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Berlin: Ein Platz in der Sauce

Von Cordula Arend Das frische grüne Blatt ist ein Symbol der knospenden Jahreszeit, des weichenden Winters. Die fetten Speisen der kalten Monate treten in den Hintergrund und schaffen Platz für die rohe Kost der Felder.

Von Cordula Arend

Das frische grüne Blatt ist ein Symbol der knospenden Jahreszeit, des weichenden Winters. Die fetten Speisen der kalten Monate treten in den Hintergrund und schaffen Platz für die rohe Kost der Felder. Salate werden jetzt allmählich auch außerhalb ihrer Zuchthäuser geerntet und erfrischen unsere Gemüter durch knackige Konsistenz und mineralische Fülle. Dezent im Geschmack bedarf das bloße Blatt allerdings eines aromatischen Kommilitonen, der sich von Essig und Zitrone nicht einschüchtern lässt.

Ein Kennzeichen der bodennahen deutschen Küche ist, dass den Samen des vergangenen Herbstes ein Ehrenplatz an der Tafel gewährt wird. Ein besonderer Platz in der Soße gebührt dem Kernöl. Im Gegensatz zum Fruchtöl, dem heute das Olivenöl voranschreitet und vor allem in seinen Verfälschungen unverdiente Popularität genießt, macht den Charakter einer guten Kernpressung seine nussige Prägnanz aus, die sich gut mit anderen Aromen verbünden kann.

In dem Maße wie Zuckerrohr und Honig die wahrhaften Süßlieferanten sind, so verkörpern die Ölsaaten die ureigenen Spender des pflanzlichen Fettes. Gerade der frisch ausgeputzte Samen gewinnt noch durch Trocknung und behutsame Röstung. Das Kürbiskernöl ist vielleicht das markanteste dieser Machart. Es zunächst zu prüfen, versammelte sich die monatliche Testrunde um weiß glasierte Degustationslöffel.

Preisgünstiger Einstieg

In der Ölmühle Fandler im steirischen Pöllau wird ein rot-grün changierender Auszug gewonnen, der den Gaumen durcheinander bringt. Seltsam unverbunden nebeneinander stehen Rohes und Geröstetes, dazwischen verunsichern leicht stechende Töne, die beinahe in der Nase jucken, bevor im Abgang alles sofort verfliegt. Das dünn fließende Öl aus der hoch interessanten Spezialitätenhandlung „Philomenis“ kann aber wegen seines vordergründigen Wesens durchaus als ebenso solider wie preisgünstiger Einstieg in die Kürbiskern-Küche gewertet werden.

Die Weinhandlung „Viniculture“ verkauft eine zünftige Bouteille von Ernst Zöhrer, deren Inhalt im Kernland der schalenlosen Kürbiskernverarbeitung gepresst wird. Unter direktem Licht auf weißem Porzellan schimmert der dickliche Saft wie Schweineblut, und in seinem vollen, runden Aroma nähert sich der Steiermärker Cashewnüssen und getoastetem Brot. Zöhrers weiches Erzeugnis verabschiedet sich im Mund ohne großes Wort – wohingegen das Öko-Kürbiskernöl aus der Soluna-Ölmanufaktur, das im Rahmen der anthroposophisch geführten Werkhof Edition im uckermärkischen Stegelitz vertrieben wird, auf der Zunge fast schon rhetorische Dominanz beweist. Zu funkelndem venezianischen Rot gesellt sich ein herb eingebranntes Röstaroma, das von gut merklichem Thymianduft zur Räson gebracht wird. Im Zentrum der aromatischen Arena trumpft vor allem aber eine verblüffende Räucherspeck-Note auf. Dieser Bacon für Vegetarier ist im Wilmersdorfer „Kaaswinkel“ auf der Theke postiert und mit einem Etikett beklebt, das den Kunstsinn unseres Bundesinnenministers ansprechen dürfte.

