zum Hauptinhalt

Easyjet - zehn Jahre Billigflieger: Easyjetter fliegen auf Berlin

Die erste Easyjet-Maschine landete vor zehn Jahren in Schönefeld. Was keiner ahnte: Am 28. April 2004 begann eine neue Tourismus-Ära. Was treibt Millionen Easyjetter nach Berlin?

Am 28. April 2004 setzte das erste Flugzeug mit dem orangefarbenen Flächen in Schönefeld auf - die erste Billigmaschine war gelandet. Seither haben Millionen von Easyjettern die Stadt besucht. Was fasziniert sie an der Stadt? Wir waren unterwegs an zwei toruristischen Hotspots.

Unter den Linden, Mitte, mittags

„Star Bucks!“ ruft der Mittfünfziger in Trekkingsandalen in breitem Amerikanisch und läuft strahlend auf den Kaffeeladen zu. Gerade noch ist er mit missgelaunter Miene neben seiner Frau durch das Brandenburger Tor gestapft. Vorbei an Fahrradrikschas, vorbei an Bierbikes. Und durch die Bilder von mindestens zehn Touristen hindurch. Unter der Quadriga vollführt gerade eine spanische Großgruppe vor dem Selbstauslöser immer wieder neue Posen, eine Asiatin grinst in ihr Smartphone, eine junge Französin springt vor der Kamera ihrer Mutter in die Luft. Alleinreisende fotografieren sich gegenseitig.

Im Reiseführer des Amerikaners steht, wer Unter den Linden entlang spaziere, fühle sich in das Berlin der Golden Twenties versetzt, wortwörtlich heißt es: „man kann fast die alten Pferdekutschen sehen“. „Ich sehe nur Baustellen“, sagt der Amerikaner genervt und nimmt einen Schluck aus einem Riesenpappbecher. Ein Bierbike mit grölenden pubertierenden Franzosen fährt gerade an ihm vorbei. „Und Touristen“, schreit der Amerikaner.

Am Start. Seit zehn Jahren kommen die Billigflieger nach Berlin.
Am Start. Seit zehn Jahren kommen die Billigflieger nach Berlin.

© Mike Wolff

Wegen der Bauarbeiten zur Verlängerung der U5 bis zum Brandenburger Tor ist fast der gesamte Mittelstreifen zwischen Pariser Platz und Friedrichstraße hinter einer weißen Plane versteckt. Der schmale Streifen neben dem Bauzaun ist chronisch verstopft. Touristen drängen sich vor zwei Currywurst-Ständen und laufen in Zweier-, Dreier- und Fünferreihen zum Brandenburger Tor hin oder davon weg.

Einfallslose Souvenirläden

Hat man die Baustelle überwunden, passiert man zunächst eine Reihe von geparkten Touristenbussen und einfallslosen Souvenirläden. Und gelangt irgendwann zum Bebelplatz. Dort spielt gerade die riesige Baustelle der Staatsoper das in den Boden eingelassene Mahnmal, das an die Bücherverbrennungen durch die Nazis erinnert, in den Hintergrund; und auch die Hedwigs-Kathedrale. Auf dem Platz drängen sich trotzdem vier Menschentrauben um Tourguides, die auf Holländisch, Englisch, Deutsch und Spanisch von der Nacht der Bücherverbrennungen berichten. Ein paar Studenten schlängeln sich durch die Menschenansammlungen zur Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität auf der westlichen Seite des Bebelplatzes.

Kleiner Brä, schau mich an. Eigentlich steht er ja auf der verbotenen Seite des Tores.
Kleiner Brä, schau mich an. Eigentlich steht er ja auf der verbotenen Seite des Tores.

© dpa

In die Uni, so scheint es, verirrt sich kein Tourist. Durch die Gänge laufen Studenten mit Laptops unterm Arm, in dem kleinen Café plaudern Studenten über Vorlesungen und das nächste Referat. Mittendrin sitzt ein junges italienisches Pärchen an einem der Bistrotische, vor ihnen liegen aufgeschlagen Stadtplan und Reiseführer. „Im Internet haben wir einen Hinweis auf das Café gefunden“, erklärt die Frau stolz. „Wir versuchen, uns ein wenig abseits der Touristenpfade zu bewegen.“

