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Echte Handarbeit. Korbinian Ludwig Heß in seiner Werkstatt am Hohenzollerndamm.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Ein Paar Schuhe ab 5.000 Euro: Der Maßschuhmacher von Wilmersdorf

Korbinian Ludwig Heß fertigt sehr teure Schuhe nach Maß an. Menschen aus aller Welt wollen bei ihm in seiner Werkstatt in Wilmersdorf kaufen. Oder bei ihm arbeiten.

Von Fatina Keilani

Es brauchte ein paar Jahre und Irrwege, bis Korbinian Ludwig Heß beim Schuhmacherhandwerk ankam, doch dann wusste er: „Das will ich machen, bis ich tot bin.“ Und genau das tut er nun, handwerklich auf höchstem Niveau, preislich auch: Seine Maßschuhe kosten 5000 Euro aufwärts. In Auftrag gegeben werden sie von Kunden aus der ganzen Welt, und aus der ganzen Welt kommen auch die Menschen, die mit Heß zusammenarbeiten wollen.

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Einen Mitarbeiter hat er, der mit seiner Frau aus Japan nach Berlin gezogen ist, um bei ihm zu arbeiten, ein weiterer kommt im März aus Amerika, und auch eine Tschechin fängt demnächst bei ihm an. Heß selbst ist ein Bayer, wie er im Buche steht. Geboren 1985 in Starnberg, aufgewachsen in München, in Berlin seit gut drei Jahren.

Die Werkstatt liegt am Hohenzollerndamm in Wilmersdorf. Alles ist hier Handarbeit, jede Naht, jedes Loch von Hand gestanzt, mit größter Präzision. Der Leisten kommt immerhin als Rohling und nicht als Holzklotz, bevor Heß Hobel und Feile ansetzt.

Der Meister selbst trägt Cowboystiefel. Wobei er Meister im Sinne der Handwerksordnung nicht ist. „Die Meisterpflicht ist abgeschafft, und von den guten Schuhmachern, die ich kenne, hat kein Einziger eine Lehre gemacht“, sagt Heß. „Ich würde davon auch abraten.“ In den meisten Lehrbetrieben werde alles mit Maschinen gemacht, das traditionelle Handwerk lerne man dort nicht mehr.

Mehrfach hat der 34-Jährige angefangen zu studieren, erst Deutsch und Geschichte in Wien, dann Englisch und Geschichte in München, dann Musiktherapie in Berlin, er wurde dabei immer unglücklicher. Er jobbte in Bars, wollte eine eigene Kneipe aufmachen, einen Cowboy-Saloon, in dem auch Hüte und Stiefel verkauft werden.

„Da wusste ich, was ich machen will“

Dabei stellte er fest, dass es noch Leute gibt, die Schuhe selbst herstellen. „Da wusste ich, was ich machen will“, erinnert sich Heß. Der Saloon-Plan wurde drei Tage vor Unterzeichnung des Mietvertrags abgeblasen.

„Ich bin dann zu einer Schuhmacherin hier in Berlin und habe gesagt: ,Ich will hier lernen‘, doch die sagte nur ,Hau ab‘ und schickte mich weg. Am nächsten Tag bin ich wieder hin, sie schickte mich wieder weg, am dritten Tag bin ich wieder hin, da durfte ich mich in eine Ecke setzen“, erzählt Heß.

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Neun Monate habe er dort gearbeitet, ihm sei aber schon nach ein paar Tagen klar gewesen: Das ist das Richtige. „Ich habe dann gegoogelt ,bester Schuhmacher der Welt‘, so kam ich zu Rudolf Scheer & Söhne in Wien“, sagt Heß. Die Firma ist ein Familienbetrieb seit 200 Jahren, mittlerweile in siebter Generation.

„Nach einem Tag Probearbeiten bekam ich eine feste Stelle“

„Ich habe mich dort über neun Monate beworben, mit Anrufen, Besuchen, Briefen. Endlich durfte ich kommen, da war ich 25. Nach einem Tag Probearbeiten bekam ich eine feste Stelle, ohne vorher eine Lehre gemacht zu haben. Ich blieb einige Jahre.“ Danach war Heß noch bei weiteren Schuhmachern in Europa, um sich umzusehen, denn der Wiener Stil ist sehr konservativ. Briten sind auch konservativ, aber anders, der englische Schuh ist runder, der französische länger und schmaler, Italiener sind verspielter, patiniertes Leder, im Zweifel eine Ziernaht mehr.

Schusters Leisten. Es dauert sechs Monate von der Bestellung bis zum ersten Paar.
Schusters Leisten. Es dauert sechs Monate von der Bestellung bis zum ersten Paar.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Bei Heß fängt es immer mit Kennenlernen, Maßnehmen und Besprechen der Wünsche an. Zunächst wird der Fuß auf Papier umrandet, aufrecht und seitlich. Nach diesen Maßen wird der Leisten gemacht, und auf diesem fertigt Heß das erste Paar Probeschuhe. Der Probeschuh wird probegelaufen, an einigen Stellen aufgeschnitten, um zu schauen, wie der Fuß im Schuh steht, ob es vielleicht doch irgendwo noch drückt, meist wird dann ein weiterer Probeschuh gemacht, nötigenfalls ein dritter.

