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Berlin: Ein Wechselbad der Gefühle bei der letzten Sitzung der Legislaturperiode

Scharfer Wahlkampfwind und eine sanfte Brise Abschiedswehmut wehen am Donnerstag durchs Abgeordnetenhaus. Es ist die 68.

Scharfer Wahlkampfwind und eine sanfte Brise Abschiedswehmut wehen am Donnerstag durchs Abgeordnetenhaus. Es ist die 68. und letzte Plenarsitzung dieser Legislaturperiode. Wer weiß, was die Wahl am 10. Oktober bringt. Am 18. November beginnt mit der Konstituierung des neuen Parlaments ein neues Spiel. Viele werden planmäßig oder unverhofft nicht mehr dabei sein. Manche haben eine Träne im Knopfloch, andere finden den Tag "wie immer". Die Abstimmungsmaschine läuft diesmal heiß. 40 oder 50 Dringlichkeiten stehen auf der Tagesordnung der "Abräumsitzung". Selbst routinierte Fraktionsgeschäftsführer verlieren im "leichten Chaos", wie einer sagt, den Überblick. Aber: Was heute nicht beschlossen wird, war umsonst erarbeitet.

Die Koalitionäre von CDU und SPD treten sich unterm Tisch noch ein bisschen gegen die Schienbeine, es ist ja Wahlkampf, und eine harmonische Koalition war es die letzten vier Jahre nicht. Um die Frage wird gepokert, wie man mit dem sogenannten Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses zur Kurdentragödie vor dem israelischen Generalkonsulat umgeht. Die CDU will ihn nicht erörtern, der Innensenator Eckart Werthebach gehört der Union an.

Der Koalition ist rasch noch eine Aktuelle Stunde zur Jugendarbeitslosigkeit eingefallen. Es drängt sie, den Wählern zu sagen, was man trotz der knappen Kassen alles getan hat, um das Problem zu lindern. Alle beklagen sehr lautstark das Dilemma. SPD-Fraktionschef Klaus Böger widmet sich dem Herz bewegenden Thema. CDU-Fraktionsgeschäftsführer Volker Liepelt bringt auch gleich die Zweitwohnungssteuer mit unter, die die SPD der CDU abgerungen hatte.

Selbstverständlich wird vor ziemlich leeren Bänken geredet. Im Kasino erzählt man sich gemütlich alte Geschichten und spricht über neue Perspektiven der Scheidenden. Zu ihnen gehören auch Parlamentspräsident Herwig Haase (CDU) und Vizepräsidentin Marianne Brinckmeier (SPD). Frau Brinckmeier hätte nicht gedacht, dass sie beim freiwilligen Abschied plötzlich die Wehmut überkommt. Sie erinnert sich der Sternstunden und Tragödien im Parlament. 1981 stürzte der Regierende Bürgermeister über vier durchgefallene Senatskandidaten, einer von ihnen war Jürgen Brinckmeier, Frau Brinckmeiers verstorbener Mann. Peter Meyer (SPD) ist garantiert der Einzige in der Koalition, der eine ausgesprochen "glückliche" Wahlperiode hinter sich hat. Er war Vorsitzender der Enquete-Kommission "Zukunft Berlin", und grübelt nun wehmütig, ob es richtig war mit 64 Jahren aufzuhören. Volker Hassemer, ist froh, dass er nach 20 Jahren geht. Er hofft auf eine Verjüngung des Parlaments, denn das sei gut, weil auch die Stadt einen "völlig neuen Charakter" bekommt. Auch Hassemer erzählt von einer Großtat. 1979 hat er als "CDU-Frischling" für das Tausalzverbot auf den Straßen gekämpft. Da war Musik drin. Grüne gab es ja noch nicht im Parlament. Der 76 Jahre alte Senior des Parlaments, Klaus Franke (CDU), tut kund, dass er die "verschworene Gemeinschaft der Haushälter im Hauptausschuss" dessen Vorsitzender er ist, "sehr vermissen" wird. Nur Marion Kittelmann (CDU) ist "wie immer". Sie freut sich darauf, wieder Lehrerin zu sein. Und Ex-Senatorin Sybille Volkholz (Grüne) hört zum Abschied im Plenarsaal zu, als wäre es eine Sitzung wie jede andere.

Natürlich sind die Wahlchancen der Parteien ein Hauptthema der Unterhaltungen. Frau Kittelmann weiß ganz genau, dass die SPD bei einem Wahlergebnis von "unter 20 Prozent" sich nicht wieder in die Große Koalition ziehen lasse. Haase hat in seiner feierlichen Abschiedsrede eingangs der Sitzung auch nicht nur die guten Tage des Hauses in den letzten vier Jahren gewürdigt sondern der SPD mit dem Zaunpfahl gewinkt. Für den Ausblick schlug er bei Otto Suhr, einst Parlamentspräsident und Regierender nach und wurde mit einem Zitat von 1951 fündig. Präsident Suhr damals: "Möge es dem Abgeordnetenhaus beschieden sein, seine schöpferische Kraft bei der ersten, schwierigsten und vornehmsten Aufgabe zu beweisen; eine handlungsfähige, zielbewusste Regierung zu bilden, die der schwierigen Aufgabe Berlins in dieser Zeit und dem Willen der Bevölkerung von Berlin gerecht wird."

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