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Berlin: Ein Schatz ist noch zu entdecken

Seit Mai ist ein Stück der legendären Tempelrolle aus Qumran im Martin-Gropius-Bau zu sehen Doch anders als in Toronto, wo die Besucher in langen Schlangen warteten, ist das Interesse gering

Es war eine Sensation, als die Tempelrolle 1956 in der Nähe von Qumran am Toten Meer entdeckt wurde. Ein mehr als 2000 Jahre altes Dokument mit ausführlichen Verhaltensvorschriften zu allen Fragen, die den Tempel betreffen. Die Schrift ist gut erhalten und für den, der Hebräisch kann, so leicht zu lesen wie die Zeitung von heute. Die Sprache ist nicht altertümlich, sondern klar und fast modern. Seit Mai ist sie im Martin-Gropius-Bau zu sehen, erstmals in Europa. „Wenn die Ausstellung in zwei Wochen zu Ende geht, wird die Rolle wieder für viele Jahre eingelagert werden, damit sie keinen Schaden nimmt“, sagt Kuratorin Doreet LeVitte Harten.

Eigentlich ist sie ein bisschen traurig, dass erst 35 000 Menschen sich die Ausstellung „Die Neuen Hebräer“ angesehen haben, in deren Rahmen einer der bedeutendsten archäologischen Funde des 20. Jahrhunderts gezeigt wird. Das ausgestellte Stück ist immerhin 3,60 Meter lang, die ganze Rolle ist 8,30 Meter lang. Als ein nur 40 Zentimeter langes Stück aus dieser Rolle in Toronto ausgestellt wurde, bildeten sich dort lange Schlangen à la MoMA. Damit hatte die temperamentvolle Kuratorin in Berlin auch gerechnet. Zwar ist sie begeistert von dem Publikum, das sich die Ausstellung angeschaut hat: „Das waren alles sehr gebildete und kenntnisreiche Leute.“ Trotzdem versteht sie nicht, wieso nicht mehr Menschen die Chance ergriffen haben, ein so einzigartiges Dokument in einer auch sonst bemerkenswerten Ausstellung anzuschauen.

Dass sie die Tempelrolle überhaupt aus Israel herausgekriegt hat, grenzt für sie an ein Wunder, denn sie gilt als Nationalschatz. Da sie aber unbedingt restauriert werden musste und von deutscher Seite die notwendigen 200 000 Euro zur Verfügung gestellt wurden, kam doch die Erlaubnis, sie nach Berlin zu bringen.

Obwohl es sich eigentlich um ein religiöses Dokument handelt, ist die Rolle gerade auch für nichtreligiöse Juden wichtig. Warum, erklärt Doreet LeVitte Harten so: „Für uns säkulare Israelis ist es unser Land, nicht weil Gott es uns versprochen hat, sondern aus historischen Gründen, weil unsere Vorväter dort gelebt haben.“ Für das Selbstbewusstsein der neuen Hebräer haben die Rollen deswegen unschätzbaren Wert. Der Begriff „Neue Hebräer“ entspricht einer neuen, nicht primär auf die Religion, sondern auf das Land bezogenen Identität, die diese Ausstellung vermitteln will.

Besondere Bedeutung hat die Rolle aus Sicht der Kuratorin, die sich selbst als nicht religiös bezeichnet, freilich auch, weil sie einen gemeinsamen Nenner für Christentum und Judentum darstellt. Im Jahr 120 v. Chr. in der Wüste von Judäa entstanden, dokumentierten die Aufzeichnungen „das geistige Klima, in dem sich verschiedene Gruppen und Sekten bemühten, die jüdische Religion zu purifizieren und zu reformieren“.

Die Gelehrten streiten noch über den eigentlichen Ursprung der Rolle. Die einen wollen darin Dokumente der Essener erkennen, einer asketischen Sekte, die nach strengen Vorschriften lebte. Andere sehen darin Bestandteile jüdischer Bibliotheken aus Jerusalem und anderen Orten, die während des Aufstandes gegen die Römer in den Jahren 66 bis 70 n. Chr. in den Höhlen versteckt und so in Sicherheit gebracht wurden.

Die Neuen Hebräer. 100 Jahre Kunst in Israel. Bis zum 5. September mittwochs bis montags geöffnet von 10 bis 20 Uhr.

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