Ein genaues Bild vom ganzen Menschen

Die Kundenbeziehung ist auch eine Beziehung, und sie will gepflegt werden. Heß versucht sich ein genaues Bild vom ganzen Menschen zu machen, nicht nur wie er geht, steht, sich hält, sondern auch, wie seine Wohnung aussieht, seine Möbel, wie er mit Sachen umgeht. Bis ein Paar Schuhe fertig ist, dauert es ein halbes Jahr. Deswegen werde es auch erst ab dem zweiten Paar richtig schön – der lange Weg zur richtigen Passform muss nur einmal gegangen werden, und von Paar zu Paar optimiere man den Leisten weiter und somit auch den Schuh. Pro Monat verlassen zwei bis drei Paar seine Werkstatt.

Zunächst baut Heß einen Probeschuh. In diesen schneidet er Löcher, um zu sehen, wie der Fuß im Schuh steht. Das Endprodukt soll perfekt sitzen.
Zunächst baut Heß einen Probeschuh. In diesen schneidet er Löcher, um zu sehen, wie der Fuß im Schuh steht. Das Endprodukt soll perfekt sitzen.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Die meisten Kunden sind nicht älter als sechzig. Haben sie Vertrauen gefasst, überlassen manche das Design auch schon mal vollständig dem Schuhmacher und lassen sich überraschen. „Ich mache allerdings keinen zweiten Schuh, bevor ich das erste Paar noch mal gesehen habe“, sagt Heß. Da sehe man, welche Stellen des Futterleders die meiste Berührung mit dem Fuß hatten und könne die Passform weiter optimieren.

Für das Bodenleder müsse kein Tier sterben

Die Bodenleder bezieht Heß aus Bayern. „Dafür muss kein Viech sterben, Rindsleder ist praktisch ein Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie.“ Anders sei das bei Lederarten wie Straußenleder, so etwas verarbeite er aber nicht. Man kaufe stets eine halbe oder eine ganze Kuh.

Die Oberleder kommen ebenfalls aus Deutschland, aber auch aus Frankreich und von einem Lieferanten in den USA. Alle sind rein pflanzlich gegerbt. Einige Teile der Kuh sind nicht gut genug für den finalen Schuh, etwa der Hals. Daraus werden Probeschuhe. Der Abfall der Werkstatt ist minimal. Sogar den Kleber macht Heß selbst – aus Weizen.

Der Spanner verlängere extrem das Leben eines Schuhs

Das bisher teuerste Paar Schuhe aus seiner Werkstatt kostete 7100 Euro; es waren aufwendig gemachte Stiefel. Maßgefertigte Spanner aus Lindenholz sind bei jeder Bestellung inbegriffen. Dem Spanner werde zu wenig Bedeutung beigemessen, meint Heß. Er verlängere extrem das Leben eines Schuhs. Das gelte vorrangig für maßgefertigte Spanner. Die aus Massenfertigung dehnen das Leder vielleicht an den falschen Stellen, da sei es besser, gezielt Zeitung hineinzustopfen, sagt Heß.

Der fertige Schuh.
Der fertige Schuh.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Das Schuhmacherhandwerk ist eine darbende Branche. In den vergangenen zehn Jahren legten 17 Schuster ihre Meisterprüfung ab; Azubis gab es im Jahr 2018 ganze sieben, insgesamt lernten 88 Azubis in den zehn Jahrgängen 2009 bis 2018 Schuhmacher. Die Zahl der Betriebe sank im vergangenen Jahr von 72 auf 64.

Seit 2011 ist die Zahl der Betriebe kontinuierlich gesunken

Vor rund zehn Jahren schien es eine kurze Renaissance des Handwerks zu geben, doch seit 2011 ist die Zahl der Betriebe kontinuierlich gesunken – von 92 auf jene 64. Erst im Dezember berichtete der Tagesspiegel von einer weiteren Werkstattschließung und beschrieb die trübe Lage im Schuhmacherhandwerk.

Um so bemerkenswerter, dass einer wie Heß, der ausdrücklich nur macht, was er will und dafür viel Geld verlangt, mit dieser Haltung durchkommt. „Um so was hier zu machen, braucht man schon einen Dachschaden“, sagt Heß und lacht. Natürlich könnte er exakt dasselbe Produkt mit Hilfe von Maschinen viel schneller und billiger herstellen. „Ich möchte das aber nicht. Die Arbeit soll mir auch Spaß machen, und auch Ästhetik spielt eine große Rolle.“

Drei Nähmaschinen, eine Lederwalze und eine Sohlenpresse

Die Einrichtung seiner Werkstatt hat etwas malerisch Zeitloses, zugleich reduziert Durchdesigntes. Laute Maschinen sucht man vergebens. Es gibt drei Nähmaschinen, eine Lederwalze und eine Sohlenpresse, alle mechanisch und ohne Strom. Seine Erfahrungen der Anfänge mutet Heß mittlerweile auch anderen zu, denn viele hätten ein verkitschtes Bild vom Handwerk und sähen nicht, dass es auch harte Arbeit sei: „Ich mache das inzwischen genauso. Ich schicke Bewerber auch erst mal weg.“

Das Geschäft von Korbinian Ludwig Heß finden Sie am Hohenzollerndamm 201 10717 Berlin. Mehr Informationen gibt es hier.

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