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Einbrecher im Berliner Umland: Gestohlene Sorglosigkeit

Nach dem ersten Schock musste sie putzen, das Geländer, jeden Türgriff, die Schränke. Als die Diebe in das Haus der Familie Jäger in Teltow einbrachen, stahlen sie Laptops, Schmuck, Geld, sogar die Spardosen der Kinder ließen sie mitgehen. Aber sie stahlen noch viel mehr als Wertgegenstände.

Klingeln. Zuerst einmal klingeln. Jeden Tag nach der Arbeit steht Martina Jäger vor ihrem ockergelben Haus in der Spielstraße in Teltow und drückt auf den Knopf neben der Tür. Sie klingelt, klappert am Briefkasten und wirft einen vorsichtigen Blick durch das milchige Fenster hinein in den weiten Flur. Sie sucht nach dunklen Schatten, nach Einbrechern auf der Flucht. „Haut ab, haut einfach ab“, denkt Martina Jäger, während sie da steht, Lärm veranstaltet und sich über sich selber wundert. „Ich bin doch eine intelligente Frau. Ich bin doch nicht verrückt.“ Doch seit diesem Tag Ende Februar fühle sie sich „so hilflos, so ausgeliefert“. Erst wenn die 43-Jährige sich ganz sicher ist, dass da niemand ist, schiebt sie den Schlüssel ins Schloss.

Vier Wochen ist es her, dass die Einbrecher kamen. Am helllichten Tag. Die Kinder waren in der Schule, die Eltern bei der Arbeit. Die Diebe haben mitgenommen, was sie schnappen konnten: Schmuck, Uhren, einen Laptop, Spardosen der Kinder, griechische Drachmen, ein paar alte Medaillen. Die Täter, oft organisiert in Banden, sagt die Polizei, haben es auf die idyllischen Einfamilienhäuser und ruhig gelegenen Wohnungen im Berliner Umland abgesehen. Sie hebeln Terrassentüren auf, schmeißen Fensterscheiben ein und sind schneller weg, als die Polizei kommen kann.

Seit dem Jahr 2008 ist die Zahl der Einbrüche hier rasant gestiegen, allein im vergangenen Jahr um 17 Prozent. Im Berliner Umland, wo 42 Prozent der Brandenburger leben, gab es im Jahr 2012 fast 3000 Einbrüche, das ist mehr als die Hälfte aller Fälle im gesamten Land Brandenburg. Kommunen wie Teltow, Kleinmachnow oder Stahnsdorf im Süden Berlins sind bei Dieben besonders beliebt. Viele einzelne Häuser, die meisten neu gebaut, nicht jeder kennt die Nachbarn. Es ist eine Einladung an die Diebe.

„Am Anfang war ich ein Nervenbündel“, sagt Martina Jäger und steckt sich ihre eckige Lesebrille auf den Kopf. „Ich habe doch so etwas noch nie erlebt“, sagt sie und streicht ihren dunkelblauen Blazer glatt. Erst einmal ausatmen, tief ausatmen. Die Diebe haben das Familienleben zwischen modernen Landhausstilmöbeln, Leuchtturmbildchen am Kühlschrank, den sorgsam ausgerichteten Kerzenständern auf dem Esstisch und den Hausaufgaben des Sohnes, dem Abiturstress der Tochter, den Dienstreisen des Mannes auf den Kopf gestellt. Die Verwaltungsangestellte der Bundeswehr muss verarbeiten, was so viele Familien in der Region verarbeiten müssen: Sie wurden ihres Gefühls von Sicherheit und Geborgenheit in den eigenen vier Wänden beraubt.

„Man steht da wie ein begossener Pudel“, sagt Martina Jäger in ihrer Hilflosigkeit und wirft ihrem Mann Manfred einen langen Blick zu. „Das Böse ist immer und überall“, sagt der Berufssoldat und als würde er sich selbst ermahnen, setzt er hinterher: „Positiv denken!“ Anders könne man nicht durchs Leben gehen, sagt Manfred Jäger und streicht mit der Hand über einen roten Aktenordner. Er ist nagelneu und doch schon halb voll. Papiere, Unterlagen, Briefwechsel mit der Versicherung. Der Einbruch ist abgeheftet. Eingesperrt zwischen zwei roten Pappdeckeln.

Nachbarn sind noch immer die beste Alarmanlage

Es war am Morgen gegen neun Uhr. Regen fiel an auf die grauen Pflastersteine vor dem Haus. Einen Zaun haben die Jägers nicht. Nur ein paar Buchsbäumchen. Martina Jäger ist im Norden aufgewachsen, sagt sie. Einen Zaun will sie nicht. „Das ist nicht mein Naturell“, das Haus soll offen sein. Aber doch nicht für alle.

Die Einbrecher klingeln. Niemand ist da. Nur einem Nachbarn fällt das Trio auf, er sieht wie einer von ihnen hinter dem Haus verschwindet. Im Schlafzimmer war der Dieb zuerst. Er hat das Fenster aufgebrochen. Das Metall im Rahmen verbogen, die Scheibe zerstört. Die kleinen feinen Splitter flogen durch den weiß tapezierten Raum, verteilten sich auf dem weißen Bett, den weißen Nachttischen. Die Ermittler vermuten, dass der Dieb als Erstes am weißen Kleiderschrank vorbeiging, auf die weiße Kommode zu und dort ein schwarzes Schmuckkästchen aus Leder in eine seiner Einkaufstüten steckte.

