zum Hauptinhalt

Berlin: Edith Hitz (Geb. 1921)

Als einer ihr einen Korb gab, ist er des Lokals verwiesen worden

Von David Ensikat

Sie tanzte so gern. Als sie zu einem geselligen Abend mit Soldaten eingeladen wurde, sagte sie natürlich zu. Das muss Ende der Dreißigerjahre gewesen sein, Edith aus der Stadt Hindenburg in Oberschlesien, Tochter eines Bauern und einer Krankenschwester, war nach Berlin geschickt worden, um die Hauswirtschaft zu erlernen. Beim Tanz kam sie einem der Soldaten näher, sie trafen sich öfter, Edith wurde schwanger, sie heiratete den Soldaten, sie gebar einen Sohn und zwei Jahre darauf eine Tochter. Aber es war Krieg, ihr Mann war Soldat. Edith zog die Kinder bei ihren Eltern auf, in ihrer Heimat, Oberschlesien.

Einen Versuch unternahm sie, gemeinsam mit den Kindern nach Berlin zu fahren, zum Vater. Das war im Jahr 1944, und noch auf dem Bahnhof in Hindenburg machte sie kehrt. Sie hatte dort einen Onkel getroffen, der gerade aus Berlin angekommen war. Er hatte die Bombenangriffe erlebt und warnte sie: „Fahr nicht dorthin. Berlin brennt.“

So blieb sie in Hindenburg, Oberschlesien, die Front rückte näher, viele Deutsche begaben sich auf die Flucht nach Westen. Aber längst nicht alle. Auch Ediths Familie blieb. Zuerst kamen die Russen, dann kamen die Polen. Aus Hindenburg wurde Zabrze, Ediths Heimat, Oberschlesien, gehörte zu Polen.

Die Deutschen, das waren die, die den Krieg begonnen hatten. Besser, sie gaben sich nicht zu erkennen als Deutsche. Ihre Sprache durften sie nicht mehr sprechen. Edith lernte Polnisch und ihre beiden Kinder ebenso.

Sie arbeitete als Krankenschwester, lebte bei ihren Eltern, und Jahr um Jahr schwand ihre Hoffnung, doch noch nach Deutschland zu kommen. Es war im Jahr 1957, als sie im Krankenhaus eine Patientin näher kennenlernte, die Parteifunktionärin war. Die setzte ein paar Hebel in Bewegung, und auf einmal hieß es: Sie können Polen verlassen. Nehmen Sie ihre Kinder, packen Sie ihre Sachen, in 24 Stunden sind Sie hier raus.

Sie war 36, ihr Sohn 16, die Tochter 14, als sie in West-Berlin ein neues Leben begannen. Ihr Ehemann lebte in der Stadt, aber an ein gemeinsames Leben war nicht zu denken. Zu viel Zeit war vergangen, zu viel war geschehen. In Spandau bekam Edith eine Wohnung zugewiesen, sie musste noch einmal den Beruf der Krankenschwester erlernen, sie bekam eine Anstellung im Spandauer Krankenhaus und konnte sich nun, da die Kinder schon groß waren, ganz ihrer Arbeit widmen.

So, wie sie es im Leben gelernt hatte, sollte es auch auf der Arbeit sein: Edith war auf sich gestellt, sie kam zurecht. Sie wurde Oberschwester, sie regelte die Dinge resolut und selbstbewusst. Männer ließ sie nur so nah an sich heran, wie sie das für angemessen erachtete. Ein paar Jahre lebte sie mit einem anderen Mann zusammen, dann starb er, und Edith lebte wieder allein.

Sie tanzte aber so gerne. Für eine wie sie war das „Café Keese“ an der Bismarckstraße wie gemacht. Hier müssen die Frauen nicht warten, bis ein Mann den Mut aufbringt, hier fordern die Frauen die Männer auf, „Ball Paradox“. Wenn einer mehr wollte als tanzen, suchte sie sich einen neuen. Als einer ihr mal einen Korb gab, so erzählte sie später stolz, ist er des Lokals verwiesen worden. Sonst erzählte sie nicht viel von früher. Wozu auch, an dem was war, konnte sie nichts mehr ändern. Sie wollte auch ihre alte Heimat nicht wiedersehen, als das wieder möglich war. Was sollte sie dort? Den alten, verlorenen Zeiten nachtrauern? So eine war sie nicht.

Etwas gab es in ihrem Leben, das hatte sie sich lange gewünscht und dann doch nicht geschafft. Sie hätte so gern in Bayern gelebt, Verwandte hatte es dorthin verschlagen. Es hat sich nicht gefügt, zuerst wegen der Stelle als Oberschwester, die sie nicht aufgeben wollte, dann wegen der Enkelkinder. Sie ist ein paar Mal nach Bayern gefahren, allein mit dem Auto.

Als ihr Sohn sie vor ein paar Jahren fragte, ob sie mit ihm noch mal das „Café Keese“ besuchen würde, nachsehen, ob alles beim Alten geblieben sei, winkte sie ab. Sollte sie mit ihrem Rollator den Tänzern den Weg versperren? Zum Tanz soll gehen, wer tanzen kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false