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Berlin: Ein neues Buch zum Mauerfall-Jubiläum über den Transit nach West-Berlin

Spektakuläre Zwischenfälle, geglückte Fluchten oder eher doch gescheiterte? Ja, Alexander Hensler, 25 Jahre lang Leiter der mittlerweile geschlossenen Raststätte Dreilinden, kann einiges erzählen.

Spektakuläre Zwischenfälle, geglückte Fluchten oder eher doch gescheiterte? Ja, Alexander Hensler, 25 Jahre lang Leiter der mittlerweile geschlossenen Raststätte Dreilinden, kann einiges erzählen. Zum Beispiel von dem DDR-Grenzer, der die Ladefläche eines Lastwagens kontrolliert hatte und sich jäh - seinen Kollegen galt das Fahrzeug als abgefertigt - eingeschlossen und in den Westen verschleppt sah. Alle Versuche, sich bemerkbar zu machen, scheiterten, selbst Schüsse durchs Dach hörte niemand, und so stand er plötzlich auf West-Berliner Boden, für viele damals unerfüllbarer Traum, der Grenzer aber marschierte zurück.

Die Zeit ist günstig für DDR-Geschichtsbücher. Den zehnten Jahrestag des Mauerfalls vor Augen, laufen die einschlägigen Verlage auf Hochtouren. Gestern wurde wieder ein Werk vorgestellt, das Käufer schon deswegen in hinreichender Zahl finden dürfte, da alteingesessene West-Berliner ihren Sprösslingen doch einmal zeigen wollen, wie es damals war auf der Strecke von West nach West: "Transit Westberlin. Erlebnisse im Zwischenraum" - dem Ch. Links-Verlag wäre für diesen Titel vor zehn Jahren noch Laxheit in statusrechtlichen Fragen vorgeworfen worden, suggerierte der bindestrichfreie Stadtname doch eine vom Ostteil Berlins ganz und gar abgenabelte Eigenständigkeit, die im Westen offiziell immer bestritten wurde. Nun ja, vergeben, nicht vergessen, wie auch die anderen Erinnerungen, die den in der alten Raststätte zusammengerufenen Journalisten von deren ehemaligem Leiter wie auch dem langjährigen Zollbeamten am Kontrollpunkt Dreilinden, Klaus Janthur, dargeboten wurden. Der Verlag hatte sie, neben den beiden Autoren Friedrich Christian Delius und Peter Joachim Lapp, zur Präsentation des Buches gebeten, als Authentizität garantierende Zeitzeugen.

Von 1969 bis 1990 hatte Klaus Janthur in Dreilinden Dienst getan. Noch heute preist er die Segnungen des Transitabkommens, denn insgesamt sei der Verkehr durch die DDR doch ziemlich reibungslos gelaufen, er und seine Kollegen hätten ja auch "zentnerweise Zettel verteilt", die über die Vorschriften des Abkommens und die zu vermeidenden Verstöße informierten. Doch was er alle Vierteljahre in den Berichten der Transitkommission zu lesen bekam, war schon "ganz schön happig", Trunkenheit am Steuer etwa oder auch Körperverletzung.

Oft begann so eine Transitreise im Stau, und der war schlecht fürs Geschäft. Reisende im Personenverkehr kehrten dort ohnehin nur selten ein, berichtet Alexander Hensler, die Fernfahrer dagegen hätten oft bei ihm noch einmal gegessen, bevor es losging gen Westen. Aber lange Schlangen bedeuteten grundsätzlich leere Kassen in der Raststätte. Noch immer begeistert den Leiter der Raststätte, deren Gebäude jetzt von der Ostdeutschen Autobahntankstellengesellschaft als Verwaltungsgebäude genutzt wird, die Erinnerung an den 9. November 1989, als die Autobahn "zur Fußgängerzone" wurde, da hat er Freibier ausgeschenkt, während Zöllner Janthur zu Silvester 1989 mit drei Kollegen Pfannkuchen eingepackt hat und auf die andere Seite der Grenze gefahren ist.

Auch in das Buch wurden Berichte von Zeitzeugen eingearbeitet, den Hauptteil bestreiten aber die beiden Autoren: F. C. Delius hat seine Erinnerungen an "etwa 300 Transitfahrten" niedergeschrieben, die, wie er meint, auch die allgemeinen Gefühle der West-Berliner wiedergeben, die Ahnung von Ungewissem, der "stille Wettkampf", wer schneller durchkommt, die Erfahrungen mit den "uniformierten Oberlehrern", denen schon der Verzehr eines Apfels im Kontrollbereich als Angriff auf die Souveränität der DDR galt, den sie mit unwirschem "Hier ist doch kein Restaurant" sofort geißelten.

Peter Joachim Lapp lieferte den zeithistorischen Hintergrund, schilderte die Entwicklungen des Transitverkehrs, erlaubt auch einen Blick hinter die Kulissen der Grenzkontrollinszenierung. Manches Kuriose hat er aufgespürt, etwa als die DDR-Grenzer mit ihren Infrarot- und Gamma-Strahlen sich schon einer Flucht auf der Spur wähnten,doch dann fanden sie im Kofferraum des vermeintlichen Fluchtfahrzeugs nur ein extragroßes Stück Schafsfleisch.

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