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Im Unterricht. Der Verein „Wissen macht Spaß“ bereitet junge Flüchtlinge auf die Schule vor, vor allem mit Computerkursen.

© picture alliance / dpa

Ehrenamtliche helfen Flüchtlingen: Integration per Laptop

Jugendliche Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, können oft nicht mit einem Computer umgehen. Ein Verein versucht, das durch Kurse in den Heimen zu ändern. Ein ehrenamtlicher Lehrer berichtet.

Noor* ist 16 und noch nie zur Schule gegangen. Er ist Kriegsflüchtling aus Afghanistan und einer der unbegleiteten Jugendlichen, die nun zum ersten Mal in ihrem Leben vor einem Laptop sitzen – in einem der Kurse, in denen wir vom Verein „Wissen macht Spaß“ jugendlichen Flüchtlingen programmieren beibringen, wie wir es in Grundschulen mit zehnjährigen Berliner Schülern seit längerem erfolgreich tun. Seit einem halben Jahr geben wir die Kurse in unterschiedlichen Flüchtlingsheimen. Jeweils vier bis acht Wochen dauern die Lehrgänge.

Auch Mustafa aus Syrien sitzt in unserem Kurs im Flüchtlingsheim am Ende des Spandauer Damms. Er hat einige Jahre eine Schule besucht, aber PC-Wissen, das Gleichaltrige hierzulande aufweisen können, hat er noch nicht. Aus Benin kommt Kamilou, mit ihm können wir uns immerhin auf Französisch gut verständigen. Seine Muttersprache ist Dengi, das sprechen nur wenige Leute, und bis vor Kurzem wussten wir nicht einmal, dass es diese Sprache gibt. Kamilou hat eine Koranschule besucht, daran werden wir jeden Freitag erinnert, wenn er dem Unterricht fern bleibt, weil er zur Moschee geht, zum Freitagsgebet. Wenn wir ihn fragen, ob das nicht vor oder nach dem zweistündigen Kurs sein könnte, bleibt er uns die Antwort schuldig.

Es ist üblich, dass die Schüler plötzlich umziehen müssen

Unsere Bemühungen um Noor sind schon am dritten Lehrgangstag vorbei: Er steht uns mit einer gepackten Reisetasche gegenüber. Gleich wird er abgeholt und in ein anderes Heim verlegt. Warum weiß niemand – weder er noch seine Betreuer hier. Er ist nicht der Einzige, den unvermittelt ein Umzug betrifft. Das sei so üblich, sagen die Betreuer im Flüchtlingsheim. Da komme dann abends eine Mitteilung vom Senat von Berlin, dass anderntags ein Jugendlicher ausziehen muss. Auf uns wirkt das befremdlich und ganz entgegen der gewünschten Integrationsbemühungen. Nicht nur, dass die unbegleiteten Jugendlichen mutterseelenallein im fremden Land sind, sobald sie sich mit anderen Betroffenen im Heimleben arrangiert haben oder in Kontakt gekommen sind, müssen die Habseligkeiten wieder eingepackt werden, um ganz woanders sesshaft zu werden. So auch bei Abdulnaser, einem jungen Mann mit Intellekt, feinen Zügen und guten Umgangsformen: Er wird aus dem Westen der Stadt in den Nordosten verlegt. Dennoch versucht er täglich in den Ferien an unserem Kurs teilzunehmen und nimmt dafür über eine Stunde Anfahrt auf sich.

Auch andere Unterbrechungen machen die Kursteilnahme schwer. Einer zeigt uns sein Smartphone, auf dem eine Ladung des Familiengerichts in Kreuzberg gespeichert ist: Er wird am nächsten Tag fehlen. Und schließlich haben die Kids noch persönliche Betreuer, die irgendwo in Berlin sind und zum Termin rufen. Der Eindruck, dass die jungen Flüchtlinge viel zu tun haben, hat sich für uns bereits in unserem ersten Kurs in Mariendorf ergeben: Vormittags mussten die Jungs, nur ein Mädchen war unter den 41 Belegpersonen, in die Schule. Nachmittags gab es ein Kursangebot nach dem anderen, von Fußball über Tanzen, Graffiti-Malerei bis zu Nachhilfeunterricht und dann unserem PC-Kurs.

