine Reha-Sportgruppe für Krebspatientinnen. Rund 30 Frauen joggen regelmäßig in der Wuhlheide nach einem mit Ärzten abgestimmten Programm.

Auf dem Programm standen auch Vorträge. Darüber, wie Rauchen, Ernährung und Sport den Krebs bedingen. Und über heiklere Themen. Spontanheilungen. Die durch die Krankheit veränderte Sexualität oder auch Tumorerkrankungen bei Migranten. In anderen Hallen wieder stellten sich die Selbsthilfegruppen vor. Sie wissen: Vorsorge und Früherkennung interessieren keineswegs nur eine Minderheit. 400 000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an Krebs, und es werden immer mehr, in der alternden Gesellschaft.

Erwartet hatten die Initiatoren höchstens 5000 Besucher – es wurden 7200. Und es waren vor allem Patienten, Menschen, die selber an Krebs leiden oder gelitten haben, sagten die Vertreter an den Ständen. Wer mit den Besuchern sprach, hörte die verschiedensten Geschichten – und kaum eine war schön. Die von jenem älteren Herrn aus Brandenburg zum Beispiel, der seinen Namen nicht sagen wollte, weil er sich zu sehr schämte. Alle sechs Monate war er ängstlich zur Vorsorgeuntersuchung gegangen, erzählt er. Er hatte gemeint, alles getan zu haben, um dem Krebs zu entkommen. Er konnte es dann zuerst gar nicht glauben, als ihm der Urologe plötzlich die Diagnose mitteilte: Prostatakrebs. Das war im vergangenen Herbst. Im November dann die Operation. Zurückgeblieben ist ein vergleichsweise kleines Problem: die Inkontinenz. Nicht dramatisch, sagen die Ärzte. Beckenbodengymnastik. Der Patient aber leidet. Deswegen sei er ins ICC gekommen. „Ich wollte mich informieren, was ich sonst noch tun kann“, sagt er. Er hat mit Vertretern von Selbsthilfegruppen gesprochen und bis zum Mittag wenigstens „das Gefühl gewonnen, dass die Heilung doch gut verläuft. Das nimmt mir etwas von meiner Scham.“

Die zweite große Gruppe der Besucher waren die Angehörigen. Die Berlinerin Angelika Winter-Meyer zum Beispiel war gekommen, weil ihre Schwester im vergangenen Jahr, 52-jährig, schwer an Brustkrebs erkrankt war. Und dann diagnostizierten die Ärzte auch noch bei der Nichte, 36, ein Karzinom. Auch sie musste mehrfach operiert werden. Sich zu informieren, kann der Krankheit nichts anhaben. Aber es kann Ängste nehmen.

Brustkrebs, der tödlichste Frauenkrebs, war eines der Hauptthemen dieser Konferenz – und die Vorsorge, die zu viele nicht ernst genug nehmen. „Wir reden über zehn Millionen Frauen in Deutschland“, sagt Irmgard Naß-Griegoleit von der „Women’s Health Coalition“ in der Veranstaltung über das „Mammografie-Screening“. Sie meint alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren. Die haben nämlich per Gesetz seit dem 1. Januar 2004 alle zwei Jahre Anspruch auf eine radiologische Untersuchung der Brust. Vorbild für dieses hart umkämpfte Früherkennungsprogramm sind Länder wie die Niederlande oder Großbritannien.

Die Vorbereitungen haben lange gedauert: In den Jahren 2001 und 2002 liefen nach ausgedehnten Beratungen in Bremen, Weser/Ems und Wiesbaden erst einmal drei Modellprojekte an. Nun müssen Zertifizierungen die Qualität der teilnehmenden radiologischen Zentren sichern. „Ein schlechtes Screening ist nämlich fast schlimmer als gar kein Screening“, sagt Jan Graebe-Adelssen, neuer Geschäftsführer der Kooperationsgemeinschaft Mammografie aus Köln.

Wenn alles gut geht, werden alle Berlinerinnen dieser besonders gefährdeten Altersgruppe im letzten Quartal dieses Jahres zur Durchleuchtung eingeladen werden. Neben den Frauen aus Bayern, Westfalen-Lippe, Nordrhein und Bremen werden sie die ersten sein, die vom Screening profitieren. Man werde das Programm jetzt „im Schweinsgalopp“ realisieren, versprach Jan Graebe- Adelssen.

Das Ziel – die Brustkrebs-Todesfälle um 20 bis 30 Prozent zu senken – ist jedoch ehrgeizig. Die Radiologin Ingrid Schreer, Leiterin des Brustzentrums an der Uni Kiel, berichtet, dass es in England nur zu einer 14-prozentigen und in Holland zu einer 18-prozentigen Reduktion gekommen ist.

Es liegt dabei nicht allein an der Qualität der Ärzte, sondern auch in der Natur des Verfahrens selbst, dass keine Garantie gegeben werden kann. Wunder kann die Mammografie nicht wirken, es werden immer wieder Knoten übersehen, oder es gibt blinden Alarm wegen gutartiger Veränderungen. Trotzdem glaubt Schreer, dass ein Mammografie-Screening-Programm, wie es jetzt in Deutschland startet, die Sterblichkeit senken kann. Sie kritisiert aber, dass alle anderen Mammografien – bei jüngeren Frauen etwa – nicht solchen Qualitätsstandards genügen müssen.

Die Initiatoren hoffen, dass bis zu 70 Prozent der berechtigten Frauen das neue Angebot wahrnehmen werden. Weil aber nicht alle so gut informiert sind wie die, die die Offene Krebskonferenz besuchten, will die „Women’s Health Coalition“ mit der „Initiative Brust- Check“ Abhilfe schaffen. Eine Studie, die in Zusammenarbeit mit der Barmer Ersatzkasse gestartet wurde, ergab nämlich: Die meisten Frauen wissen nicht, dass die Gefahr, Brustkrebs zu bekommen, mit dem Alter zunimmt. Viele gehen, wenn sie über 60 sind, nicht mehr zum Frauenarzt. Die mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums kreierten Flyer, Plakate und sogar „Standard-Vorträge für Ärzte“ zur Information über das Brustkrebs-Screening sind schon fertig.

Kontakt Women’s Health Coalition: whc_nassde@yahoo.de

Kontakt zur Deutschen Krebsgesellschaft:

www.krebsgesellschaft.de

Kontakt zum Krebsinformationsdienst: www.krebsinformation.de

Marc Neller, Adelheid Müller-Lissner

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