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Ein Tag in der Ausländerbehörde: Der Deutschlandstempel

Viele Dutzend Menschen stehen jeden Morgen hier. Und manche sind ziemlich nervös. Denn hier in der Ausländerbehörde in Berlin-Moabit wird über ihre Zukunft entschieden: bleiben oder gehen? Mehr als 80.000 Erlaubnisse hat das Amt in diesem Jahr erteilt. Aber manchmal sagt es Nein.

Er ist ein bisschen nervös. Sitzt da in Jeans und Pullover, die Hände im Schoß, und schaut konzentriert. Vorsichtig kommen die Worte aus seinem Mund, als prüfe er sie ganz genau, bevor er sie gehen lässt. Vokabel, Grammatik, Höflichkeit. Er möchte Deutsch lernen, hier in Deutschland. Einen Kurs besuchen, zwei Jahre, und dann studieren. In seinem Schoß halten die Finger der einen Hand die der anderen fest. Auf dem Computerbildschirm steht das wenige, was zu wissen ist über ihn. Geboren in Damaskus, Syrien, erst seit kurzem im Land.

Nicole Stephan beugt sich dem jungen Mann entgegen. Sie hält seinen Pass in beiden Händen. Auch sie spricht langsam, schaut ihn an, schaut auf den Pass. Sie lächelt. Zwischen ihnen auf dem Tisch liegen Papiere, ein Brief von der Sprachschule, einer von der Bank.

„Das ist kein Problem“, sagt Frau Stephan. „Sie bekommen dann erst mal eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre.“ 60 Euro kostet die. Sie bedruckt ein Etikett mit den Daten des jungen Mannes, sie klebt es in seinen Pass, ein Stempel, eine Unterschrift, fertig.

Der junge Mann verschwindet, und Frau Stephan klickt auf das kleine Kreuz rechts oben im rechten ihrer beiden Bildschirme.

Er war der Erste an diesem Donnerstagmorgen im November. Ein problemloser Kunde, zu behandeln nach Paragraf 16 des Aufenthaltsgesetzes.

Darin steht geschrieben, wer für ein Studium, für einen Sprachkurs oder einen Schulbesuch in Deutschland leben darf. Frau Stephan hat all dies im Kopf, und wenn sie doch mal nachschauen muss, dann weiß sie sofort und genauestens, wo. Durch sie spricht das Gesetz.

Für ihre Kunden ist Frau Stephan Deutschland – und es wäre wohl wünschenswert, ganz Deutschland lächelte dem Rest der Welt so freundlich entgegen wie sie.

Nicole Stephan, eine schmale junge Frau, 32 Jahre alt, arbeitet in der Berliner Ausländerbehörde in Moabit, im Sachgebiet Z2, das zuständig ist für Studierende und Wissenschaftler aller Länder, für Schweizer und EU-Bürger. Mit ihr kümmern sich noch 24 weitere Mitarbeiter um die Kunden, an guten Tagen schaffen sie 250 Anfragen, der Rekord liegt bei 270.

Wer als Ausländer in Deutschland leben will, der kommt an dieser Behörde nicht vorbei, der sitzt hier früher oder später – und meistens nicht nur einmal. Vor das Leben, das Geldverdienen und Geldbekommen in diesem Land hat der Staat das Gesetz gestellt, das laut Paragraf 1 „der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern“ dienen, die „Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ gestalten soll. Es ist nur ein Satz, der die Situation Deutschlands spiegelt. Der Gesetzestext eines Landes, das kein Einwanderungsland sein will, aber weiß, dass es eines sein muss.

Die Ausländerbehörde vergibt Aufenthaltstitel, mehr als 80 000 in diesem Jahr. Manchmal aber versagt sie die auch. Wie das Leben eines Menschen weiter verläuft, das hängt hier an einer Unterschrift oder einem Stempel. Weil es mehr Schicksale gibt als Paragrafen und Formulare auf der Welt, ist diese Arbeit keine leichte. Und deswegen gibt es wohl kaum eine Behörde, der vor allem in linksradikalen Foren so häufig vorgeworfen wird, rassistisch zu sein und geradezu mit Vergnügen Probleme zu schaffen.

