zum Hauptinhalt
Bälle in Fußballtor bei Kindertraining in Berlin.

© Kitty Kleist-Heinrich

Duschen mit den Kindern ist tabu: Wie Berlins Sportvereine mit sexuellem Missbrauch umgehen

Nach mehreren Missbrauchsfällen im Sport ist das Entsetzen groß. Es gibt zwar klare Regeln – aber oft lässt sich Körperkontakt nicht vermeiden.

Marc Quandt stieß auf den Albtraum jedes Vereinsvertreters, Sekunden später schoss ihm der Gedanke durch dem Kopf: „Habe ich alles richtig gemacht, um etwas Ähnliches in meinem Verein zu verhindern?“ Quandt ist Jugendkoordinator des Fußballklubs FC Viktoria Tempelhof-Lichterfelde, einem Klub mit rund 40 Jugendmannschaften. Er hatte gelesen, dass der Trainer eines Judoklubs in Haft sitzt, Vorwurf: „sexuelle Übergriffe auf mindestens sechs ihm zum Training anvertraute Jungen“.

Ein Schreckensszenario, das auch sofort zu einem Fragenkatalog führt: Wie verhindert man Übergriffe, wie erkennt man Gefahren, wie interpretiert man Signale? Wie erkennt man sie überhaupt?

Eine Frage für alle Lebensbereiche, auch für den Sport. Gerade für den Sport, dort ist das Verhältnis von Kindern zu Erwachsenen häufig besonders eng.

Verdacht des sexuellen Missbrauchs gegen einen Berliner Judolehrer – die Informationen im Überblick:

Missbrauch lässt sich nie ganz verhindern – ist im Sport aber die Ausnahme

Quandt arbeitet seinen eigenen Fragenkatalog ab, wenn sich ein Trainer bewirbt. Was steht auf seiner Facebook-Seite? Bei welchen Vereinen war er? Nimmt er lange Wege in Kauf, um bei Viktoria zu arbeiten? Weshalb? Er fragt bei Kollegen nach, und fordert zeitnah ein erweitertes Führungszeugnis. Wenn einer zögert, das Dokument vorzulegen, wird Quandt misstrauisch. In den vergangenen zehn Jahren hatte Viktoria keinen Missbrauchsfall.

Quandt ist trotzdem klar: Ganz verhindern lässt sich ein solcher Fall nie. Ebenso klar ist aber auch: Missbrauch im Sport ist die absolute Ausnahme. Der Landessportbund (LSB) hatte in den vergangenen fünf Jahren zwei gravierende Verdachtsfälle, den Judotrainer und den Jugendwart eines Angelvereins in Kladow, beides ist erst wenige Tage bekannt. Der Anglerverband gehört zum LSB.

2500 Vereine sind im LSB organisiert, sie haben 670.000 Mitglieder; es gibt 6000 bis 7000 Trainer und Übungsleiter. Alltag im LSB ist der normale Sport. Seit Jahresbeginn sind Meral Molkenthin, der LSB-Kinderschutzbeauftragten, 30 Fälle gemeldet worden. „Keiner davon ist strafrechtlich relevant“, sagt Cornelia Koehncke, die Justiziarin des LSB.

Es geht um Klagen über Trainingsmethoden, wenn Kinder über matschigem Rasen Liegestütze machen sollen, oder um einen Verein, der um Rat bat, weil er nicht wusste, ob er das Verhältnis eines erwachsenen Trainers zu einer noch nicht ganz volljährigen Sportlerin tolerieren kann. Am gravierendsten ist noch der Fall eines Trainers, der Hilfestellung leistete und einem Mädchen grenzwertig sexistische Bemerkungen zurief. Ein aktueller Fall, der LSB bearbeitet ihn gerade.

Die Trainer sollten sich gar nicht erst in eine diskussionswürdige Situation bringen

Der LSB unternimmt viel für den Kinderschutz. Beim jüngsten Regionaltreffen mit Kinderschutzbeauftragten von Vereinen und Verbänden waren 110 Teilnehmer. Trainer in Sportarten, die körperintensiv sind, lernen, dass sie Sportlern sagen müssen, wenn sie diese anfassen, um Hilfestellung leisten zu können.

„Am besten“, sagt Marc Quandt, „ist es, wenn sich ein Trainer erst gar nicht in eine diskussionswürdige Situation bringt.“ Duschen mit den Kindern und Jugendlichen ist sowieso tabu. Ein erfahrener Fußball-Trainer von Hertha Zehlendorf hat seine „klaren Regeln“. Er geht so gut wie nie in die Kabine. Wenn er doch mal rein muss, klopft er an. Er ist auch nicht auf Facebook und Twitter.

Soziale Medien sind eine gefährliche Plattform. Dort werden alle möglichen Bilder und Kommentare veröffentlicht, Datenschutz gilt oft als unverbindliche Empfehlung. „Aber zumindest habe ich keinen Körperkontakt“, sagt der Zehlendorfer Coach.

Manchmal gehen Warnsignale zu schnell an

Doch andere Trainer haben Körperkontakt, sie müssen Hilfestellung geben, sie müssen ein Kind halten, damit es nicht ertrinkt oder sich etwas bricht. Inzwischen kann das durchaus für den einen oder anderen zur Gratwanderung werden. Eltern sind sensibilisiert, das Thema Missbrauch ist glücklicherweise viel präsenter in der Öffentlichkeit als früher, die Warnsignale gehen schneller an.

Mitunter gehen sie zu schnell an. Die Gefahr, dass ein übersensibilisierter Elternteil einen fachgerechten Körperkontakt gleich als potenziellen Übergriff wertet, ist groß. Es gibt Trainer, die Eltern kennen, die mit Argusaugen auf nahezu jede Bewegung achten. Oft sind solche Diskussionen dann nur nervend für einen Coach. Die Kinderschutzbeauftragte sagt für solche Fälle, entscheidend seien Transparenz und Gespräche zwischen Eltern, Trainer und Sportlern.

Aber schon eine entsprechende Diskussion kann gefährlich werden für einen Coach. Wer mit dem Stichwort Missbrauch in Verbindung gebracht wird, und sei es bloß als maßlos übertriebener Vorwurf, der spielt mit seiner Reputation.

Missbrauch ist nicht mehr so tabuisiert wie früher

Noch viel schlimmer endete allerdings der Fall eines Fußballtrainers – viele Jahre her–, den der Zehlendorfer Coach kennt. Dieser Trainer soll unter der Dusche einen Jungen unsittlich beobachtet haben. Die Eltern des Jungen zeigten den Mann an, seine Frau verließ ihn, die Polizei ermittelte. Dann gab der Junge plötzlich gegenüber der Kripo an, dass er alles erfunden habe. Der Vater habe ihn zu der Aussage angestiftet. Dieser Vater soll einen Hass auf den Trainer gehabt haben.

Natürlich eine absolute Ausnahme und schlimm für den Trainer, wenn auch nicht so schrecklich wie ein realer Missbrauchsfall. Die entscheidende Entwicklung: Das Thema Missbrauch ist nicht mehr so tabuisiert wie früher. Aus Sicht von Meral Molkenthin, die LSB-Kinderschutzbeauftragte, vollzieht sich „gerade ein Bewusstseinswandel“. Und die LSB-Juristin Cornelia Koehncke sagt zufrieden: „Ich glaube, die Vereine sind sensibilisierter.“

Zur Startseite