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Torben P. wurde im April 2011 am Bahnhof Friedrichstraße gefilmt als er auf sein Opfer eintrat.

© Reuters

Ein Jahr nach dem Gewaltexzess: Torben P. wartet auf Haftantritt

Noch ist unklar, ob Torben P. weiter zur Schule gehen kann, wenn er seine Haftstrafe antritt. Das Urteil ist seit Anfang April rechtskräftig. Der Fall löste eine bundesweite Debatte über Sicherheit im Nahverkehr aus.

Wann er ins Gefängnis muss, weiß er noch nicht. Die Ladung zum Haftantritt kann jederzeit im Briefkasten liegen. Zwei Jahre und zehn Monate muss P. hinter Gitter – eine lange Zeit für einen 19-Jährigen. Vielleicht erlassen sie ihm das letzte Drittel der Haftstrafe, aber darüber mag Tobias Kaehne, Sprecher des Landgerichts, nicht spekulieren. Anfang April hat der Bundesgerichtshof bestätigt, dass das Urteil rechtskräftig ist.

Torben ist ein schlaksiger Jugendlicher aus Reinickendorf, dessen Leben ohne besondere Auffälligkeiten verlief, bis zum frühen Morgen des 23. April 2011, als er im U-Bahnhof Friedrichstraße mit Markus P., einem 29-jährigen Handwerker, in Streit gerät. Nach einer Rangelei geht Markus P. zu Boden, und Torben tritt ihm mit roher Gewalt mehrfach auf den Kopf. Er hätte ihn so töten können, nur durch glückliche Umstände kam es nicht zu einer Schädelfraktur. Erst als ein Fahrgast dazwischengeht und ihn festhält, lässt Torben von seinem Opfer ab.

Das mediale Nachbeben erschüttert die ganze Republik. Wegen der exzessiven Brutalität, die auf dem Video der Überwachungskamera schockierend erkennbar wird. Und deswegen: Torben passt nicht in die üblichen Täterprofile. Er ist kein frustrierter, in Schule und Gesellschaft gescheiterter Außenseiter, kein Sprössling einer armutsgeplagten Multiproblemfamilie. Er geht aufs Gymnasium, wohnt in Heiligensee und hat gute Chancen, etwas aus sich zu machen.

Ein Jahr nach dem Geschehen schweigen Täter und Opfer gegenüber der Presse. Beide sind bemüht, die Tat hinter sich zu lassen. Dabei ist nichts vergeben oder vergessen. In einer Mail an den Tagesspiegel erklärt Torben, er fühle sich „öffentlich gegängelt“ und wolle sich nicht äußern. In der katholischen Liebfrauenschule, die ihn nach der Tat aufnahm, mache er „keinen Stress“, sagt Schulpfarrer Lutz Nehk. Er beteilige sich am Unterricht, habe gute Noten und werde von seinen Mitschülern fair behandelt. Er gehe regelmäßig zu Terminen mit der Schulpsychologin.

Seine Haft wird Torben wahrscheinlich in der Jugendstrafanstalt Plötzensee verbüßen. Sein Anwalt will sich zu möglichen Haftbedingungen nicht äußern. Letztlich muss ein Richter entscheiden, ob Torben parallel zur Haft die Liebfrauenschule weiter besuchen kann. Im nächsten Jahr könnte er Abitur machen. Dass er überhaupt zur Schule gehen darf, anstatt in Untersuchungshaft auf seinen Prozess zu warten, hatten viele Beobachter nicht verstanden. Markus P. schrieb einen Brief an die Justizsenatorin, in dem er sich über die Freilassung seines Peinigers als „weiteren Tritt ins Gesicht“ beklagt. Innensenator Frank Henkel, damals noch wahlkämpfender CDU-Fraktionschef, forderte, dass Justiz und Polizei künftig „schneller und härter“ auf solche Gewalttaten reagieren sollten.

Markus erfuhr erst im Krankenhaus, was geschehen war. Er sah das Video und konnte kaum glauben, dass es von ihm handelte. Sein Gedächtnis hat die Tritte wie in einer Blackbox weggeschlossen. Bis heute. Eine Traumatherapie habe ihm geholfen, sagt sein Rechtsbeistand Thomas Kämmer. Er arbeitet wieder als Installateur. Dennoch ist er psychisch noch nicht über den Berg. „Das U-Bahnfahren fällt ihm schwer.“ Eine zweite Therapiephase steht an. Erleichtert sei Markus, dass der Bundesgerichtshof eine Revision des Urteils ablehnte und damit Spekulationen entgegentrat, ihn könnte eine Mitschuld treffen. Kämmer bereitet jetzt eine Schmerzensgeldforderung vor. Um eine Summe von 14 000 Euro werde es wahrscheinlich gehen, doppelt soviel wie Torbens Anwalt nach der Tat angeboten hatte. „Das war nur Taktik, um den Richter milde zu stimmen“, sagt Kämmer.

Torben P. war nicht der einzige UBahn-Schläger des vergangenen Jahres. Bereits zuvor hatte es im Februar 2011 auf dem U-Bahnhof Lichtenberg einen brutalen Überfall gegeben. Im September kommt Giuseppe Marcone zu Tode, als er vor Angreifern aus dem U-Bahnhof Kaiserdamm flüchtet und auf der Straße überfahren wird. Die Politik reagierte auf die Verunsicherung der Fahrgäste mit der Wiedereinführung von Doppelstreifen aus je zwei Polizisten und BVG-Mitarbeitern. Die Polizei verstärkte auch ihre Präsenz auf den Bahnhöfen. 174 000 Einsatzstunden seien 2011 im Nahverkehr geleistet worden. „Dieser hohe Einsatz wird fortgesetzt“, sagte Innensenator Henkel dem Tagesspiegel. Die BVG darf ihre Videobilder künftig 48 Stunden lang speichern – auch das eine Folge der Übergriffe. Bisher lag die Maximalfrist bei 24 Stunden.

Das Bundeskabinett hat vor kurzem beschlossen, einen „Warnschussarrest“ einzuführen. Dann könnten Richter jugendliche Straftäter zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe vier Wochen hinter Gitter schicken. Experten bezweifeln, dass der erwünschte Effekt eintritt. Abschreckend wirken sollen auch Videokameras. Nur denken Täter selten daran, dass sie gerade gefilmt werden. Torben stellte sich erst, als er das Video gesehen hatte.

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