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Berlin: Ein bisschen Weltklasse in Petershagen

"Ach der", sagt Lijun Ma und zeigt auf ihren Mann, "der will immer nur Tischtennis spielen". Der Mann, der immer nur Tischtennis spielen will, heißt Liang Geliang und ist richtig berühmt.

"Ach der", sagt Lijun Ma und zeigt auf ihren Mann, "der will immer nur Tischtennis spielen". Der Mann, der immer nur Tischtennis spielen will, heißt Liang Geliang und ist richtig berühmt. Liang Geliang gewann in den 70er Jahren sechs WM-Goldmedaillen. In seiner Heimat China ist er eine Legende. "90 Prozent aller Chinesen kennen ihn", sagt seine Frau. Und das sind mehr als eine Milliarde Menschen. Und jetzt kennt ihn auch noch ganz Petershagen.

Petershagen ist eine hübsche Gemeinde im Südosten Berlins. Sie hat freundliche Einwohner, zwei Tankstellen und sogar einen eigenen Tischtennisverein. Und seit zwei Jahren auch diesen berühmten Liang Geliang. Er spielt für den SV Blau-Weiß Petershagen in der Senioren-Mannschaft und in der Oberliga Berlin-Brandenburg. 51 ist er mittlerweile und etwas rundlicher auch, aber verloren hat er bisher noch kein Spiel. Natürlich nicht.

Angefangen hat er mit zehn. Damals noch typisch asiatisch mit der "Penholder"-Haltung. Dabei wird der Schläger zwischen Zeigefinger und Daumen geklemmt. Wie beim Stäbchenessen. Für Aufschlag und Vorhand-Topspin perfekt. Nur die Rückhand gibt es dabei eigentlich nicht. Deshalb wechselte er bald zur "Shakehand"-Haltung, wie sie in Europa gebräuchlich ist. "Da gibt es viel mehr Möglichkeiten, und die Bewegungen sind schöner", erklärt Liang, der perfekte Allround-Spieler, der immer wieder die westliche Welt mit verschiedenen Spielsystemen verblüffte.

Liang war der erste Spitzenspieler, der nach seiner internationalen Laufbahn das Tischtennis-Reich China verlassen durfte. Die deutsche Sportmanagerin Annegret Steffin mauschelte mit dem chinesischen Sportverband einen Vertrag aus. Sie sollte 100 000 DM für Liang zahlen und durfte ihn dafür vermarkten. "Der Verband hat mich gefragt, und ich hatte sofort Lust, in Deutschland zu spielen", sagt Liang. Seine große Chance, aus China herauszukommen. Einen Monat später war er in Deutschland, glänzte bei Schaukämpfen und spielte in der Saison 1980/81 beim Bundesligisten TTC Altena - mit Liang ein Meisterschaftsanwärter. Von Steffin bekam er einen Dolmetscher, freies Wohnen und Essensgeld. Mehr nicht. Liang spielte und siegte. In der Winterpause flog er das erste Mal zu seiner Familie nach China und kam nicht wieder. Die Regierung ließ ihn nicht mehr aus dem Land, "Steffin hat nicht gezahlt", sagt Liang. Er bekam Probleme mit dem Sportverband, der von ihm Geld wollte. Liang musste beweisen, dass er nichts verdient hatte. Es gelang ihm.

In den nächsten Jahren absolvierte Liang Geliang eine Trainerausbildung an der Pekinger Universität und arbeitete in verschiedenen Ländern. Irgendwann wollte er wieder nach Deutschland. "Es ist das beste und sicherste Land", sagt Liang, der über vierzig Länder bereist hat. Durch die Vermittlung eines deutschen Bekannten, mit dem Liang brieflichen Kontakt aufgenommen hatte, gelangte er 1985 nach Lübeck. China hatte inzwischen das Interesse an seinem Tischtennisspieler verloren, versuchte aber trotzdem zwei Jahre später, bei Liang abzukassieren. Ohne Erfolg. Seine Frau Lijun kam einige Monate später mit der Tochter nach und traute sich im Gegensatz zu ihrem Mann bis zum Jahr 1991 nicht, die Familie in China zu besuchen: "Ich hatte Angst, nicht mehr rauszukommen, mein Vater war Offizier." Auch sie war beim Militär. Als Krankenschwester.