Frau Stephan ist das gern vorgezeigte Gegenbeispiel. Ob sich alle 317 Mitarbeiter der Behörde immer so höflich und vorbildlich verhalten wie sie, auch weil möglicherweise nicht jeder Sachbereich so angenehme Kunden hat wie Z2, das ist natürlich nicht gewiss.

Es klopft bei Frau Stephan, und ein junger Türke tritt ein, akkurater Haarschnitt, schicker Mantel. Er will einen Master in Bauingenieurwesen an der TU Berlin beginnen, man gab ihm ein Stipendium, was noch fehlt, ist die Aufenthaltserlaubnis.

„Haben Sie vor, in Deutschland zu bleiben?“, fragt Frau Stephan.

Der junge Mann neigt den Kopf zur Seite. „Mein Ziel ist es eigentlich, internationaler Ingenieur zu werden“, sagt er, fast ein bisschen beschämt. Vielleicht wartet der schönere Job in zwei Jahren in der Türkei oder in den USA. Oder England. Oder Frankreich. Wer weiß. Er bekommt die Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre. Wenn er länger bliebe, wäre es gut für Deutschland, wo Fachkräfte und sogenannte Hochqualifizierte zu Zehntausenden fehlen.

Immer mal wieder diskutiert die Politik, wie die Einwanderung am besten zu steuern sei, wie möglichst unkompliziert ins Land zu holen sei, wer nützlich ist. Viel schwerer ringen die Regierenden sich durch zu Verbesserungen für jene, die keine Hilfe bieten – sondern sie brauchen.

"Wir sind eine Servicebehörde"

Aberdutzende stehen jeden Morgen vor den Türen der Behörde, lange bevor die öffnet. Für den Sachbereich Z2 kann man zwar online einen Termin vereinbaren, doch gibt es für so viele Kunden gar nicht genügend Mitarbeiter und Zeit. Jetzt einen Termin haben wollen heißt: in 14 Wochen einen bekommen. In 14 Wochen laufen Pässe aus, verstreichen Fristen, müssen Reisen angetreten werden. 14 Wochen sind ziemlich lang. Deswegen ist die alte Kantine der Behörde, in der die Wartenummern verteilt werden, morgens immer sehr voll. Weil es viele lieber so probieren möchten, ohne Termin, auf gut Glück.

„Wir sind eine Servicebehörde“, sagt Engelhard Mazanke, Chef der Behörde, der weiß, dass die paar eckigen Gebäude am Friedrich-Krause-Ufer vielen Menschen nicht mehr als Steine im Weg sind. Auch er steht manchmal unten, ein großer Mann im Anzug, und verteilt Nummern.

Einmal gab es eine Schlägerei an einem der Automaten für Wartenummern, ganz nahe am Büro von Frau Stephan. Jemand verletzte sich an der Hand, es tropfte ein bisschen Blut. Vor einiger Zeit sind sie deswegen dazu übergegangen, die Nummern selbst auszugeben.

Frau Stephan braucht eine neue Akte und muss dafür kurz einmal schräg über den Flur. Sie geht mit energischen Schritten, ihr Rock schwingt. Spricht ein Kunde sie an, dann bleibt sie stehen. Sie hilft, wenn sie kann. Als sie sich damals um die Wartemarken prügelten, da verpflasterte sie den Verletzten in ihrem Büro. Frau Stephan bewahrt die Ruhe.

An diesem Donnerstagmorgen ist es ein kleines Abenteuer, den Flur entlangzugehen, über den fließt, was zu Recht Besucher-Verkehr zu nennen ist. Und weil fast niemand alleine kommt, ist es noch voller. Manche brauchen einen, der für sie spricht, andere Unterstützung. Wieder andere bringen die ganze Familie mit, drei Generationen, Kinderwagen und Gehstock. Sei es, weil man die Schwiegermutter nicht alleine lassen will über so viele Stunden; oder weil diese Unterschrift in diesem einen Pass etwas bedeutet. Etwas Großes, bei dem dabei sein sollte, wer wichtig ist.

Zweieinhalb Zentimeter dick ist das Ausländerrecht im Taschenbuchformat. Knapp 400 Gramm Gewicht gegen eine Familie, die an diesem Vormittag extra einen Termin gemacht hatte. Nicht bei Frau Stephan, ein paar Türen weiter. Zu fünft standen sie da im Büro. Ihnen fehlte ein Dokument, da war nichts zu machen, erzählt der Kollege und hat sich die nächste Akte von der Ablage schon gegriffen.

