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Sitzblockade gegen die Räumung des linken Szeneladens „Friedel54“ in der Friedelstraße in Neukölln am 29.06.2017 in Berlin.

© Paul Zinken/dpa

Ein Tweet und seine Folgen: Warum „Friedel 54“ gegen die Berliner Polizei klagt

Das Kollektiv des geräumten Neuköllner Kiezladens geht gerichtlich gegen die Polizei vor. Grund ist deren Falschmeldung über einen Türknauf unter Strom.

Am Morgen des 29. Juni 2017 räumt die Berliner Polizei den linken Kiezladen „Friedel 54“ in der Neuköllner Friedelstraße. Um 10.54 Uhr meldet die Polizei unter ihrem offiziellen Twitter-Account „Polizei Berlin Einsatz“, @PolizeiBerlin_E: „Lebensgefahr für unsere Kolleg. Dieser Handknauf in der #Friedel54 wurde unter !Strom! gesetzt. Zum Glück haben wir das vorher geprüft.“ Dazu das Bild eines Treppenabgangs mit Tür, an der ein Türknauf angebracht ist.

Der Tweet der Berliner Polizei.
Der Tweet der Berliner Polizei.

© Polizei Berlin/Twitter

Zwei Vertreter des Kollektivs des geräumten Kiezladens gehen gegen die Social-Media-Arbeit der Berliner Polizei gerichtlich vor. Im Mai 2019 haben sie Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht eingereicht. Sie erwarten, demnächst einen Termin für die mündliche Verhandlung mitgeteilt zu bekommen.

Sie argumentieren, der Tweet habe einen Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit dargestellt, außerdem soll die Polizei damit das Neutralität- und Sachlichkeitsgebot verletzt haben. Der Fall stellt grundsätzliche Fragen an das Verhalten der Polizei bei Twitter.

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Damals, etwas mehr als eine Stunde nach dem Tweet, meldeten sich um 12.04 Uhr die Einsatzkräfte, die bei der Räumung des Kiezladens dabei waren, per Funk: „Hier (Rufname) nochmal Nachfrage bei (Rufname), gemäß (Rufname), es lag kein Strom auf einer Klinke bzw. auf einem Geländer im Objekt, kommen, kein Strom, kommen.“ So steht es in der Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Abgeordneten Anne Helm, Niklas Schrader und Hakan Tas aus dem Juli 2017.

Korrigiert hat die Polizei ihren fehlerhaften Tweet jedoch erst am folgenden Tag. In einem separaten Tweet und einer Polizeimeldung. Da hatte sich der Vorwurf längst verselbstständigt: „Lebensgefährlicher Anschlagsversuch“ berichtete der Radiosender rbb 88.8, „Bild“-Reporter Michael Sauerbier schrieb von einem „Mordversuch“.

Die Polizei postete das Bild eines Treppenabgangs mit Tür, an der ein Türknauf angebracht ist.
Die Polizei postete das Bild eines Treppenabgangs mit Tür, an der ein Türknauf angebracht ist.

© Polizei Berlin/Montage Tsp

Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, sagte dem „Berliner Kurier“: „Wer einen Türknauf unter Strom setzt, spielt ganz bewusst mit dem Leben anderer Menschen.“ Die Korrektur der Falschmeldung fand kaum Beachtung.

Die Vertreter des „Friedel 54“-Kollektivs finden: Nicht nur seien die verbreiteten Informationen falsch. Vielmehr noch: Menschen, die sich den Protesten gegen die Räumung womöglich angeschlossen hätten, seien durch den Tweet demotiviert worden. Denn die Demonstranten hätten nun als Gewaltbereite dagestanden, die auch den Tod von Polizisten in Kauf nehmen würden.

Viel wichtiger sei die Feststellung der Rechtswidrigkeit

Anna Gilsbach, Anwältin des Kollektivs, erklärt auf Nachfrage, einerseits gehe es den Klägern um die Löschung des Tweets. Das ist bereits erfolgt: Als die Klage eingereicht wurde, reagierte die Polizei umgehend und entfernte den Tweet.

Viel wichtiger, sagt Gilsbach, sei aber die Feststellung der Rechtswidrigkeit. Denn das bestreitet die Berliner Polizei. Der Tweet habe die Informationen dargestellt, die zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung über den Einsatz bekannt gewesen seien, teilt ein Sprecher der Berliner Polizei mit.

Doch wenn das Gericht dennoch zu dem Urteil kommt, dass der Tweet rechtswidrig war, könnte diese Entscheidung zu einem Präzedenzfall für ähnliche Fälle werden. Zur Social-Media-Arbeit der Polizei gibt es bislang wenig Rechtsprechung, sagt Gilsbach.

Das bestätigt auch Stefan Jarolimek, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Es gebe zwar erste Gerichtsurteile, an denen sich die Polizei orientieren könne, aber nach wie vor sei vieles nicht geregelt. Die Social-Media-Teams würden sich interne Guidelines erstellen, in einigen Bundesländern gebe es auch besondere Verordnungen der Ministerien. „Das ist also nicht bundesweit gleich“, sagt Jarolimek.

Die Polizei sei ein neutraler staatlicher Akteur und müsse so auch handeln. „Was die Polizei twittert, sollte nicht wertend sein. Anfangs war das ein ganz großer Graubereich und ist es in Teilen auch immer noch“, sagt Jarolimek.

