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Fans von RB Leipzig beim Bundesliga-Duell mit den Bayern

© REUTERS/Kai Pfaffenbach

Ein bisschen wie in Südeuropa: Warum Leipzig so liebenswert ist

Mehr als 20.000 Fans kommen am Sonnabend aus Leipzig zum DFB-Pokalfinale nach Berlin. Was macht ihre Stadt so besonders? Eine Liebeserklärung.

Wäre ich nicht in Berlin zu Hause, würde ich in Leipzig leben. Im Leipzig nach dem Mauerfall, dieser tollen, freiheitsliebenden Bürgerstadt, in der am 9. Oktober 1989 der Mut der Menschen den endgültigen Fall des totalitären Regimes und damit das Ende der DDR besiegelte.

Wären damals nicht 70.000 Leipziger trotz ihrer Angst vor Waffengewalt, die am Tag der entscheidenden Montagsdemonstration von den „Staatsorganen“ in der „Leipziger Volkszeitung“ unverhohlen angedroht wurde, auf die Straße gegangen – der Herbst 1989 wäre anders verlaufen. Es waren die Leipziger, die an jenem Abend sogar an der Runden Ecke, dem Sitz der Stasi-Zentrale, „Wir sind das Volk“ riefen. Ohne zu wissen, ob sie die Nacht im eigenen Bett oder in einer Zelle verbringen würden.

Leipzig heute – das ist eine einladende Stadt, die ihre Besucher freundlich empfängt. Wer mit der Bahn anreist, landet in Europas flächenmäßig größtem Kopfbahnhof, einem imposanten Prachtbau von dem aus die Innenstadt fußläufig erreichbar ist. Wer sich nicht auskennt, wird schnell Hilfe erfahren. Suchende spricht der Leipziger gerne an, ein Schwatz ist fast immer drin. Die Innenstadt zeigt sich fein saniert – Immobilienbetrüger Jürgen Schneider sei Dank. Überall laden Einkaufspassagen nicht nur die Touristen zum Flanieren und Shoppen.

Schon schön: die Innenstadt von Leipzig.
Schon schön: die Innenstadt von Leipzig.

© picture alliance / Jan Woitas / dp

Der Leipziger ist viel unterwegs in seiner Stadt, es gibt immer etwas zu erleben. Das kulturelle Angebot und die Kneipen- und Clublandschaft ist groß. Das Völkerschlachtdenkmal, der schöne Zoo, das Gewandhaus, die in den alten Restlöchern der Tagebaue entstandenen Naherholungsgebiete wie der Cospudener See, die Moritzbastei, die Galerien in der alten Spinnerei oder die Messe, auf der im Frühjahr die alte Verlags- und Buchstadt zum großen Bücherfest locken. Ja, es ist hier kleiner als in Frankfurt – aber genau das lieben die Besucher. Nicht beschaulich und piefig, sondern überschaubar und großherzig. Wie die ganze Stadt.

Schon vor Jahren wurde der programmatische Name Hypezig geboren, die Stadt boomt, immer noch und immer weiter. Sie ist die am stärksten wachsende Großstadt in Deutschland, knapp 600.000 Menschen leben mittlerweile wieder hier. Die Mieten steigen entsprechend, die Gentrifizierung schreitet voran, alte Milieus werden vertrieben. Leipzig-Connewitz, linker und alternativer Stadtteil, scheint den Weg des Prenzlauer Bergs zu nehmen. Und auch in Leipzig kommt es immer wieder zu Übergriffen Rechtsextremer, treffen sich Neonazis zu Demonstrationen und greifen linke Projekte an.

Das ändert nichts am Hype. Viele wollen in der boomenden sächsischen Metropole leben, die von einem Sozialdemokraten regiert wird und in der die AFD bei den Stadtratswahlen vor fünf Jahren auf sechs Prozent der Wählerstimmen kam. Oberbürgermeister Burkhard Jung zeigt Gesicht, engagiert sich gegen Nationalismus und Populismus und rief am Sonntag bei den bundesweit stattfindenden Pro- Europa-Demonstrationen die rund 5000 Teilnehmer in Leipzig dazu auf, wählen zu gehen und den Rechten eine Absage zu erteilen.

Eine gute ICE-Stunde vom Berliner Hauptbahnhof entfernt ist Leipzig an der Pleiße den Hauptstädtern nicht nur verkehrstechnisch näher, als ihre ewige Konkurrentin an der Elbe, die Landeshauptstadt Dresden. Nein, es ist auch der Sound, der ähnlich klingt: Weltoffen, neugierig, tolerant.

