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EICHWALD & Ich FOLGE  1: Darfst Hajo zu mir sagen

Aus meinem WG-Leben mit einem Bundestagsabgeordneten.

„Hör mal, das ist ja schön und gut, was die vegane Küche aus Cashewnüssen alles machen kann“, sagt Paul, mein Vermieter und Mitbewohner. „Aber du musst trotzdem bis Monatsende ausziehen.“

„Moooment!“, sage ich und fahre meinen Schreibtischstuhl auf die höchste Stufe, um mir einen psychologischen Vorteil zu verschaffen. „Ich wohne gefühlt seit zehn Jahren hier, da habe ich mindestens Anspruch auf zwölf Monate Vorwarnung und eine Abfindung. Außerdem singst du immer beim Duschen. Da wollte ich ohnehin gerne Mietminderung geltend machen.“

„Also“, sagt Paul, „das ist ja Blödsinn, denn erstens bist du nur Untermieter, zweitens erst seit drei Jahren, drittens haben wir den Mietvertrag nur auf einen Bierdeckel geschrieben, viertens habe ich die Stimme eines Engels und fünftens hast du statt deiner Unterschrift einen Penis auf den Deckel gekritzelt.“

„Wer sagt denn, dass ich das nicht als Künstlernamen im Personalausweis hab eintragen lassen?“, frage ich.

„Einen gekritzelten Penis?“

Um Spannung aus der Situation zu nehmen, fahre ich meinen Schreibtischstuhl wieder zurück auf die niedrigste Stufe. Ohne Erfolg.

„Und was hast du jetzt vor?“, frage ich Paul einen Monat später, als ich beiläufig auf Pauls Skateboard meine letzten Kartons aus der Tür schiebe.

„Erst mal kernsanieren und dann eine Model-WG. Und von der Kohle miete ich mir was Günstiges in Köpenick.“

„Ja gut“, sage ich, „Model-WG. Da hätte man ja durchaus mit mir reden könn... Paul? PAUL?“ Ist die Tür vom Durchzug zugefallen oder war das ein zwischenmenschliches Signal?

Es ist halb sieben am nächsten Morgen, als ich mit der umkringelten Wohnungsanzeige in der Hand nach dem Klingelschild suche: „Eichwald“, lese ich.

„Und beruflich so?“, fragt mich Eichwald wenig später, als er die VfL-Bochum-Tasse aus einem großen Kaffeevollautomaten zieht. „Auch einen?“

„Ja bitte“, antworte ich. „Und Autor. Und Sie?“

„Bundestag. Abgeordneter. Scheiße!“, sagt er und schlägt gegen die Kaffeemaschine. „Wieder Bohnenstau!“ Dann nimmt er einen großen Schluck aus seiner Tasse. „Also“, sagt er, „ich hab halt überlegt, ob ich mir einen Hund kaufe, aber ich bin ja nur 100 Tage im Jahr hier, und dann bräuchte ich jemanden, der zwischendurch drauf aufpasst.“ – „Auf die Wohnung?“, frage ich. „Nein, nein. Auf den Hund. Und vorher wollte ich einfach mal schauen, ob das langfristig überhaupt was für mich ist.“ – „Ein Hund?“ – „Nein, Mitbewohner.“ Ich nicke.

Eichwald schaut nachdenklich zum Kaffeevollautomaten.

„Scheidungsmasse, Scheißteil“, sagt er. „Ich wollte ja lieber das Trampolin.“ – „Ach, Weiber“, sage ich. Eichwald reicht mir die Hand. „Darfst Hajo zu mir sagen.“

Stefan Stuckmann

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