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Berlin: Ein Leben für die Tiefenschärfe

Überall in der Stadt sind Wilhelm Füssels Bronzen zu sehen Doch erst jetzt würdigt eine Ausstellung den Charlottenburger Kunstgießer

Was die Bronzegießerei ihm bedeutet hat? Da muss Kosette Hallmann, die Tochter Wilhelm Füssels, nicht lange nachdenken. „Alles“, platzt es aus der ansonsten bedächtigen 83 Jahre alten Dame heraus, „sein Leben!“ Eine kleine Ausstellung im Café K neben dem Georg-Kolbe-Museum in Westend befasst sich jetzt erstmals mit Leben und Werk des Charlottenburger Kunstgießers. In drei Räumen sind viele in seiner Werkstatt gegossene Kleinbronzen von Künstlern wie Günter Anlauf, Joachim Dunkel oder Joachim Karsch zu sehen. Menschen, Tiere, abstrakte Formen, ein bestechend kubistisches Fechterpaar von Friedrich Seidenstücker, ein Guss der Vorzeigeplastik des Expressionismus – William Wauers Porträt des Schriftstellers Herwarth Walden – oder der Bronzekopf der Schauspielerin Berta Drews von Annelies Rudolph. Mehrere Schautafeln und Fotos erzählen die Geschichte der Kunstgießerei Füssel, die von 1922 bis 1991 eine der bedeutendsten Berlins war.

Überall in der Stadt sind Skulpturen, Gedenktafeln, Plaketten, Altarkreuze, Büsten aus der Werkstatt Füssels zu finden. Sie stehen im Tierpark, vor Schulen, auf Plätzen, in Kirchen, im Tiergarten. Hängen als Lichtträgerinnen am Theater des Westens, als Plaketten am Eingang vom KaDeWe oder stehen in Gestalt prachtvoller Kandelaber und Figurengruppen auf der Moltkebrücke am Hauptbahnhof. Weiß nur keiner. Die einzige Bronzegießerei der Stadt, die es dank Berlinale-Bären und Großaufträgen sehr prominenter Künstler auch bei Kunstbanausen zu einiger Berühmtheit gebracht hat, ist die neuerdings in Charlottenburg und vorher in Friedenau ansässige Bildgießerei Noack.

Beim ersten Hermann Noack war Wilhelm Füssel ab 1916 auch prompt der Musterschüler unter den Lehrlingen, wie Thomas Schelper erzählt. Er ist der Mann, der den Kunsthandwerker mit der Ausstellung und dem dazugehörigen Katalog wieder aus der Versenkung holt. Seinen Job in der 200 Jahre alten Gipsformerei der Staatlichen Museen in der Sophie- Charlotte-Straße verdankt der aus Wilhelmshaven stammende Schelper gewissermaßen Wilhelm Füssel. Der stellte ihn 1986 ein, als er zur 750-Jahr-Feier Berlin den Großauftrag zur Restaurierung der Moltkebrücke bekam, und machte ihn mit der Kunstformerei vertraut. Da saß die Bronzegießerei schon in der Quedlinburger Straße, dem letzten von mehreren Standorten, den der späte Kriegsheimkehrer Wilhelm Füssel 1962 noch mit 62 Jahren eigenhändig aufgebaut hatte.

Seine Gießerei war beteiligt am „Kunst-am-Bau-Programm“, und so gingen nach den kargen Trümmerjahren endlich wieder mehr Bildhauer aus und ein. Die Künstler hätten die Qualität seiner im Sandgussverfahren erstellten Güsse geschätzt, sagt Thomas Schelper, „die Abbildgenauigkeit, die Tiefenschärfe“. Die jungen Künstler ohne Kohle hat er besonders gefördert. Schließlich wollte er selbst mal einer werden und lernte einige Semester Bildhauerei, Zeichnen und Malen an der Kunstgewerbeschule Charlottenburg. Mit 86 stand der 1902 geborene und 1992 gestorbene ,„Ersatz-Opa“ von Thomas Schelper noch zwölf Stunden am Tag in der Werkstatt. „Das hat mich fasziniert, dass einer im hohen Alter so engagiert und ehrgeizig arbeitet“, sagt er über Wilhelm Füssel. Kunststück – wenn eine 4000 Jahre alte Kunstfertigkeit wie das Gießen von 1050 Grad heißer Bronze das Leben ist. Gunda Bartels

Café K am Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 26, Westend, bis 30. April, Di-So 10-18 Uhr, Eintritt frei, Infos zu Vorträgen, Bronzeguss-Workshop und Führung: www.georg-kolbe-museum.de

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