Seitdem leben und arbeiten beide in Deutschland. Lijun Ma pflegt Kranke, und Liang Geliang macht, was er am besten kann. Er spielt Tischtennis, mittlerweile natürlich für Geld: neuerdings in Petershagen. Ein kontinuierlicher Abstieg aus der Bundesliga in die Oberliga. Aber das macht dem früheren Weltklassespieler nichts. Keine Spur von Arroganz oder Überheblichkeit. Einzig: "In der Oberliga zu spielen, ist etwas langweilig", sagt Liang. Dafür aber mit Erfolg. Liang ist wieder Weltmeister - im Einzel der über 50-Jährigen.

Und das kommt wiederum Bernd-Peter Freiherr von Dieterich, Tankstellenbesitzer und Finanzier der Tischtennis-Abteilung in Petershagen, entgegen. Dieterich will unbedingt Deutscher Meister mit der Senioren-Mannschaft werden. Dafür braucht er seinen Freund Geliang. Und am besten die nächsten Jahrzehnte auch noch: "Geliang bleibt für immer hier. Er hat es gut bei mir".

Vor zwei Jahren holte Dieterich den Chinesen nach Petershagen und spielt mit ihm seither erfolgreich Doppel. Sie sind Europameister bei den Senioren. Unter der Woche wohnt Liang in einer Einzimmerwohnung im Haus seines Doppelpartners und arbeitet in dessen kleinem Tischtennis-Shop. Wenn Punktspiele sind, ist er auch am Wochenende in Petershagen. Ansonsten hält er sich bei seiner Frau in Lübeck auf.

Für die sechzehn Jahre, die Liang nun schon in Deutschland lebt, spricht er wenig Deutsch. Was daran liegt, dass er generell wenig spricht. Und wenn, dann mit Händen und Füßen. "Ach der", sagt seine Frau, "der denkt immer nur. Aber was er denkt, weiß ich auch nicht". Lijun Ma redet ausgezeichnet und wie ein Wasserfall. Sie seien eben völlig verschieden, "Ich bin immer direkt, wie beim Militär", sagt sie. Geliang dagegen ist ein Tüftler. Er probiert neue Schläge aus, testet Material und bastelt Schlägerhölzer ("Liang-Special") selbst zusammen. Die Nachfrage ist groß. Liang verkauft die Hölzer in die ganze Welt. Aber genauso geschickt repariert er Fernseher, Video-Recorder oder CD-Player. Und er singt. Zu Hause nimmt er auf einem Computer sogar CDs mit seinem Gesang auf. "Ach der, der hat so viele Talente" sagt Lijun Ma kopfschüttelnd.

Das größte Talent hat Liang im Tischtennis. Seine Schlagbewegungen sind immer noch rund und harmonisch. Vor vier Jahren hatte er einen schweren Autounfall. Seitdem überzieht eine lange Narbe sein linkes Knie, und das Handgelenk seiner rechten Spielhand ist nur eingeschränkt beweglich. Auch leidet er unter ständigen Kopfschmerzen. Schmerztabletten nimmt er aber nie. "Lieber spiele ich Tischtennis", sagt er. Tischtennis als Therapie für Körper und Geist.

Liang Geliang hat ab und zu Heimweh. Irgendwann will er wieder nach China zurück. In Peking besitzt er ein Haus. Aber zuerst muss seine in München lebende 22-jährige Tochter heiraten und versorgt sein. Lijun Ma würde dagegen am liebsten für immer in Deutschland bleiben. Außerdem wittert sie wegen den Olympischen Spielen 2008 in China eine Chance auf gute Geschäfte. Es seien schon Leute an sie herangetreten. "Aber Geliang will keine Geschäfte machen", sagt sie. Vielleicht wird er sich ja noch überreden lassen. Immerhin kann er sich vorstellen, zwei Leben zu führen, eines in China und ein anderes in Deutschland.

Sein Doppelpartner aber, der Freiherr und Tankstellenbesitzer aus Petershagen, muss sich deswegen keine Sorgen machen. "Ich habe ihm versprochen, bis 80 mit ihm Doppel zu spielen."

Jörg Petrasch

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