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Berlin: „Ein Einzelkind hat keine Geschwister zum Ärgern“

Unsere Kinderreporterin Undine Weimar-Dittmar (14) erzählt aus ihrem Leben in einer Großfamilie

„Es gibt Essen“, ruft mein Vater zum dritten Mal. Keiner kommt. Nach fünf Minuten haben sich dann aber doch irgendwie alle am Tisch eingefunden. Erst mal fängt ein lautes Durcheinanderreden an, und jeder will etwas erzählen. Nebenbei wird gegessen, und irgendwann beginnen die Meinungsverschiedenheiten. Zum Beispiel, wie lange mein 12-jähriger Bruder Leander noch am Computer bleiben darf oder was Béla (6) und Céline (8) nach dem Essen mit meinen Eltern spielen. So sieht ein normales Abendessen bei uns aus.

Das ist unter der Woche meistens die einzige Zeit am Tag, in der wir alle zusammensitzen, deshalb hat jeder viel zu erzählen. Sonst ist jeder irgendwo mit etwas anderem beschäftigt: sei es Fußballtraining oder Gitarrenunterricht. Zu sechst mit unseren zwei Katzen wohnen wir in einer 6-Zimmer-Altbauwohnung, in der ich seit zwei Jahren mein eigenes Zimmer habe. Céline und Béla teilen sich ein Zimmer, und Leander hat im gleichen Zimmer auf einer eingebauten Hochetage sein Reich.

Ich bin die Älteste von uns vieren und diese Rolle ist nicht immer die schönste. Wenn es Streit gibt, in den ich verwickelt bin, bin meistens ich schuld, und wenn es irgendetwas zu machen gibt, soll ich es tun. Andererseits hat man als Älteste auch Vorteile: Man darf länger weg- und aufbleiben und bekommt mehr Taschengeld. Oft denke ich zwar: Wäre ich doch ein Einzelkind! Aber eigentlich bin ich froh, dass ich meine Geschwister habe. Als Einzelkind ist man immer alleine, hat keine Geschwister, die man ärgern oder mit denen man sich streiten kann. Einzelkinder haben natürlich auch viele Vorteile: Sie bekommen mehr Taschengeld, haben ihre Eltern für sich alleine und noch vieles mehr. Manchmal ärgere ich mich über die Unordnung in unserer Wohnung und meckere meine Eltern deshalb an, aber dann muss ich auch wieder daran denken, was sie eigentlich alles für uns machen: Jeden Morgen steht mein Vater mit uns auf und kümmert sich ums Frühstück. Nach der Schule macht er uns Mittagessen, und abends kocht er auch noch einmal. Meine Mutter räumt auf, macht die Wäsche, die in einer sechsköpfigen Familie nicht gerade wenig Arbeit bereitet, und auch sonst bringen die beiden uns überall hin und kümmern sich um uns.

In den Sommerferien fahren wir jedes Jahr sechs Wochen nach Frankreich, und jedes Mal merke ich, wie viel freundlicher die Menschen dort zu Großfamilien wie uns sind. Manchmal, wenn wir zu sechst auf der Straße sind, was jedoch nicht oft passiert, sind wir ziemlich laut, und ich denke mal, dass wir auch auffallen – aber doof angeschaut werden wir deshalb meistens nicht.

In Deutschland gibt es nicht viele kinderreiche Familien, da die meisten es sich gar nicht leisten können, was verständlich ist. Überall muss man als Großfamilie mehr bezahlen: Allein für Schulbücher müssen wir im Jahr mehrere hundert Euro hinblättern. Damit mein Bruder und ich zur Schule kommen, müssen wir für die BVG im Monat über 40 Euro zahlen. Und überall, wo immer wir auch hingehen – ins Schwimmbad, ins Restaurant oder auf die Kirmes – müssen wir zu sechst natürlich viel mehr bezahlen. Hier und da gibt es ein paar Verbilligungen, die einem aber auch nicht sehr viel helfen.

Ob ich später auch mal mehrere Kinder haben möchte, weiß ich noch nicht. Erst mal will ich einen Job haben und dann mal schauen.

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