Die Kunst beim Kürbiskernöl der altmärkischen Ölmühle Dreyer westlich von Salzwedel ruht weder im unscharfen Aufdruck noch in der eckigen Medizinalflasche, sondern ausschließlich in der sorgfältigen Verarbeitung erstklassiger Saat. Zart geröstet, grasig, mild und frisch bewegt es sich von einem fulminanten Auftakt bis hin zu weißem Pfeffer als Echo zwischen den Wangen. Eine elegantere Variation des kalt gepressten Kürbisbalsams entsteht beim selben Erzeuger aus rohen Kernen, die ohne jeglichen Rösthauch jugendlich-ungestüm wirkt und wie frisch geschlagenes Holz in die Nase steigt. Im charmant-betulichen „Café Anneliese“ in Zehlendorf kann das umfangreiche Sortiment der Manufaktur, zu dem unter anderem ein Eichhörnchen hypnotisierendes Haselnussöl gehört, bestellt werden. Nach ein paar Tagen Wartezeit ist es dort pressfrisch abzuholen.

Das kräftigste und gleichzeitig geschlossenste Proband wird in einer Fleischerei angeboten. Die Metzgersgattin Obitz verwöhnt ihre zufriedenen Stammkunden mit einer Batterie ausgesuchter Öle, zu denen auch eine zierliche Flasche mit dem steirischen Prägesiegel zählt. Pechmann‘s Alte Ölmühle schmeckt authentisch rustikal, und das Ausgangsprodukt ist bis in sein einzelnes Körnchen in den überragenden Nachgeschmack hinein zu spüren. Der homogene, umbrafarbene Saft, dessen Konsistenz an flüssiges Wachs erinnert, verzichtet dabei auf jeglichen bitteren Ton.

Zuviel Zurückhaltung

Wenn man also das Kürbiskernöl als die kapriziöse Mütze des Salates bezeichnen kann, ist das Traubenkernöl sein schönster Mantel und bildet wegen seiner reservierten Art die ideale Basis für eine Vinaigrette. Doch das Huile de pépins de raisins von J. Leblanc, das bei Obitz über den Würsten thront, übertreibt es mit der Zurückhaltung und schmeckt genauso milchig und unscheinbar wie das farblose Traubenkern-Öl von Paul Corcellet aus Reims, dem bei „Lindenberg“ Ahnungslose auf den Leim gehen. Ebenfalls an Esprit mangelt es einem weiteren französischen Öl der Marke Berinoix aus den „Galeries Lafayette“, das immerhin mit einem präsenten Nussaroma versöhnlich stimmt.

Ohne den südbadischen Kampfkelterer und Gastronomen Franz Keller wäre das Traubenkernöl hierzulande vielleicht heute noch unbekannt. Schon vor vielen Jahren plädierte er für dieses Seitenprodukt des Weinbaus und brachte Flaschen unter seinem n in die Feinkostregale. Kellers buttrig-saftiges Extrakt glänzt lindgrün und überzieht das Blattwerk mit gläserner Firnis. Etwas facettenreicher präsentiert sich das Öl von Viani bei „Satis“ am Rosenthaler Platz. Kantig und rauchig entwickelt es sich im Rachen zu einer charaktervollen Essenz, die sich von beizigen Dissonanzen aber nicht komplett frei machen kann. Unbeschwert davon ist das bei niedrigen Temperaturen unter behutsamem Druck erzeugte Traubenkernöl von Karola Dreyer (ebenfalls bei „Anneliese“). Es brilliert als unverfälschtes Aroma-Öl in einer anderen Spielklasse, was sich allerdings auch im Preis niederschlägt (0,1 l kosten 8,87 Euro) und das der Flaschengestalt entsprechend darum als Heilmittel betrachtet werden sollte. Die Fülle des Bouquets aus weiniger Säure, vergorener Rosine und Verjus, dem Saft aus unreifen Trauben, spiegelt die Rebfrucht wie kein anderer Konkurrent und reiht sich in seiner Geschmacksintensität eher unter die Besten der Kürbiskernöle ein. Sein grünes Leuchten, das die Magie des Frühlings beschwört, verzaubert die glatten und krausen Köpfe aus dem Freiland-Beet.

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