Früh am Morgen lässt sich nur erahnen, dass es hier tatsächlich Leben gibt. Ausgerechnet hier, im ehemaligen Todesstreifen. Im Schatten der Mauer türmen sich neben den Mülleimern halb ausgelöffelte Joghurtbecher, zerdrückte Blechdosen, Überreste eines Döners. Urbane Spuren aus Dreck und Abfall, die davon zeugen, dass die Berliner, dass Besucher von überall her sich das Areal um die East Side Gallery erschlossen haben.
Als die Mühlenstraße noch leer ist und die Touristen noch im Bett liegen, spaziert ein Mann mit seinem Labrador-Pudel-Mischling von der Oberbaumbrücke kommend auf die bemalten Überreste der Mauer zu. Der Hund hebt ungerührt das Bein und pisst an den antifaschistischen Schutzwall. So kann sie auch aussehen, die Berliner Vergangenheitsbewältigung.

Wie sie wirklich aussehen sollte, darüber wurde in den vergangenen Tagen genau hier viel gestritten. Als sich 6000 Demonstranten dagegen stemmten, dass ein Teil der Mauer umgesetzt werden sollte. Dagegen, dass sie ein weiteres Loch bekommt, um Zugang zu schaffen für die Luxusappartements, der hier entstehen sollen, und zur Brommybrücke, die nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Ost und West bald wieder miteinander verbinden soll. Hier, wo nach 1989 plötzlich alles anders war, alles anders sein sollte, stemmten sie sich gegen den Wandel. Denn plötzlich gehörte die Mauer allen und die Erinnerung an sie.

Nun, da Bezirk, Land und Investor sich einig sind, dass kein neues Loch in die Mauer gerissen werden soll, stemmen sich die Besucher nur noch gegen die Betonwand selbst. Klick. Oder lehnen daran. Klick. Liegen davor. Klick. Eine Gruppe spanischer Mädchen verrenkt sich kichernd vor dem Mauerstück mit Honeckers Konterfei und formt mit ihren Körpern das Wort „Hola“. Hallo. Klick. Noch ein Bild fürs Fotoalbum.
Jeder Zentimeter der Galerie ist für die Nachwelt dokumentiert, der Welt zur Schau gestellt auf Facebook-Profilbildern. Ein Stück authentisches Berlinerlebnis.
Viel ist allerdings nicht übrig von der eigentlichen Historie. Alle paar hundert Meter steht entlang der 1316 Meter langen „Gedenkstätte“ ein Schild, nicht viel größer als eine DVD-Hülle: „Berliner Mauer. Errichtung nach 1961“ steht da. Auf den Fotos der Touristen stört es nur. Um die Mittagszeit laden große Reisebusse ganze Gruppen ab, alle auf der Suche nach Geschichte. Ihrer Geschichte, die hier erst noch geschrieben werden soll.
- Mauervergnügen
- „Ich war hier“, steht auf jedem freien Fleck geschrieben.
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