Herr Kröhnert aber, der Pförtner der Fakultät, erklärt, die Humboldt-Uni sei für Touristen schon lange kein Geheimtipp mehr. „Die Reisebusse lassen die Touristen extra vor unserer Tür raus, damit sie hier auf die Toilette gehen.“ Als vor ein paar Tagen plötzlich ein Gewitter ausbrach, flüchteten etwa 50 Touristen in die Uni zu Herrn Kröhnert. „Erst waren sie ja ganz ruhig. Aber irgendwann fingen die Jungs an, Fußball zu spielen. Ich hatte wirklich Mühe, sie zu stoppen.“ Herr Kröhnert ist ein kleiner Mann mit weißem Haar, Kugelbauch und gutmütigem Gesicht. Seit Mitte der 90er Jahre arbeitet er als Pförtner an der Humboldt-Universität, meistens in der Juristischen Fakultät.

„Hier waren immer schon viele Touristen unterwegs. Aber vor zehn Jahren war das noch im Rahmen“, sagt er und schnauft laut. „Heute sieht man hier doch gar keine Berliner mehr.“

Simon-Dach-Straße, Friedrichshain, nachts

„Die Straße muss in allen Reiseführern dieser Welt stehen“, ist Kathrin Krischozk überzeugt. Die Enddreißigerin lebt seit 21 Jahren an der nördlichen Ecke der Simon-Dach-Straße, gleich über dem Kino Intimes, in einem Genossenschaftshaus, dessen Fassade voller bunter Bilder ist. „Würde ich einen Euro verlangen für jedes Foto, das von unserer Fassade gemacht wird, ich wäre längst Millionärin. Selbst wenn ich die Hälfte dem Street-Art-Künstler abgegeben hätte.“ Krischozk hat gesehen, wie hier die ersten Kneipen aufgemacht haben und wie in den letzten zehn Jahren immer neue hinzukommen. 2001 hatte sie selbst mal eine Kneipe, doch damals waren noch nicht genug Touristen da. Sie musste wieder schließen.

Mittlerweile betreibt sie das Kino Intimes, dessen Programm sie an das internationale Publikum angepasst hat. Die meisten Filme zeigt sie in Originalversion.

Da wollen alle hin. Die Simon-Dach-Straße in Friedrichshain ist zum Synonym für den Easyjettourismus geworden.
Da wollen alle hin. Die Simon-Dach-Straße in Friedrichshain ist zum Synonym für den Easyjettourismus geworden.

© Doris Spiekermann-Klaas

Auch im Alltag hat sie sich gut mit den Touristen arrangiert. „In manchen Nächten ist es zwar ein bisschen unangenehm, wenn die Betrunkenen laut herumgrölen. Aber damit kann ich leben.“ In die Kneipen der Simon-Dach-Straße geht sie nie. „Aber wenn man die Straße überwunden hat, wird es ja wieder interessant.“

Die Simon-Dach-Straße erinnert ein wenig an eine Kirmes. Überall spannen sich bunte Markisen, an denen bunte Glühbirnen baumeln, über den Bürgersteig. Darunter sitzen auf Bierbänken oder auf lackierten Korbstühlen junge Menschen, die Cocktails schlürfen, Bier trinken, Burritos, Thai-Viet-Sushi oder Currywurst essen und in regelmäßigen Abständen in lautes Gelächter ausbrechen.

Eine Partymeile mit mehr als 20 Bars

Mittendrin hocken vier Franzosen um die 50, vor sich Rotweingläser. Sie beobachten interessiert und stumm die Szenerie. In ihrem Reiseführer ist die Simon-Dach-Straße in der Rubrik „Ausgehen“ aufgeführt. Darunter steht in etwa: Partymeile mit mehr als 20 Bars mit fast 2000 Sitzplätzen unter freiem Himmel; hier brodelt das Berliner Nachtleben; je dunkler die Nacht, desto lebendiger die Straße. „Wir sind da, weil wir das das Berliner Nachtleben kennenlernen wollen“, erklärt einer der Franzosen. „Gefällt uns gut“, sagt er und lächelt aufmunternd seine müde grinsenden Begleiter an.

Es ist zehn Uhr und noch relativ ruhig. Erst eine gute Stunde später kippt ein junger Engländer vor einem der Geldautomaten um und bleibt nicht weit von einer zerbrochenen Bierflasche liegen. Umringt von vier Freunden, die erst laut lachen und ihn schließlich bei seinen erbärmlichen Versuchen, aufzustehen, anfeuern, „Get up! Get up!“

„Scheiß-Saufmeile“, zischt ein junger Mann, bevor er in einem Hauseingang gleich nebenan verschwindet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false