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Sie kam aus Bayern, er aus Syrien: Toni und Ahmad wurden in Berlin ein Paar.

© privat

Ein Geflüchteter findet die Liebe in Berlin: Die unwahrscheinliche Liebesgeschichte von Toni und Ahmad

Sie kam aus Bayern, er aus Syrien. Merkels "Wir schaffen das" fiel in ihren Sommer der Liebe. Dann erschütterte Fremdenhass das Land, und Ahmad verzweifelte an Tonis Freiheitsdrang. Unser Blendle-Tipp.

Ahmad krächzt aufgebracht ins Telefon: „Bruder, ich glaube, wir haben ein fettes Problem. Hast du die Nachrichten gecheckt?“ Erwartungsvolle Pause, und als er merkt, dass ich echt gar nichts checke, redet er einfach weiter. „Glaube, da haben ein paar von meinen Kumpels in Köln ein bisschen über die Stränge geschlagen an Silvester.“ Kein Lachen, keine Pointe. Das ist Ahmads sarkastischer Ernst. Es ist der 5. Januar 2016.

Vier Tage zu spät, aber dafür mit voller Wucht schlagen die Meldungen aus der Kölner Silvesternacht in Deutschland ein: „Sexmob wütet in Köln“, titelt die „Bild“. „Sind wir tolerant oder schon blind?“, fragt der „Focus“. Die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker rät zur Armlänge Abstand, Alice Schwarzer schreibt über die „Folgen der falschen Toleranz“ und im Internet entlädt sich der Hass, die Hetze. Die deutsche Frau muss vor dem unerzogenen muslimischen Flüchtling beschützt werden, so der Kommentarspalten-Konsens. Ahmad hat Schiss, und ich bald auch. Um Ahmad, um Deutschland.

Dabei war Ahmad nicht in Köln, sondern in Berlin. Die Typen sind weder Ahmads Freunde noch Geistesbrüder oder sonst irgendwas, sie tragen nur blöderweise dieselben sozialen Label: Flüchtlinge, Muslime. Und die müssen seit Köln nun einmal kollektiv geradestehen. Dabei hätte Ahmad im Leben keine fremde Frau auch nur angefasst. Gott behüte. Schon allein wegen Toni nicht.

Toni ist Ahmads Freundin, seit einem halben Jahr sind die beiden jetzt, im Februar 2017, ganz offiziell ein Paar. Kurz vor besagtem Silvester hatten sie zum ersten Mal Sex.

„Ich hätte damals echt kotzen können!“ Toni ist maximal gereizt, als wir uns nach zu langer Zeit mal wieder treffen. „Was für rechte Chauvis da plötzlich aus den Rattenlöchern gekrochen kamen, um ihre Frauen zu verteidigen.“ „Katze, reg dich nicht so auf“, sagt Ahmad in seiner ganz eigenen Sprache, den Kosenamen auf Deutsch, den Rest auf Englisch. Dazu streicht er liebevoll durch Tonis violette Haare.

Wir sitzen zu dritt am wackeligen Holztisch in einer WG-Küche in Friedrichshain. Das Fenster ist gekippt, der Himmel grau, und in der Wohnung unter uns schimpft – ganz das Klischee – ein wütender Rio Reiser aus den Lautsprechern. Wir spielen UNO, rauchen Selbstgedrehte und reden von früher. Bisschen so wie 85-jährige Rentner beim Bridge, kurz bevor sie endgültig das Zepter abgeben.

„Ein-ein-halb Jaaahre?“, fragt Toni ungläubig. 18 Monate. Genau so lange ist es her, dass wir Ahmad kennenlernten. Toni und ich. Damals teilten wir uns noch ein WG-Zimmer in Kreuzberg. Erst zu zweit, später zu dritt, irgendwann zu viert. Ich schrieb darüber genau hier, in Mehr Berlin, in der Ausgabe vom 15. August 2015. Über Toni, Ahmad, Youssuf, mich. Youssuf zog aus, er hatte seinen Abschiebebescheid bekommen, zurück nach Italien. Anfangs gab er uns noch seine Standorte durch: Mailand, Turin, Bologna, dann plötzlich wieder München, dann war die Leitung tot, die Nummer nicht mehr available. Das war letzten Sommer. Da war Ahmad schon lange umgezogen. Mit Toni, von Kreuzberg nach Friedrichshain. Heute bin ich bei den beiden nur noch zu Besuch.

"Du hast so beschissen getanzt!"

Ich weiß nicht mehr genau, was ich in dieser Sommernacht 2015 gedacht habe, auf dieser Party am Ostkreuz, als Toni den Jungen mit dem Metal-Shirt und dem Ziegenbart fragte, ob er und sein Kumpel noch mitkommen, auf ein Bier zu uns, in die Butze am Görli. Ich weiß nur, dass es nicht war: Das ist dann wohl Tonis neuer Lover. Auch nicht: Das ist jetzt das erste Kapitel einer tragikomischen Liebesschnulze.

Aber damals hätte ich eine Menge Sachen nicht gedacht. Damals war ja erst 2015 und Sommer, Berlin schwitzte und der Bundestag machte Ferien. Sicher, es kamen jetzt ein paar mehr Flüchtlinge ins Land als normal, das Lageso war damals schon überfordert; sicher, die AfD hatte inzwischen ein paar mehr Stimmen, als meiner Meinung nach gesund war, und ließ sich nicht mehr ohne Weiteres ignorieren. Aber im Großen und Ganzen schien mir das alles noch ganz schön okay. Tanzen konnte ich damals noch relativ sorgenlos.