Betroffen sein, das geht im Grunde nicht. „Es ist ein Job“, sagt Frau Stephan und erklärt: „Ich versuche die Situation zu verstehen. Aber mich hineinversetzen, das funktioniert nicht.“

Sie hat auch schon im Sachbereich für Intensivstraftäter gearbeitet, eine ganz andere Kategorie als das „liebe Völkchen“ der Studenten, mit denen sie es nun hauptsächlich zu tun hat. Aus der Zeit stammt ein Koran, der nun im Regal hinter ihrem Schreibtischstuhl steht. Wenn ein paar der harten Jungs nämlich anfingen zu argumentieren, dies und das sei okay, sei schließlich im Koran geschrieben, dann hat Frau Stephan ihr Exemplar gezückt, geblättert und gefragt: Wo, bitte, soll das genau stehen?

Schließt sie die Tür zum Flur, dann ist es in ihrem Büro gemütlich und ruhig. An der Wand hängen Bilder, die ihr kleiner Sohn für sie gemalt hat, in der Ecke brennt eine Duftkerze, im Hintergrund läuft leise ein Radio.

Ein sehr junger Kameruner setzt sich. Ganz nah zieht er den Stuhl an den Schreibtisch von Frau Stephan heran, so dass er sehen kann, was auf ihrem Bildschirm passiert. Er ist verplant für die kommenden sieben Jahre: Zwei Jahre Sprachkurs, drei Jahre Bachelor-Studium, zwei Jahre Master. Er hält seinen Rucksack fest, während er auf der Kante des Stuhles sitzt, als wolle er schnell wieder weg.

Wer aus einem Land außerhalb Europas kommt und in Deutschland studieren will, der muss ein Sperrkonto mit 7900 Euro vorlegen. Das will der Staat als Sicherheit, als Beweis, dass hier nicht einer kommt, der doch nur Sozialleistungen beansprucht. Für Bürger mancher Länder richten Banken solche Konten nicht gern ein. Es kamen deswegen schon Kunden mit einem Koffer voller Geld in die Behörde, weil sie zeigen wollten, dass alles seine Ordnung hat. Manchmal spart dafür die ganze Familie. Dann sitzt in der Behörde ein junger Kerl, zart und nervös, und in seinem Kopf sitzen noch zig Menschen mehr, die er nicht enttäuschen darf.

Eine halbe Stunde Zeit ist für jeden Kunden eingeplant. Das ist mehr, als ein Arzt durchschnittlich für seine Patienten hat und trotzdem nicht viel, um über ein Leben zu urteilen.

Ein Paar tritt ein, die Übersetzerin mit dabei und einen Brief vom Anwalt. Die beiden sind seit kurzem verheiratet, sie kommt aus Polen und er aus Serbien. Sie hat als Bürgerin aus der EU Freizügigkeit, darf kommen, gehen und arbeiten, wie sie will; er aber hätte gern eine Aufenthaltserlaubnis. Eine Ehe-Erklärung haben sie schon unterschrieben; dass es um Liebe geht und nicht um einen Aufkleber im Pass. Die Übersetzerin steht neben ihnen, Deutsch sprechen sie beide noch nicht.

Frau Stephan tippt und klickt. Das Paar sitzt und schaut. Groß und kräftig sind beide, sie mit Lachfalten und viel schwarzem Kajal, er mit Glatze und einer Lücke zwischen den Schneidezähnen. Sie halten sich an den Händen. Auch sie sind nervös. Wie sieht das Amt, dass man sich liebt? Reicht es, einen Zettel zu unterschreiben? Reicht das Händchenhalten? Reicht der Brief vom Anwalt?

Es gibt die Fälle, in denen die Mitarbeiter die Polizei zu Paaren schicken müssen, von denen sie vermuten, dass die möglicherweise doch keine sind. Weil vorgeschrieben ist, was dort zu finden sein müsste: eindeutige Zeichen nämlich, dass hier zwei Menschen zusammenleben, zwei Zahnbürsten, ein Ehebett, so etwas. Was weiß das Gesetz von der Liebe? Die Ehe, die dem deutschen Grundgesetz, Artikel 6 Absatz 1, „besonderen Schutz“ wert ist, unterliegt besonderer Überprüfung, wenn die Partner Ausländer sind. Der Mann bekommt die Aufenthaltserlaubnis, für fünf Jahre.

