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Berlin: Ein Raum zum Reden

Mit besonderen Zimmern will die Polizei Opfern von Straftaten die Vernehmung erleichtern

Ockerfarbene Wände, gedämpftes Licht. Gegenüber der großen Fensterfront stehen vier Korbsessel um einen runden Tisch herum, die gelbe Tischdecke ist ordentlich zurechtgezupft. In einer Ecke thront eine Puppe auf einem kleinen roten Plastikstuhl, Spielzeug stapelt sich in den Regalen. Ein Zimmer, in dem man sich sofort wohlfühlt. So sehen die Vernehmungszimmer, die man bei der Polizei erwartet, jedenfalls nicht aus, aber es ist ja auch kein Raum für die Täter, vielmehr das Opferschutzzimmer der Polizeidirektion 2, ein etwa 25 Quadratmeter großer, erst kürzlich eröffneter Raum. Hier in der Spandauer Moritzstraße 10 sollen Opfer von Straftaten zur Ruhe kommen und berichten, was ihnen zugestoßen ist.

„Den habe ich meinem Mann abgeluchst.“ Kriminalhauptkommissarin Anja Jaß, Präventionsbeauftragte der Direktion, zeigt mit dem Finger auf einen verschlissenen Plüschteddy. Vor etwa drei Jahren hatte sie die Idee für ein Opferschutzzimmer. Damals vernahm sie einen völlig aufgelösten Elfjährigen in ihrem Dienstbüro an der Charlottenburger Chaussee. Der Junge war an einer Bushaltestelle zusammengeschlagen und ausgeraubt worden. „Er zitterte am ganzen Leib und bekam einen Asthmaanfall“, sagt Jaß. Das sei auch für sie als langjährige Polizeibeamtin eine Grenzsituation gewesen. Ein freundlicherer Vernehmungsraum musste her. Wenige Monate später wurde Berlins erstes Opferschutzzimmer eröffnet. Mit Erfolg: Das neue Zimmer in der Moritzstraße ist bereits das zweite in der Direktion 2 und das siebte in Berlin.

„Hier lassen wir uns Zeit bei der Vernehmung. Die gemütliche Atmosphäre entspannt. Und jemand, der sich entspannt, erinnert sich besser“, erklärt Jaß das Konzept. „Die Vernehmungsergebnisse geben die Beamten gleich in den Rechner ein, der auf dem Schreibtisch steht“, berichtet sie. „Und die Kinder können sich in der Spielecke beschäftigen. So wird die Befragung der Eltern leichter.“

Außerdem wolle man verhindern, dass sich die Opfer im Zuge ihres Traumas selbst die Schuld geben. Diese „sekundäre Viktimisierung“ ist ein häufiges Phänomen, weiß die Hauptkommissarin. In diesen Fällen stellt sie nach der Vernehmung den Kontakt zu Organisationen wie der Opferhilfe her. „Die Möblierung und Farbauswahl haben eine beruhigende Wirkung auf Opfer und Zeugen einer Straftat“, ergänzt Gabriela Retschlag, seit 2009 die Opferschutzbeauftragte der Direktion 2, die das Gebiet von Charlottenburg, Wilmersdorf und Spandau umfasst. „Viele Menschen, die Anzeige erstatten, befinden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation. In diesen Räumen können die oft traumatisierten Opfer leichter als in normalen Büros sprechen“, erklärt sie. Der Raum schaffe eine Atmosphäre, die das Weinen erleichtert. „Tränen zeigen doch, dass Entspannung herbeigeführt wurde“ – für Gabriela Retschlag auch eine Folge des Opferschutzzimmers. Im normalen Polizeibetrieb spiele die emotionale Betroffenheit der Opfer meist eine untergeordnete Rolle. „Hier lassen wir den Betroffenen Zeit, in Ruhe über das Geschehene zu sprechen.“ Laut Patrick Spatzker, Präventionsbeauftragter im Abschnitt 21 in der Moritzstraße, will die Polizei noch 2010 ein weiteres Zimmer eröffnen. Und ab kommendem Jahr soll in jeder Direktion mindestens eines zur Verfügung stehen. Nadine Kuhn

Nadine Kuhn

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