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Berlin: Ein Dach, exakt so lang, wie einst geplant

Warum Architekt von Gerkan nur die halbe Wahrheit über den Hauptbahnhof erzählt Von Wolf-Dieter Siebert

Es ist der 27. Februar 1993: Im „Tagesspiegel“ erscheint ein Foto vom geplanten Neubau des damaligen Lehrter Bahnhofs. Stolz präsentieren Bausenator Wolfgang Nagel, Stadtbaudirektor Hans Stimmann, Bahnchef Heinz Dürr und Architekt Meinhard von Gerkan den Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs für Berlins neuen Kreuzungsbahnhof. Das gefeierte Modell sieht ziemlich exakt so aus, wie sich der Hauptbahnhof heute auch tatsächlich präsentiert. So hat auch das Dach die Länge, die es heute hat.

Die Resonanz auf den Gerkan-Entwurf für Europas größten Kreuzungsbahnhof, der in Berlin entstehen soll, ist überwältigend. Keine Rede ist 1993 davon, dass das von Gerkan präsentierte Siegermodell mit dem Ost-West-Dach in seinen Proportionen wie abgehackt wirken würde. Wieso spricht Gerkan heute von künstlerischer Entstellung seines Werkes, nachdem wir aus einer von ihm mit verursachten Termin- und Finanzierungsnot notwendige Änderungen vornehmen mussten? Warum bleibt das vertraglich vereinbarte Recht des Bauherrn auf Änderungen unerwähnt?

Das Gesamtprojekt von der Perleberger Straße bis zum Spreebogen wurde 1997 in einer Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund mit 700 Millionen Euro budgetiert. Am Ende betragen die Baukosten eine Milliarde Euro. Sie wären noch deutlich höher gewesen, hätten wir nicht gegen den Willen des Architekten einschneidende Maßnahmen zur Eindämmung der Kosten durchgesetzt. Der Bahnhof, der ursprünglich 2000 teilweise und 2002 ganz in Betrieb gehen sollte, wurde 2006 fertig.

Mit dieser Situation – Kosten-Explosion und völlige Überziehung aller Termine – hatte ich mich als Vorstandsvorsitzender DB Station & Service AG auseinanderzusetzen, als ich im Januar 2002 mein Amt antrat. DB-Chef Hartmut Mehdorn hatte kurz zuvor, im Dezember 2001, die Notbremse gezogen: Nachdem alle Kostenprognosen überzogen waren und der ursprüngliche Fertigstellungstermin nun sogar auf das Jahr 2008 (!) zu rutschen drohte, mussten in Abstimmung mit Bauunternehmen, Architekten und Genehmigungsbehörde klare Entscheidungen getroffen werden. Die Fußball-WM hätte einen Baustellenbahnhof erlebt! Zwei Jahre Bauzeitverlängerung hätten einen wirtschaftlichen Nachteil von weiteren 200 Millionen Euro für die Bahn bedeutet.

Die Budgets waren erschöpft. Wegen der Abhängigkeit von den kurzen Sperrpausen für die Verschwenkung der Gleise auf die neue Stadtbahntrasse sicherte nur ein Dach, dessen Länge dem ursprünglichen Gerkan-Modell entsprach, eine pünktliche Indienststellung des Berliner Hauptbahnhofs zur WM 2006. Es ging um Tage und eine Alternative gab es nicht.

Und da muss doch wohl die Frage erlaubt sein: Muss ein Auftraggeber unbegrenzt Termin- und Kostenrisiken, aus künstlerischen oder welchen Gründen auch immer, hinnehmen und damit ein Unternehmen wirtschaftlich aufs Schwerste schädigen? Da nach der Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund die öffentlichen Mittel für den Bahnhof mit rund 500 Millionen Euro budgetiert waren, gehen die Mehrkosten voll zu Lasten der DB. Damit musste die Bahn statt der ursprünglich geplanten 200 Millionen rund 500 Millionen Euro Baukosten aus eigenen Mitteln aufbringen. Geld, das aus dem Bahnhof nie verdient werden kann. Damit fehlen 300 Millionen Euro, die wir anderenorts für die Modernisierung der Bahnhöfe dringend benötigen.

Sicherlich gab es viele Einflussfaktoren auf das Projekt. Ein wichtiger Faktor für Verzögerungen und Kostensteigerung lag jedoch im anspruchsvollen Entwurf des Architekten und in seiner Art, mit dem Projekt umzugehen.