Frau Stephan sagt, dass sie sich manchmal einfach auf ihr Bauchgefühl verlassen muss.

„Ich bin nicht für die Gesetzgebung verantwortlich“, sagt Angelika Seiffert-Weiß, die schräg gegenüber in einem anderen Teil des Gebäudes arbeitet. Sie leitet das ziemlich große Sachgebiet Z7, das sich um die Berliner Türken kümmert, die größte Gruppe der Ausländer in der Stadt. In die Kundenbetreuung ist Frau Seiffert-Weiß kaum involviert, sie kümmert sich nur dann, wenn es Probleme gibt, sich jemand ungerecht behandelt fühlt zum Beispiel. Das kommt natürlich vor. Dann klopft es auch an ihrer Tür.

Zwei Männer treten ein, es gibt ein schwerwiegendes Problem. 22 Jahre hat der eine in Deutschland gearbeitet, bis er, in diesem März, seinen Job verlor. Nun möchte er in die Türkei reisen, für sechs Monate. Dafür bräuchte er eine so genannte „Fortbestehensbescheinigung“, damit sein Aufenthaltstitel nicht erlischt, und die gibt es nur mit ausreichend Verdienst pro Monat. Sein Arbeitslosengeld, das er nun bezieht, reicht nicht. Aber ich brauche doch gar nicht so viel Geld, sagt er. Spielt leider keine Rolle. Gibt es denn keine Möglichkeit? Leider nein.

„Das Gesetz ist zu hart“, sagt der Mann, und die Worte stehen zwischen ihm und Frau Seiffert-Weiß in der Luft wie eine unsichtbare Wand. Sie hält das Ausländerrecht in der Hand, sie blättert und überlegt. Hat sie ein Ermessen? Es hilft nichts. Es tut ihr leid.

Als sie sich wieder setzt, sind ihre Wangen gerötet. Die Anliegen ihrer Kunden seien ihr wichtig, sagt sie. „Wirklich wichtig.“ Noch mal mit Nachdruck, den es gar nicht braucht, damit man ihr glaubt. Trotzdem nützt es manchmal nichts.

„Jedes Gesetz ist ein Kompromiss“, sagt Frau Seiffert-Weiß. „So funktioniert Staat.“

Sie hält Kontakt zum Türkischen Bund und der Türkischen Gemeinde in Berlin. Deren Präsident Bekir Yilmaz schätzt das. Man traf sich schon, tauschte sich aus. Mal besuchten Vorstandsmitglieder der Gemeinde die Behörde und hospitierten, dann fuhren Angelika Seiffert-Weiß und Behördenchef Engelhard Mazanke auch in die Räume der Türkischen Gemeinde und beobachteten, wie dort die Sozial- und Rechtsberatung funktioniert.

Yilmaz wünscht sich, dass die Beamten merken, wenn gesetzliche Regelungen eher Probleme verursachen als nutzen; dass sie Ideen sammeln, wie etwas zu ändern sein könnte; dass man gemeinsam Druck macht auf die Politik. „Was heute Gesetzgebung ist, das kann man ja ändern“, sagt er.

Frau Seiffert-Weiß sind die Nöte der Türken bekannt, die der Männer und Frauen zweiter und dritter Generation zum Beispiel, die sich deutsch fühlen und vor dem Gesetz trotzdem Ausländer bleiben. Weil sie den türkischen Pass behalten wollen und zwei nicht haben dürfen. Gesetz.

Sie kennt auch die, bei denen Reden nicht mehr hilft. Schule abgebrochen, Ausbildung abgebrochen – und jetzt? Eine gesetzliche Regelung zu finden, damit auch sie trotzdem bleiben können, das sei manchmal schwierig, sagt Frau Seiffert-Weiß.

Als sie an diesem Morgen zu arbeiten begann, war die Fassade mit roter Farbe bespritzt, die Fenster zum Ufer hin durchschossen. Jemand hatte „Fight Racism“ – „Kampf dem Rassismus“ an eine Wand gesprüht, vermutlich am sehr frühen Morgen. Als der Pförtner um sieben kam, war die Farbe noch feucht.

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