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Berlin: Ehrhart Körting im Interview: "Der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen ist ein schwerer Fehler"

Ehrhart Körting (59), Anwalt, war von 1997 bis 1999 Justizsenator. Mit dem Start der rot-grünen Koalition wurde der Rechtsanwalt Innensenator der rot-grünen Koalition.

Ehrhart Körting (59), Anwalt, war von 1997 bis 1999 Justizsenator. Mit dem Start der rot-grünen Koalition wurde der Rechtsanwalt Innensenator der rot-grünen Koalition.

Herr Körting, von 1997 bis 1999 waren Sie Justizsenator. Jetzt sind Sie als Innensenator eingesprungen. Warum?

Ich finde die Situation in Berlin spannend. Deshalb habe ich, als ich gefragt wurde, Ja gesagt. Man sollte sich nicht alles zutrauen. Aber Bereiche, die mit Recht oder mit Verwaltung zu tun haben, liegen mir.

Weder im rot-grünen Koalitionsvertrag, noch im SPD-Wahlprogramm steht ein Wort zur Inneren Sicherheit. Dürfen Sie bis zur Wahl heiße Eisen nicht anfassen?

Das Wahlprogramm ist diesmal knapp gefasst. Aber auf meine Initiative haben wir noch aufgenommen, dass die Kernaufgaben von Justiz und Polizei nicht durch das Sparprogramm in Frage gestellt werden. Es gibt ein Grundrecht auf Schutz vor Kriminalität.

An der Innenpolitik scheiden sich traditionell die Geister zwischen Links und Rechts. Was unterscheidet denn einen SPD-Innensenator von einem CDU-Innensenator?

Zum Thema Online Spezial: Berlin vor der Wahl Es ändert sich natürlich nichts daran, wie Knöllchen verteilt und andere Routineaufgaben erledigt werden. Sozialdemokraten haben allerdings immer stark auf innere Liberalität geachtet. Das unterscheidet mich auch von meinem Vorgänger. Bei der Frage, wie man Innere Sicherheit garantiert, wo man zu stark in Bürgerrechte eingreifen würde, besteht ein grundlegender Unterschied zwischen CDU und SPD. Wie weit geht man mit Video-Überwachung, mit der Einschränkung des Demonstrationsrechts?

Die Abriegelung beim Rekrutengelöbnis der Bundeswehr und die Ausreisebeschränkungen für Globalisierungsgegner zum G8-Gipfel in Genua zeigen aber eine restriktive Linie. Ist das dem Wahlkampf geschuldet?

Nein. Auch als ich Justizsenator war, haben sich viele Leute über meine Linie gewundert, und der bin ich treu geblieben. Ich bin Jurist und mache von den gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch. Die grenzüberschreitende Gewaltkriminalität nimmt zu. Nicht nur von Hooligans, sondern auch von Gewalttätern bei politischen Gipfeltreffen. Wenn etwa jemand in den vergangenen zwei Jahren bei fünf Gewalttaten anlässlich ähnlicher Veranstaltungen aufgefallen ist, dann hindern wir ihn an der Ausreise nach Genua und damit an weiteren Gewalttaten.

Nach dem 1. Mai haben Grüne wie SPD den CDU-Innensenator für seine Linie und den Abschied von der Deeskalation kritisiert. Wie sieht Ihr Kurs aus?

Mein Kurs heißt: immer deeskalieren. Bei Ereignissen wie dem 1. Mai muss man versuchen, die Emotionen zu besänftigen. Aber die Beteiligten müssen auch wissen: Wenn es nicht deesakalierend geht, kann sich die Staatsmacht nicht verstecken. Wir können nicht zulassen, dass zum Beispiel kleine Geschäfte demoliert werden. Vor dem 1. Mai 2002 wird es Gespräche mit der Polizeiführung geben, aber auch mit den Veranstaltern, die ja zum größten Teil auch nicht wollen, dass der 1. Mai im Chaos endet.

Würden Sie auch 9000 Beamte aufbieten?

Das hängt vom Rat der Polizeiführung ab. Der 1. Mai kommt bestimmt. Und was immer der Innensenator macht - er wird hinterher geprügelt. Von Links, weil die Polizei angeblich zu rabiat war. Oder von Rechts, weil sie nicht rabiat genug war.

Oder Sie erreichen einen friedlichen 1. Mai.

Na, nun wollen wir mal nicht gleich an Wunder glauben.

Seit Januar 2000 hat die Stadt sieben Aufmärsche von Neonazis erlebt. Die Zahl der rechten Straftaten ist im letzten Jahr um 40 Prozent gestiegen. Haben Sie eine Idee, wie der Rechtsextremismus effektiver bekämpft werden könnte?

Herr Werthebach hat rechtsextremistische Demonstrationen untersagt. Nur hat das Verwaltungsgericht die Verbote aufgehoben. Auch ich werde solche Aufmärsche verbieten und den Gerichten offensiv darlegen, welche Gefahr der Stadt droht. Und ich werde prüfen, wie man gegen Auftritte von Rechtsextremisten im Internet vorgehen kann. Das wird ein Schwerpunkt sein. Ich glaube übrigens nicht, dass man Herrn Werthebach beim Thema Bekämpfung des Rechtsextremismus Vorwürfe machen kann. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er sich an diese Szene anbiedert, wie das leider andernorts der Fall gewesen ist.

