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Berlin: Eckart Schibber (Geb.1938)

Er kennt den Tod. Der Tod interessiert ihn nicht.

Sechs Jahre ist er alt, als er vor der Urne seiner Mutter steht. Winter 1944, Grünberg, Schlesien, alle frieren. Cousin Ulrich Krönke, der neben ihm steht, kann sich heute nicht mehr erinnern, dass Eckart geweint hätte. „Er hatte sich immer gut im Griff. Ich habe ihn nur einmal weinen sehen oder sagen wir: trocken schlucken. Das war in der letzten Phase seines Lebens.“

Der Junge braucht eine Mutter, sagt Eckarts Vater, und heiratet seine Schwägerin Ruth. Sie leitet ein Kinderheim in Dresden, die beiden ziehen dorthin. Dresden, heißt es, sei sicher. Dann Bombenangriff, der Feuersturm. Niemand weiß, wo Eckart die Februartage 1945 verbracht hat, wie er sie überlebt, was er gesehen hat. Er wird darüber nie ein Wort verlieren.

1957 sitzt Eckart am Bett seiner zweiten Mutter, als ihr langsam das Wasser die Lunge hochsteigt. Sie erstickt. Von ihren verzweifelten Augen hat er einmal erzählt, mehr nicht.

Eckart Schibber kennt den Tod. Der Tod interessiert ihn nicht.

Ihn interessiert die Gesundheit. Er studiert Publizistik und wird einer der bekanntesten Wissenschafts- und Medizinjournalisten Deutschlands. Er arbeitet beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart, beim ZDF und beim Sender Freies Berlin, wo er das Radio-Wissenschaftsmagazin „Kopfhörer“ moderiert, jeden Werktag, zwei Stunden am Stück, live.

Der Wechsel zum Fernsehen fällt ihm nicht leicht. Das sagt er in seiner Abschiedsrede zur Pensionierung 2003: „Ich geriet in die Knechtschaft der Zeit, allgegenwärtig durch die Täfelchen des Aufnahmeleiters im Studio. Und ich geriet – ungläubig – in die Knechtschaft der Quote!“

„Quivive“, so heißt das Gesundheitsmagazin, das er von 1992 bis 2003 moderiert, nach einer heute fast vergessenen Redewendung: „Auf dem Quivive sein“ heißt „Bescheid wissen“ und „aufpassen“. 1998 verleiht ihm die Freie Universität die Ehrendoktorwürde für seine Verdienste um die seriöse und verständliche Darstellung medizinischer Fragen.

Manchmal wird er auf der Straße um ein Autogramm gebeten. Einmal, im Urlaub in Tunesien, wird Eckart Schibbers Reisebegleiterin von zwei Deutschen gefragt: „Ist er’s? Ist er’s wirklich?“ – „Wer?“ – „Na der aus der Schwarzwaldklinik! Der Doktor Brinkmann!“ Schibber freut sich, dass sie das Missverständnis nicht aufgeklärt hat: Ein Dr. med. ehrenhalber, der für einen echten Schauspielarzt gehalten wird, das war eine Pointe nach seinem Geschmack.

Bald nach seiner Pensionierung wird Leukämie und Parkinson diagnostiziert. In seinen letzten Monaten kann er kaum mehr sprechen, beim Schreiben zittert die Hand. „Schrecklich für jemanden, der sich so gern zu Wort meldet“, sagt Ulrich Krönke. Einmal, als seine Worte den Weg aus seinem Mund nicht finden, beruhigt ihn Ulrich: „Du hast Zeit.“ – „Ich habe keine Zeit mehr“, korrigierte Eckart. Er tut sich schwer mit seinem Ende. Vielleicht liegt es an seinem Lebensmotto, einem Spruch Martials: „Ein guter Mann ist immer ein Anfänger.“ Andreas Unger

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