Tweets zu löschen sei ein heikles Thema

Tweets zu löschen sei ein heikles Thema, sagt der Hochschul-Professor. Auch er argumentiert mit der Meinungs- und Informationsfreiheit: Diese sollte auch in Bezug auf die Tweets von staatlichen Akteuren gewahrt bleiben. Außerdem würden die Entscheidungen der Social-Media-Teams „nicht leichtfertig getroffen“, sondern stets nach dem Vier-Augen-Prinzip.

Für Rechtsanwältin Anna Gilsbach bleibt die zentrale Frage: Warum war der Tweet überhaupt nötig? Die Berliner Polizei argumentiert, der Twitterkanal diene der „einsatzbegleitenden Öffentlichkeitsarbeit“, er soll also die Öffentlichkeit über einen laufenden Einsatz transparent informieren.

Wäre von der Tür eine wirkliche Gefahr ausgegangen, hätte die Polizei vielmehr diese Tür bewachen müssen – denn zur Warnung der Bevölkerung oder anderer Beamter taugt Twitter nicht, argumentiert hingegen Gilsbach. Zudem sei unklar, warum die Polizei das Foto des Türknaufs twitterte, als noch gar nicht abschließend geprüft war, ob der Vorwurf stimmt.

Kläger fühlen sich vom Tweet persönlich betroffen

Einer der beiden Kläger war zum Zeitpunkt der Räumung Vorsitzender des Vereins, der den Kiezladen angemietet hatte. Der andere fungierte als Sprecher des Kollektivs. Sie fühlen sich von dem Tweet persönlich betroffen: „Ab dem Zeitpunkt des Tweets drehte sich die gesamte Berichterstattung und öffentliche Debatte nur noch um den Türknauf“, sagt einer der beiden.

Zu diesem Zeitpunkt seien in den sozialen Medien bereits Videos über körperliche Auseinandersetzungen verbreitet worden, Lokalpolitiker kritisierten das harte Vorgehen der Polizei bei der Räumung. „Es war aus meiner Sicht eine bewusste Entscheidung, mit der Korrektur des Tweets einen Tag zu warten“, sagt einer der beiden Kläger. „Zu dem Zeitpunkt kam der Tweet der Polizei zumindest sehr gelegen.“

Es sei nicht der erste Fall fahrlässigen Umgangs der Polizei auf Twitter

Dem „Friedel 54“-Kollektiv geht es auch darum, sich als Gruppe zu rehabilitieren. Es sei nicht der erste Fall, in dem die Polizei auf Twitter fahrlässig mit Informationen umgehe und versuche, die öffentliche Diskussion zu ihren Gunsten zu drehen, sagt einer der beiden Kläger.

Dabei verweist er auf mutmaßliche Falschdarstellungen der Hamburger Polizei bei den G20-Demonstrationen 2017 – und den öffentlich geäußerten Verdacht der Berliner Polizei, bei einer Demonstration in der Rigaer Straße 2016 mit „Säure-Konfetti“ beworfen worden zu sein. Damals verbreitete die Polizei, mit mutmaßlich chemisch behandelten Konfetti beworfen worden zu sein. Später nahm die Polizei diese Aussage zurück, Hinweise auf chemische Substanzen fanden sich nicht.

Schwierigkeit, persönliche Betroffenheit nachzuweisen

Die Schwierigkeit, gegen derartige Äußerungen der Polizei vorzugehen, liege darin, eine persönliche Betroffenheit nachzuweisen, sagt einer der beiden Kläger. Bei Meldungen etwa über eine abstrakte Gruppe von Demonstranten sei diese nicht gegeben.

Beim Fall des „Friedel 54“-Kollektivs sei die Ausgangsposition anders: „Wenn man sieht, wie in den Sozialen Medien, etwa auf Twitter, darauf reagiert wurde, dann sieht man, dass der Tweet genauso verstanden wurde: Menschen, wenn auch nicht alle, glaubten, dass die Leute der Friedel 54 diesen Türknauf unter Strom gesetzt hätten, und dass es denen egal war, damit womöglich Menschen zu verletzen und vielleicht sogar zu töten“, sagt Gilsbach.

Erfolgsaussichten seien unklar

Welche Erfolgsaussichten die Klage hat, ist bislang unklar. Noch prüft das Verwaltungsgericht, ob sie überhaupt zugelassen wird. „Es ist schwierig, aber wir würden nicht klagen, wenn wir keine Hoffnung hätten, erfolgreich zu sein", sagt Anna Gilsbach. Und auch wenn die Klage abgewiesen wird, könne die Begründung des Verwaltungsgerichtes auch interessante Hinweise zur Social-Media-Arbeit der Polizei beinhalten.

„Wenn das Socialmedia-Verhalten der Polizei in den vergangenen Jahren kritisiert wurde, dann werden immer genau zwei Vorfälle genannt – der Türknauf in Berlin und ein angeblicher Molotowcocktail in Hamburg“, sagt Hochschulprofessor Jarolimek. „Wenn das die einzigen beiden Kritikpunkte sind, die in einem doch dynamischen Feld einfach passieren, ist das ein ziemlich gutes Ergebnis. Wir haben bundesweit mittlerweile über 300 Socialmedia-Accounts der Polizei. Und denen stehen zwei Tweets gegenüber.“

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