Wen meinen Sie konkret?

Ich bin über manche Äußerung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und manchmal meines brandenburgischen Amtskollegen Jörg Schönbohm nicht glücklich. Einige Aussagen der beiden zur Ausländerproblematik haben in mir den Eindruck erweckt, dass sie auf Emotionen in der Bevölkerung anspielen, die nicht gerade ausländerfreundlich sind. Das war Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen.

Warum hat Berlin bislang kein offizielles Aussteiger-Programm für Rechtsextremisten, die sich von der Szene lösen wollen?

Bislang sind mit solchen Programmen nur marginale Erfolge erzielt worden. Lassen Sie mir ein bisschen Zeit, Instrumente zu prüfen und zu entwickeln.

Warum beobachtet der Verfassungsschutz noch die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum der PDS?

Beide Gruppierungen glauben, man könne auf nicht-demokratischem Wege zu einer neuen Gesellschaftsordnung kommen. Aber ich halte sie politisch für nicht besonders gefährlich. Es handelt sich um relativ kleine Gruppen von überwiegend Salonkommunisten. Ob sie weiter zu beobachten sind, müssen wir von Jahr zu Jahr nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüfen.

Sind CDU-Vorhaben wie die Video-Überwachung von Plätzen und Straßen zur Kriminalitätsbekämpfung für Sie erledigt?

Mir konnte noch keiner nachweisen, dass man durch Videoüberwachung schwerwiegende Kriminalität verhindert. Sie wird nur an andere Orte verdrängt.

Der Bundestagsinnenausschuss hat befriedete, also demonstrationsfreie Zonen abgelehnt. Was wird aus dem CDU-Vorhaben?

Nach meinem Eindruck bestehen inzwischen auch auf Seiten der Bundes-CDU erhebliche Bedenken. Bei einem Demonstrationsverbot an Plätzen von nationaler Bedeutung hätte es 1832 kein Hambacher Fest gegeben. Rechtsextremisten missbrauchen aber historisch belastete Orte. Ich interpretiere den NPD-Marsch durch das Brandenburger Tor in Anklang an den 30. Januar 1933 als Gebrauch von Nazi-Symbolik. Dagegen ist ein versammlungsrechtliches Verbot nach meiner Rechtsauffassung durchsetzbar, ohne befriedete Bezirke.

Justizsenator Wolfgang Wieland will eine Bundesratsinitiative des CDU-SPD-Senats zur schärferen Ahndung von Graffiti-Schmierereien nicht weiter verfolgen.

Ich bin mit Wieland einig, dass man Graffiti-Schmierereien unterbinden muß. Ich hatte schon als Justizsenator eine Bundesratsinitiative bewirkt, um auch die Verunstaltung zum Tatbestand der Sachbeschädigung zu machen. Damit kamen wir mit Mühe durch den Bundesrat, sie scheiterte im Bundestag. Wieland weiß, man kriegt das nicht durch. Der zweite Vorstoß des Diepgen-Senats war eher eine symbolische Initiative.

Der Justizsenator ist für Fixerstuben und für den freien Verkauf so genannter weicher Drogen wie Haschisch. Machen Sie mit?

Fixerstuben sind rechtlich zulässig. Aber nicht ich, sondern die Drogenpolitik muss beurteilen, ob es Gründe gibt, in BerlinSchwerstabhängige unter eine gewisse ärztliche Beobachtung zu stellen, um ihr Leben zu erhalten. Dagegen halte ich den Ansatz der Grünen für illusionär, durch die Freigabe weicher Drogen könne man auch den Handelsmarkt für wirklich gefährliche harte Drogen austrocknen und leichter bekämpfen. Nach den Erfahrungen in Holland und anderen Staaten ist das nicht der Fall.

Der Regierende Bürgermeister Wowereit will die Personalkosten im öffentlichen Dienst um eine Milliarde Mark oder 15 000 Stellen abbauen. Verhandeln Sie schon mit den Gewerkschaften?

In meinem ersten Gespräch mit dem Hauptpersonalrat habe ich das Thema jetzt aufgegriffen. Nun beginne ich Gespräche mit den Gewerkschaften. Wir haben seit 1992 rund 60 000 Stellen abgebaut und müssen weiter abbauen. Das tut weh. Ich werde vor der Wahl am 21. Oktober Empfehlungen geben.

Geht es ohne betriebsbedingte Kündigungen?

Ich halte die Beschäftigungssicherungsvereinbarung bis 2004 für einen schweren politischen Fehler, weil sie uns jeden Spielraum nimmt. Es gehörte zum Regierungssystem Diepgen, unter dem Begriff des sozialen Friedens Konflikte zu vermeiden und es möglichst allen recht zu machen. Das war schon raffiniert. Für die SPD wäre es da sehr schwer gewesen, Nein zu sagen.

Was folgt daraus?

Dass es solche Vereinbarungen in Zukunft nicht mehr geben kann. Jetzt müssen wir mit den Gewerkschaften über Modelle wie Jobsharing, vorzeitiger Ruhestand reden, eventuell finanzielle Anreize, um Bediensteten den Weg in Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes zu erleichtern.

Wollen Sie diesmal nach der Wahl Senator bleiben?

Ich betrachte mich nicht als Übergangssenator. Politik ist Teil meines Lebens.

Herr Körting[von 1997 bis 1999 waren Sie Jus]

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