Mit dem Berliner Hauptbahnhof hat Meinhard von Gerkan sicherlich Einzigartiges geschaffen. Doch er hat uns bei einem seiner wichtigsten Projekte im Kostenregen stehen lassen. Seine technischen Lösungen mussten oft erst in langwierigen Prüfverfahren überprüft und zum Teil mangels Realisierbarkeit nachgebessert werden. Beim Ost-West-Dach beispielsweise stand noch lange nach Baubeginn des Bahnhofs nicht fest, ob das Dach überhaupt jemals gebaut werden kann.

Für Zweifel gab es gute Gründe: Ein vergleichbares Dach war beim Bau 1997 eingestürzt, thermische Probleme der Konstruktion erforderten umfangreiche Zusatzgutachten von Fraunhofer-Instituten, sonst technisch übliche Toleranzen in der Fertigung ließ das geplante Dach nicht zu. Eine machbare Lösung für die Innenreinigung des Daches im Übrigen schuldet uns der Architekt bis heute.

Das von Gerkan mit rund 36 Millionen Euro veranschlagte Ost-West-Dach hätte mindestens 74 Millionen Euro gekostet. Mit der aus dem Termindruck notwendigen Dachverkürzung konnten die Kosten immerhin noch auf 64 Millionen Euro gedrückt werden. Der Anteil der Bundesmittel blieb auf 34,5 Millionen Euro begrenzt.

Gerkan selber kam in einem Schreiben im Jahr 2001 zu der Erkenntnis: „Die bisherige Bearbeitung hat gezeigt, dass dieses Projekt deutlich komplexer und anspruchsvoller ist, als alle bisherigen von uns und anderen in der Vergangenheit realisierten Bauvorhaben.“ Gerkan nahm diese späte Erkenntnis zu seinem Entwurf aber nicht etwa zum Anlass, die Komplexität im Zeit- und Kostenrahmen beherrschbarer zu machen. Vielmehr leitete er daraus gegenüber der DB zusätzliche Honorarforderungen ab. Mittlerweile hat er seine Forderungen auf 39 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

Schon Ende 1997 begann auch die Diskussion mit dem Architekten um die abgehängten Decken im Untergeschoss des Bahnhofs. Bereits 1998 lagen die Kostenvoranschläge des Architekten für die von ihm favorisierte Gewölbedecke bei rund 12 Millionen Euro. Vereinbart war mit Gerkan ein Kostenbudget von rund sieben Millionen Euro.

In den folgenden Jahren hat die Bahn Gerkan immer wieder gebeten, eine Decke zu planen, die in das Kostenbudget passt. Dem Architekten ist es nicht gelungen, eine geeignete Lösung vorzulegen. Den Vorschlag der Bahn, die Alternative einer Flachdecke im Budgetrahmen zu entwickeln, lehnte er ausdrücklich ab. Deshalb sah die Bahn sich gezwungen, diese Alternative von einem anderen Architekten planen zu lassen.

Keine Entscheidung während des Bauprozesses wurde uns vom Architekten leicht gemacht. Keine Entscheidung haben wir leichtfertig getroffen. Der Gestaltungswille des Architekten darf jedoch nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bauherrn überfordern.

Deshalb werden wir auch weiter streiten dafür, dass nicht weitere Millionen statt in die Sanierung von Bahnhöfen in den unnötigen Umbau der Decke des Berliner Hauptbahnhofes fließen. Wir werden weiter dafür streiten, dass wir unseren Kunden nicht in einem gerade eröffneten Bahnhof für lange Zeit eine Baustelle zumuten müssen.

Unsere Kunden und die Berliner haben ihren Hauptbahnhof angenommen, ebenso wie die Gäste der Hauptstadt. Deshalb werden wir auch das Dach nicht verlängern, sondern es so belassen, wie es schon 1993 im Architektenentwurf als schön empfunden wurde. Meinhard von Gerkan hat schließlich die Kürzung des Daches aktiv mitgestaltet und - gegen ein zusätzliches Honorar versteht sich – selbst umgeplant.

Der Berliner Hauptbahnhof ist zu einem Schmuckstück für die deutsche Hauptstadt geworden. Der Bahnhof und seine Architektur werden weltweit gerühmt. Er ist uns lieb und teuer geworden. Meinhard von Gerkan hat an beidem seinen Anteil.

Wolf-Dieter Siebert ist Vorstandsvorsitzender der DB Station&Service AG

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