„Du hast so beschissen getanzt“, lacht Ahmad jetzt, während er sich noch eine Zigarette rollt. „Und Toni ist die ganze Zeit umhergesprungen wie eine Katze mit Tollwut.“

Ahmad lebte damals noch in einer Sammelunterkunft in Eisenhüttenstadt und war mit einem Kumpel nur für diese eine Nacht nach Berlin gekommen, sie hatten die letzte Bahn verpasst. Wir sind dann alle zu uns, haben Bier getrunken, einen Joint geraucht. Das erste Bier seines Lebens, Ahmads allererster Joint. Und aus den Boxen dröhnte das Album des Sommers, „Hurra, die Welt geht unter“ von K.I.Z., in Dauerschleife.

Erinnerst du dich noch,
als sie das große Feuer löschen wollten?
Dieses Gefühl,
als in den Flammen unsere Pässe schmolzen? (...)
Und wir singen im Atomschutzbunker,
hurra, diese Welt geht unter,
hurra, diese Welt geht unter!
Auf den Trümmern das Paradies!

Ahmads Pass lag irgendwo im Mittelmeer

Das hatte so was Apokalyptisches. Syrien ging unter, Ahmads Pass lag irgendwo im Mittelmeer. Aber das war jetzt alles egal. Alle Uhren auf null. Ahmad war jetzt hier. In Berlin, in unserer muffigen WG am Görlitzer Park. Und rauchte und trank. „Wenn das die Hölle ist, dann bin ich hier verdammt richtig“, sagte Ahmad. Und irgendwie so oder so ähnlich musste die ja aussehen, hatten sie ihn in Syrien gewarnt. Das war damals vielleicht das erste Mal, dass Ahmad überhaupt irgendwo richtig war. Nach zwei Jahren endlich raus aus der Türkei, nie wieder zurück in das ungeliebte Syrien. Er hatte da ja nie wirklich reingepasst, sich immer gefühlt wie falsch ausgesetzt. Er, das Emo-Kind, mit immer schwarzen Klamotten; einer, den die Leute für einen Satanisten hielten. Immer traurig, immer nachdenklich, immer nur vor dem Computer und mit Metal-Musik auf den Ohren. Wenn er schon nicht rauskonnte, wollte er wenigstens träumen dürfen. Von London, von New York City. Doch dann kam der Krieg, und aus London wurde Istanbul und aus Pragmatismus später Berlin. Auch nicht übel.

Er hatte ja jetzt diese zwei Menschen. Der eine, ich, der an diesem ersten gemeinsamen Abend irgendwann eingepennt war. Die andere, Toni, mit der er danach noch am Spreekanal spazieren ging, während sein syrischer Freund zwei Berliner Kindl in die Kloschüssel erbrach. „Ihr habt meine Stereotyp-Vorstellung von Deutschen in einer Nacht zerstört“, sagt Ahmad. „Kein abschätziger Blick, kein ängstliches Die-Straßenseite-Wechseln wie in Eisenhüttenstadt. Und“, das ist Ahmad am allerwichtigsten, „kein Mitleid. Bei euch musste ich nicht Flüchtling sein.

Das war der beste Sommer. Denke ich, als ich die Fotos betrachte, die Ahmad über sein Bett geklebt hat. Wir alle, tanzend am Spreekanal, Ahmad und Toni zusammen in der Badewanne, Ahmad und ich zusammen auf einem Rockfestival bei Leipzig. Arm in Arm, schwankend vor der Bühne. Endlich die Bands live, die in Damaskus niemals aufgetreten wären. Die Lippen blutig von den scharfen Kanten der geköpften Bierflaschen schwärmten wir beide für Toni. Feierten so albern ausgelassen wie Schulkinder in den großen Ferien und lachten noch, als wir zwischen Biertrichter und matschigen Dosenravioli einschliefen. Kein Gedanke an morgen, und das Gestern war zum Vergessen da. Der Sommer unseres Lebens, über Ahmads Bett bis heute die Fotos als Beweis, für alle, die das nicht glauben wollen.

Ich war in diesem Sommer zum ersten Mal in meinem Leben ein bisschen stolz darauf, Deutscher zu sein. Angela Merkel sagte „Wir schaffen das“, und wenn alle mitanpackten, dachte ich, dann konnten wir das auch schaffen. Easy. Kaum einer in unserem Berliner Freundeskreis, der sich nicht für Geflüchtete einsetzte. Zum ersten Mal seit dem Weltmeister-der-Herzen-Gedöns von 2006 schaute die Welt mit Bewunderung auf Deutschland. Und diesmal hatten wir ja wirklich was erreicht: Hatten wir nicht mal eben hunderttausende Menschen aufgenommen im schönen Willkommens-Deutschland, als wäre nichts dabei? Und das mit der Integration schien auch ganz leicht. War Ahmad nicht das perfekte Beispiel dafür? Von mir aus konnte das immer so weitergehen.

Andererseits: Jetzt konnte es eigentlich nur noch bergab gehen – aber das verstand ich viel zu spät ...

Den vollständigen Text finden Sie am 11. Februar 2017 in unserem gedruckten Sonnabendmagazin Mehr Berlin sowie im Online-Kiosk Blendle.

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