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Berlin: Ein Ort, der magisch anzieht

Mit der Enthüllung des Wahrzeichens rückt auch der Pariser Platz in den Mittelpunkt. Er ist die Tribüne, die das Brandenburger Tor braucht

Von Christian van Lessen

Was wäre das Brandenburger Tor ohne ihn? Ein Kopf ohne Hals. Wenn morgen der Mantel der Sanierung gelüftet wird und das Tor in aufpoliertem Glanz strahlt, dann steht auch der neu gepflasterte Vorhof im Mittelpunkt des Interesses. Denn ohne das Tor wäre er nur ein Flaschenhals, der zu den „Linden“ führt, ohne entscheidende Krönung: Der Pariser Platz braucht das Tor, denn er ist seine Tribüne. Noch vor rund 13 Jahren hätten viele Berliner den Platz nicht auf Anhieb orten können. Es gab ihn nicht wirklich, aus dem Bewusstein war er spätestens seit dem Mauerbau 1961 verbannt. Für die Ost-Berliner war er Sperrgebiet, lag unerreichbar vor der Mauer, für die West-Berliner lag er hinter Mauer und Tor. Er war für alle exterritorial, nur von Grenztruppen bevölkert. Erst als die Mauer fiel, offenbarte sich das Brachland den Bewohnern. Sie begriffen schnell, dass es nach der Wiedervereinigung und Öffnung des Tores ein besonderer Ort war und wieder werden musste. Rätselhafterweise vermittelte der Platz sofort ein Raumgefühl, obwohl er von Häusern nicht umfasst war. Er zog die Berliner wie magisch an, als hätten sie ihn in den Genen. Die Stadthistoriker erinnerten sofort daran, was der Platz einmal war: Die „gute Stube“ Berlins; im frühen 18. Jahrhundert als Abschluss der „Linden“ angelegt, als an das Brandenburger Tor in seiner heutigen Form noch nicht zu denken war. Aus zunächst zweigeschossigen Häusern oder Palais’ meist adliger Familien wurden während des 19. Jahrhunderts stattliche, bis zu vier Stockwerke hohe Häuser vom Typ Palazzo, die das Brandenburger Tor nicht überragen durften. Kaiser Wilhelm wollte die Bauten später abreißen, weil er meinte, das Tor solle freigestellt so pompös wirken wie der Arc de Triomphe. Maler Max Liebermann, der im Palais nebenan wohnte, gehörte zu denen, die sich erfolgreich gegen diesen Plan sträubten. Spätestens nach Ende des Ersten Weltkriegs wurden aus den früheren Adelspalästen die Residenzen von Banken und Botschaften, das Adlon entstand, das Arnimsche Palais wurde zur königlichen Akademie der Künste. Adel, Geist und Diplomatie fühlten sich hier zu Hause. Der Krieg setzte vieles in Trümmer, anderes wurde später abgerissen.

Nach der Wende verging gut ein halbes Jahrzehnt, bis die bauliche Wiederbelebung des Platzes begann. Das Adlon und die ebenfalls historisch nachempfundenen Tor-Nachbarn Haus Liebermann und Haus Sommer machten den Anfang, die Dresdner Bank folgte. Die Amerikaner hatten auf einer Tafel schon 1993 angekündigt, dass sie hier ihre Botschaft wiedererrichten wollten. Die Berliner bekamen vor Augen, was sich renommierte Architekten unter starren Gestaltungsrichtlinien wagten oder versagten. Der Senat löste mit seiner Vorliebe für „steinerne“ Lösungen eine Architekturdebatte aus. Die Akademie der Künste hatte für ihren gläsernen Entwurf hart und lange zu kämpfen, die DG-Bank verbannte Modernität vor allem ins Innere ihres Neubaus. Während die Amerikaner noch mit dem Senat ungeklärte Sicherheitsfragen erörterten, bauten die Briten fast unbemerkt um die Ecke ihre Botschaft, und demnächst feiern die Franzosen direkt am Platz ihre neue Vertretung. Die letzte Lücke vorm Tor, reserviert für die US-Botschaft, soll 2003 geschlossen werden.

Der Pariser Platz, vom Autoverkehr befreit, wirkt dennoch schon fertig. Mit Augenzwinkern lassen sich in den Neubauten palaisartige Formen entdecken. Fontänen sprudeln inmitten von Grünflächen, und die Berliner sind längst sehr stolz auf diesen Ort geworden, den vor gut13 Jahren noch keiner recht kannte, keiner recht kennen konnte.

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