Das Tagespensum hat es in sich

Als Kursleiter haben wir schnell Respekt vor den Jugendlichen gewonnen, denn nach unserem Workshop mussten sie abends in den Deutsch-Unterricht und dafür eine Fahrstrecke durch die halbe Stadt bewältigen. Spät nach 22 Uhr waren sie wieder zurück, und anderntags früh war dann wieder Schule. Kein Wunder, dass sie dieses Tagespensum nicht durchhielten: Im Ramadan-Monat von Anfang Juni bis Anfang Juli legten sich die Jungs einfach ins Bett. Sie durften ja tagsüber nichts essen und waren am Nachmittag erschöpft. Als Kursleiter fiel es uns allerdings schwer, dafür Verständnis aufzubringen, schließlich gab es einen Träger, der den Kurs bezahlt hatte, eine Liste mit scheinbar verbindlichen Anmeldungen und ein immer wieder bestätigtes Interesse. Wir hätten uns gewünscht, dass die Ramadan-Regel weniger mächtig in unseren Berliner Alltag eingreifen kann. Unseren Kurs haben wir dann mit Ach und Krach zu Ende geführt, zusätzliche Tage auf uns genommen und das Pensum zeitlich gestreckt.

Bevor wir den erfolgreichen Abschluss mit den Teilnehmern feiern konnten, war das Flüchtlingsheim in der Rathausstraße aufgelöst. Seit einiger Zeit war der Umzug angekündigt, aber immer wieder verschoben worden, schließlich geschah er wie „über Nacht“. Allerdings wurden die Jugendlichen dann nicht insgesamt an einen anderen Ort verlegt, sondern wiederum aufgeteilt und verstreut in anderen Einrichtungen untergebracht. Niemand weiß, wo unsere Kursteilnehmer abgeblieben und nun untergebracht sind.

Um im nächsten Kurs konzentrierter zu arbeiten, haben wir die Sommerferien genutzt. Ohne Schulunterricht sind die Kids froh über die Abwechslung, die ihnen unser Lehrgang bietet. Den Inhalt haben wir ausgeweitet, indem wir neben den Algorithmen auch den Umgang mit einem Schreibprogramm üben. Denn die Jugendlichen wollen lernen, sich um eine Wohnung, einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Allein die Groß- und Kleinschreibung stellt eine anfängliche Hürde dar, die wir nicht vorausgesehen haben. Wir müssen geduldig sein mit den jungen Menschen, die aus den Krisengebieten zu uns gekommen sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Norbert Kerkhey und ich versuchen dazu beizutragen.

Die Jungs sind motiviert

Um den Kenntnisstand zu überprüfen, haben wir einen Test schreiben lassen. Die Jungs waren motiviert, und einige, die an diesem Tag gefehlt haben, wollten unbedingt nachschreiben. Ich habe ihnen dabei über die Schulter gesehen, und dabei ist mir aufgefallen, wie wichtig es ist, eine gute Verständnisebene zu finden. Es kostet allein viel Zeit, zu klären, ob alle Schüler alle Fragen richtig verstanden hatten. Aber wenn sie sich dann durchgekämpft haben, ist das für beide – die Schüler und Lehrer – eine Erfolgsgeschichte.

Noch einmal ist hervorzuheben, dass wir Zeit brauchen, dass wir für die jungen Leute Geduld und Zuwendung aufbringen müssen, wenn Integration gelingen soll. Da gibt es einige Talente in der Gruppe, die schnell begreifen und umsetzen, da gibt es viel Potential, mit dem wir gewissenhaft umgehen sollten. Andererseits ist unser Eindruck bislang unerschüttert, dass es wiederum eine starre und unbegreifliche Bürokratie ist, die das ganze Flüchtlingsproblem irgendwie und möglicherweise willkürlich verwaltet, ohne auf das Naheliegende zu sehen: den Betroffenen und seine Mitbringsel, den Reichtum an Talent und Begabung, die auch für uns eine Bereicherung darstellen. Nach den Sommerferien kommen die Jugendlichen, die bislang an einer Integrationsschule waren, in den normalen Schulbetrieb. Alle haben sie Angst, dass sie den Anforderungen dort nicht standhalten können. Besonders in Mathematik wollen sie vorbereitet sein und fragen, ob wir sie unterstützen können, den erforderlichen Kenntnisstand aufzuholen und vielleicht ein Stück des Wegs mit Nachhilfe zu begleiten. Norbert Kerkhey ist bereits mit einem Lehrplan beschäftigt. (*Alle Namen der Jugendlichen geändert)

Der Autor ist Mediator, Bauingenieur und Schauspieler. Mit denVereinen „Young an old for one World“ (yoow.org) und „Wissen macht Spaß“ (wissen-macht-spass.net) ist er Initiator der Kurse. Träger des Projekts ist der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Achim E. Ruppel

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