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Sitzt alles. Bevor es ans Fotografieren geht, zückt Burak Özdemir erst mal die Puderquaste.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ein Klassiktalent im Portät: Der Mann mit dem Fagott

Vivaldi trifft Elektro: Der Musiker Burak Özdemir liebt barocke Klänge und modernen Elektrosound. Am heutigen Freitag stellen er und das von ihm gegründete Ensemble Musica Sequenza beides im Radialsystem V vor.

Ganz schön weltläufig für seine 28 Jahre, der Typ. Weil er Türke, Deutscher, Amerikaner zugleich ist. Spürbar erprobt darin, Sprachen und Kulturkreise zu wechseln. Und bei aller Jungendhaftigkeit auch ziemlich professionell in Sachen Selbstmarketing. Bevor es ans Fotografieren geht, zückt Burak Özdemir erst mal die Puderquaste. Das Gesicht muss sitzen, die Wirkung stimmen. Das gilt für ihn persönlich genauso wie für seine Musik. Özdemir ist nicht nur ein virtuoser Fagott-Solist, sondern auch Komponist.

Und er ist ein Feingeist. „Es tut mir weh, wenn Konzertsäle halb leer sind“, sagt er. Sicher tut es das, welcher Künstler tritt schon gerne vor leeren Stuhlreihen auf. Doch ums sensible Künstlerego geht es ihm bei der Bemerkung gar nicht. „Wir wollen nicht, dass die klassische Musik stirbt“, sagt er. Darum versuche er mit den Kollegen der von ihm initiierten Musikerplattform Musica Sequenza ein jüngeres, sonst anderen musikalischen Genres anhängendes Publikum zur Klassik, genauer zu seinem Fach der Alten Musik zu holen. Das ist Özdemirs Mission.

Wie die konkret aussieht? Etwa so wie beim Konzert am Freitag im Radialsystem V in Friedrichshain. Da stellt er mit Musica Sequenza sein Barockalbum „Vivaldi – The New Four Seasons“ vor, führt zusammen mit den Musikern und der seit 20 Jahren in der Berliner Clubszene aktiven DJane Ipek von ihm selbst geschriebene elektroakustische Kompositionen auf und lädt danach zur Aftershowparty. Also Vivaldi trifft Elektro plus Tanz – das klingt durchaus nach einem Altersgrenzen sprengenden Vergnügen.

Geboren und aufgewachsen ist Burak Özdemir in Istanbul. Nicht in der traditionellen türkischen-, sondern in der europäischen und amerikanischen Musiktradition. Sein Vater ist Professor für Komposition und Jazzpianist, die Mutter war Balletttänzerin. Und der kleine Burak hat mit fünf im Knabenchor gesungen, Klavierspielen gelernt und dann mit zehn Jahren mit dem Fagottunterricht begonnen. Das Instrument liebt er, weil es der menschlichen Stimme gleicht: „Das dunkle Timbre, die Intimität und die gesangliche Qualität.“ Dass die meisten Menschen nicht mal wissen, wie das mehr als 300 Jahre alte Holzblasinstrument mit Doppelrohrblatt klingt, von dem es mindestens zwei in jedem Orchester gibt, betrübt ihn. Dagegen spielt er bei jedem Auftritt an. Neulich erst auf einer Konzertreise mit Countertenor Andreas Scholl.

Was Burak Özdemir nach Berlin gebracht hat? Natürlich das Fagott. Eigentlich wollte er nur eins kaufen, an der Universität der Künste, in der Klasse des Fagott-Professors Eckart Hübner. Dann bleibt er 2005 kurzerhand da und schließt hier 2008 sein Studium ab. Clubs wie das Berghain, überhaupt die Elektroszene der Techno-Stadt Berlin inspirieren seine eigenen Kompositionen. „Berlin ist meine Basis, mein Zuhause.“ Außer der Wohnung in Prenzlauer Berg hat er inzwischen auch eine in New York, wo er noch ein Aufbaustudium Alte Musik, Komposition und Musiktechnologie an der berühmten Juilliard School drauf- setzte. UdK, Juilliard – so lässt sich leicht ein internationales Netzwerk junger Musiker weben, die sich einerseits für die historische Aufführungspraxis in der Alten Musik begeistern und andererseits kleinkarierte Genregrenzen wie Klassik, Elektronik, Neue Musik, Jazz nicht mehr akzeptieren.

Das Barock-Album „The New Four Seasons“ von Musica Sequenza gehört ins erstgenannte Genre. Titel und Konzept beziehen sich auf Antonio Vivaldis unkaputtbaren Klassik-Hit, die aus vier Violinkonzerten bestehenden „Vier Jahreszeiten“. Özdemir hat für seine neue Jahreszeiten vier unbekannte Vivaldi-Konzerte für Fagott, Streicher und Basso continuo ausgesucht und mit vier Gedichten zu einem Zyklus zusammengestellt. Es ginge ihm nicht nur darum, schöne Musik zu spielen, sagt der Mann, der so sichtlich die Schönheit verehrt. Vivaldis Jahreszeiten gebe es doch für den modernen Menschen, der im Sommer zum Skifahren fliegt und im Winter Erdbeeren isst, gar nicht mehr. Das mit Özdemirs warmen, lyrischen Fagottklängen im Ohr kritisch zu reflektieren, setzt beim Zuhörer allerdings einiges an Abstraktionsfähigkeit voraus. Das schert den Fagottisten nicht. Er gehört zu einer polyglotten Musikerelite, die niemandem nur leicht Konsumierbares verspricht.

Radialsystem V, Holzmarktstr. 33, Friedrichshain, Fr 30.11., 20 Uhr, ab 18 Euro

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