Ein bisschen ist es dort wie in Südeuropa

Ich habe in Leipzig quasi eingeheiratet, meine erste Begegnung mit dem Geburtsort meines Mannes datiert auf das Jahr 1997. Sicherlich auch der Herzensschwingungen wegen entflammte ich sofort für „Pleißathen“, von echten Sachsen mit weichem „s“ gesprochen. Groß genug, um täglich etwas erleben zu können und trotzdem so überschaubar, dass man immer zufällig Bekannte oder Freunde trifft. Jung ist die Stadt, rund 30 000 Studenten sind an der Leipziger Universität eingeschrieben.

Das Leben wirkt entschleunigter in Leipzig, südeuropäischer. Und tatsächlich blüht nicht nur der Flieder Wochen früher als in Berlin: Die rund 150 Kilometer Entfernung in Luftlinie führen sowohl floral in eine andere Klimazone als auch zwischenmenschlich. Südwestlich der Elbe hat das Leben draußen einen größeren Stellenwert, anders als in Brandenburg findet Geselligkeit in Sachsen gerne vor der Tür und nicht hinter den Gartenzäunen statt. Die Biergärten Leipzigs künden davon.

„Alle in weiß nach Berlin“ lautete das Motto schon bei der Bundesligapartie von RB im eigenen Stadion gegen die Bayern am 11. Mai. Das Spiel endete 0:0 – ein Ergebnis, das beim Pokalfinale nicht stehen bleiben würde. Die Fans jedenfalls wollen in weißen T-Shirts auf sich aufmerksam machen.
„Alle in weiß nach Berlin“ lautete das Motto schon bei der Bundesligapartie von RB im eigenen Stadion gegen die Bayern am 11. Mai. Das Spiel endete 0:0 – ein Ergebnis, das beim Pokalfinale nicht stehen bleiben würde. Die Fans jedenfalls wollen in weißen T-Shirts auf sich aufmerksam machen.

© Matthias Koch

Dass seit fast genau zehn Jahren ein neuer Fußballverein die Heimat von Traditionsvereinen wie der BSG Chemie und Lok Leipzig – die man eigentlich nicht in einem Atemzug nennen darf – aufmischt, soll einer Schnapsidee des Red-Bull-Chefs Dietrich Mateschitz entsprungen sein. Red Bull Leipzig wurde im Mai 2009 von der österreichischen Red Bull GmbH gegründet, Gesellschaftern gehören 99 Prozent des RasenBallsport Leipzig e.V. kurz RB Leipzig. Grund genug, dem Klub der am Ende der Saison auf Platz drei der Bundesligatabelle steht seine Identität und Verwurzelung bei den Fans abzusprechen. In der Liga gab und gibt es deshalb immer wieder Proteste anderer Vereine und deren Fans.

Die Leipziger ficht das nicht an. Gerade hat der Verein verkündet, zu den bereits verkauften 20.000 Dauerkarten für die nächste Saison weitere 2500 anzubieten. Sie werden schnell ausverkauft sein. Bei Heimspielen sieht man ganze Familien im Fan-Outfit auf dem Weg ins Stadion – oder zum Public Viewing. Das wird es natürlich auch am Sonnabend zum Pokalfinale überall in Leipzig geben.

Vor dem Pokalfinale herrscht typisch sächsischer Optimismus

Mindestens 20.000 RB-Fans werden sich aber auf den Weg nach Berlin machen. Schließlich gehören sie zu den Glücklichen, die einen Platz im Gästeblock am Marathontor ergattert haben. Die Roten Bullen dürfen in Heimkleidung – weiße Trikots, roten Hosen und weißen Stutzen – auflaufen, müssen dafür aber die Gästekabine beziehen. Bevor um 20 Uhr angepfiffen wird, startet das Fanfest am Breitscheidplatz. Von 12 bis 17 Uhr werden sich dort auch viele RB-Anhänger einfinden, die keine Karte für das Stadion haben. Um 15 Uhr startet dann der Fanmarsch, der bis zum S-Bahnhof Charlottenburg gehen soll.

Der Verein hat für fast alle Varianten vorgesorgt. „21.45 Uhr: totale Eskalation bei RB-Sieg; 22.15 Uhr: totale Eskalation bei RB-Sieg n. V.; ca. 22.30 Uhr: totale Eskalation bei RB-Sieg n. E.“ heißt es auf der RB-Website mit typisch sächsischem Optimismus.

In unserer Familie ist klar, für wen wir die Daumen drücken. Schließlich sind beide Söhne Halbsachsen, der Vater ein ganzer und über meine Herzensschwingungen habe ich ja schon berichtet. Leipzig soll den Pokal holen! Zum Glück spielt RB nicht gegen die Hertha.

Alles zu den Pokalfinals am heutigen Sonnabend lesen Sie hier im Live-Blog.
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Anmerkung der Redaktion: Die Entfernung zwischen Berlin und Leipzig war im Text leider falsch angegeben. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.

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