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Berlin: Ein heimischer Exot

Zwei Berliner entdeckten einen Nashornkäfer. Sie sind nicht die einzigen

Der Abend war lau und die Stimmung im lauschigen Biergarten neben dem reetgedeckten „Pavillon“ im Volkspark Friedrichshain friedlich. Plötzlich hörte Annekathrin Brunner, dass „etwas angebrummt“ kam. Neben dem Tisch, an dem die Zehlendorferin mit ihrem Freund Andreas Reich beim Bier saß, landete ein riesiger Käfer. „Er war dunkelbraun, und ich dachte zuerst, es ist ein Maikäfer“, sagte die Betriebswirtschaftlerin, „aber dann sah ich, dass er vorn ein Horn trug.“

Ihr Freund wusste sofort Bescheid: „Das ist ein männlicher Nashornkäfer, nur die tragen so ein Horn.“ Den gibt es nur noch selten, erfuhr sie, und dass die Nashornkäfer eine lange Entwicklungszeit haben. Ihre Engerlinge im Boden werden zwölf Zentimeter lang und brauchen zwei bis drei Jahre, bis sie sich verpuppen. Als Käfer leben sie dagegen nur kurz – zwischen Mai und Juli fliegen die geschützten Tiere. Das Exemplar aus dem Friedrichshain hat vorübergehend Flugpause. Reich nahm ihn mit nach Moabit, um ihn sich daheim mal „richtig anzusehen“. Hungern muss der Gehörnte nicht – sein Entführer serviert ihm Eichenblätter und überlegt dabei, wo er den Käfer wieder aussetzt.

„Man sollte ihn gar nicht erst mitnehmen. Ein Nashornkäfer ist kein Haustier und kein Exot“, sagte der Zoologe Rainer Kaiser, als ihn telefonisch die Nachfrage über den Oryctes nasicornis traf. So heißt der auf lateinisch der zwei bis vier Zentimeter groß werdende Käfer, dessen Weibchen sich mit einem kleinen Hornschild begnügen müssen. Schild und Horn der aus Südeuropa stammenden Käferart sind dunkel, oft schwarz, die Flügeldecken sind braun. Der Lebensraum des Oryctes nasicornis sind Eichenwälder, wo sich die Larven von vermoderndem Holz ernähren. In Mitteleuropa hielten sich Engerlinge des Nashornkäfers früher vor allem in Eichenlohhaufen der Gerbereien auf. Die dort zunehmend verwendeten Chemikalien dezimierten ihren Bestand. Inzwischen hat der Käfer im Kompost, verrottetem Sägemehl oder Stroh neue Entwicklungsstätten gefunden und kommt alle paar Jahre sogar in größeren Mengen vor.

Eben jetzt ist es scheinbar wieder so. Immer wieder klingelt bei Rainer Kaiser das Telefon und jemand meldet dem Aquariums-Chef aufgeregt, einen „riesigen exotischen Käfer“ gefunden zu haben. „Viele Menschen achten und kennen eben nicht mehr die einheimische Natur“, sagte dazu der Aquariums-Chef – und, dass er hoffe, dass der nach Moabit entführte Nashornkäfer wieder dorthin kommt, wo er hingehört: in Freiheit in die Natur.

Heidemarie Mazuhn

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