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Berlin: Ehrenamt: Aus leidvoller Erfahrung

Viel hilft viel, sagt eine Bauernregel. Bei sozialen Projekten stimmt das sogar.

Viel hilft viel, sagt eine Bauernregel. Bei sozialen Projekten stimmt das sogar. Viele Einrichtungen brauchen ehrenamtliche Helfer. Bis zum Berliner Freiwilligentag am 16. September, den der Treffpunkt Hilfsbereitschaft und der Paritätische Wohlfahrtsverband organisieren, wollen wir möglichst viele Menschen in dieser Stadt dafür gewinnen, sich als Helfer ohne Honorar zu engagieren. In den kommenden Wochen stellt der Tagesspiegel Berliner vor, die sich bei Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ehrenamtlich für andere einsetzen. Sie erzählen, was sie geben wollen und was ihnen ihr Ehrenamt gibt. Der 43-jährige Betriebsarzt und Medizininformatiker Matthias Otto-Stümbke engagiert sich bei der Gruppe Ärzte in der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung.

Mich haben gar nicht so hehre Motive zu meinem Ehrenamt gebracht. Ich bin selber Vater eines behinderten Kindes. Nico hat eine geistige Behinderung mit autistischen Zügen. Er ist jetzt 15 Jahre alt und besucht eine anthroposophische Heimsonderschule in Kassel. Sonst wäre ich wohl wegen der Belastung nicht darauf gekommen, über die eigene Betroffenheit hinaus etwas zu tun.

Für manchmal sehr schwierige Kinder wie Nico kann es sehr langwierig sein, eine Betreuungseinrichtung zu finden. Das haben wir gemerkt, als Nico vier war. Die Lebenshilfe hat uns dann gleich etwas angeboten. Die nehmen alle. Da haben wir uns aufgehoben gefühlt. Ich habe mich dann für die Arbeit des Vereins interessiert und wurde bald gefragt, ob ich mich nicht in den Vorstand wählen lassen will. Ich wollte, und heute bin ich 2. Vorsitzender. So ist das in einem Verein, es kommt immer noch etwas dazu. Aber ich bin auch bereit, solche organisatorischen Aufgaben zu übernehmen, weil ich so auf sozialpolitischer Ebene etwas bewegen kann. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, für die Lebenshilfe als ehrenamtlicher Mobilitätshelfer Menschen im Rollstuhl durch die Stadt zu schieben - obwohl ich diese Helfer sehr bewundere.

Praktisch engagiere ich mich gemeinsam mit meiner Frau, die auch Medizinerin ist, bei der Ärztegruppe in der Lebenshilfe. Wir können Kollegen aus unserer Sicht als Ärzte und Eltern von Behinderten helfen, einen besseren Umgangsstil zu lernen. Es geht darum, Eltern sachgerecht aufzuklären und ihnen Wege zu Selbsthilfeorganisationen zu weisen. Im Studium werden oft überholte Kenntnisse über Behinderungen vermittelt. Das Spektrum der positiven Perspektiven für die Kinder ist oft nicht bekannt.

Bei uns war das so: Eine Kinderärztin sagte über Nico, "na, der hat ja gar nichts gelernt, der wird nie laufen, da können Sie gleich einen Rollstuhl bestellen." Sicher, er brauchte intensive Therapie. Aber laufen kann er und vieles mehr. Diese Erfahrung hat uns motiviert, Broschüren für die Kollegen in den Krankenhäusern und Praxen zu schreiben. Wir raten da zum Beispiel, wie Geburtshelfer die schmerzliche Nachricht von der Behinderung des Kindes überbringen sollten: "in Ruhe, persönlich, in verständlicher Sprache und möglichst beiden Eltern gemeinsam".

Meine Frau und eine Reihe weiterer Ärztinnen lehren auch ehrenamtlich an der Charité, im Studentenunterricht in Medizinpsychologie. Ein Teil des Konzeptes ist es, auch Mütter behinderter Kinder in die Vorlesung mitzunehmen. Die erzählen dann von ihren Erfahrungen mit Ärzten. Ich habe einmal Nico mitgenommen. Er stand eineinhalb Stunden dabei und schien sich wohl zu fühlen. Sonst geht er eher nach fünf Minuten raus, wenn es darum geht, sich auf etwas zu konzentrieren. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit ihm dort zu sein.

Amory BurchardDie Grupp

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