Einkaufstüten, sagt Martina Jäger und schüttelt ihren Kopf. Wie bei einem Ausverkauf. Dass sie das Schmuckkästchen gefunden hatten, war das Schlimmste, sagt sie. „Das tat mir richtig weh.“ Zwischen den Ringen und Ketten lagen dort drin die Milchzähne der Kinder und die kleinen Armreifen, die sie als Baby nach der Geburt am Handgelenk trugen. Unersetzbar.

Der Dieb räumte den Kleiderschrank aus. Nicht heimlich, so wie einige Kinder nach Weihnachtsgeschenken suchen, sondern brachial, sagt Martina Jäger. Den Arm rein und alles raus. Raus auf den Boden. Dann ging der Räuber nach oben in die Kinderzimmer. „So gehen sie immer vor, hat die Polizei gesagt.“ Von oben nach unten durchsuchen die Täter das Haus. Alles was irgendwie wertvoll aussieht, leicht zu transportieren ist, landet in den Beuteln. Nicht jedoch die nagelneue Playstation. Warum, das versteht auch Martina Jäger nicht.

„Sie können in das Haus bauen, was sie wollen, die beste Alarmanlage bleiben die Nachbarn“, sagt Axel Sander, Chef der Polizeiwache in Teltow. Der Mann von gegenüber habe seinen Mut zusammengenommen, erst die Polizei angerufen und die drei Männer dann vor Jägers Haustür angesprochen. Vor Schreck ließen sie den gerade gestohlenen Laptop fallen, rannten zu ihrem Auto. Da waren Sanders Kollegen schon unterwegs. Ein paar Straßenecken weiter konnten sie die drei Georgier, 35, 38 und 42 Jahre alt, stoppen. In ihrem Wagen fanden sie die die Einkaufstüten, den Schmuck und das Werkzeug, das Trio wurde am nächsten Tag dem Richter vorgeführt, der machte kurzen Prozess: Freiheitsstrafen von jeweils zehn Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Trotzdem bleiben die Täter in Haft: Auch im benachbarten Berlin steht das Trio unter dringendem Tatverdacht. „So ein Fall ist wie Weihnachten für uns, das haben wir nicht so oft“, sagt Sanders.

Vier Wochen danach ist der Polizist mit den kurzen Stoppelhaaren wieder bei Familie Jäger zu Gast. Gemeinsam mit der Präventionsexpertin, Kriminalhauptkommissarin Renate Michael, laufen sie durch das Haus. Klopfen an das Mauerwerk neben Türen und Fenstern, sprechen über Teleskopbolzen, Alarmanlagen und Strahler, deren Schein so hell ist, das man Sonnencreme bräuchte. Kommissarin Michael setzt auf Mechanik. Drei Minuten, sagt sie, betrage das Zeitfenster, das bleibt, bis Diebe nervös werden, wenn sie immer noch nicht im Haus sind. „Wenn sie aber erst drin sind, ist alles vorbei.“ Dann nutze auch keine Alarmanlage.

Die beiden Polizisten wissen, was die Jägers durchmachen. Sie sind selbst schon Einbruchsopfer gewesen, erzählen sie am Esstisch. Sie haben die Scherben in der Wohnung zusammengefegt, Bolzen an Fenster montiert, Ketten vor der Tür. „Meine kleine Tochter öffnet niemandem mehr ungefragt“, sagt Sander. Bei ihm kamen die Diebe, als die Familie schlief. Martina Jäger zuckt zusammen.

Schlaf. Seit die Diebe im Haus waren, schläft sie schlecht, schreckt beim kleinsten Geräusch in der Nacht auf. Hat Alpträume, sieht sich blutverschmiert die Treppe hinunterlaufen. Warum gerade wir? Kommen sie noch einmal zurück? Was wäre gewesen, wäre die Tochter früher nach Hause gekommen? Die Schule war ausgefallen, nur der Regen hielt sie davon ab, direkt nach Hause zu kommen. Martina Jäger glaubt mit einem Mal an Schutzengel.

Noch am Abend nach dem Einbruch hat sie sich einen Putzlappen geschnappt. Treppengeländer, Türgriffe, Schränke. Alles was die Diebe angefasst haben, überall wo sie waren, musste Martina Jäger putzen, wischen, den Ekel bekämpfen. Muss das jetzt sein, habe ihr Mann gefragt. Es musste. „Die waren überall, das wollte ich nicht.“

Die Schwelle, psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen, ist hoch

Das Haus zu putzen, von oben bis unten, das machen fast alle Einbruchsopfer, sagt Psychologin Rosmarie Priet von der Opferberatungsstelle Brandenburg in Potsdam. „Es ist das Gefühl, beschmutzt worden zu sein.“ Die Täter haben eine Intimgrenze überschritten, das spürten viele Einbruchsopfer fast körperlich, obwohl sie sie nie zu Gesicht bekamen. Der Ekel und die Angst setzten eine Spirale in Gang, plötzlich kommen all die quälenden Fragen. Je länger sie die Opfer quälten, desto wichtiger sei die psychologische Hilfe. Je früher desto besser.

„Es ist nicht einmal der materielle Verlust, viele Einbruchsopfer leiden besonders unter den seelischen Folgen“, sagt Priet. Die Psychologin kennt die Einbruchsgeschichten aus dem Umland. Die Geschichten von den Einbrechern, die kommen, wenn niemand zu Hause ist, die kommen, während die Familie schläft und auch die Geschichte einer alleinstehenden Frau, die von den Dieben unter der Dusche überrascht und niedergeschlagen wurde. Ein traumatisches Erlebnis. „Man fühlt sich zu Hause immer sicher und geschützt und plötzlich ist das Gefühl weg.“

Doch für viele sei die Schwelle unheimlich hoch, nach einem Einbruch psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen. Auch die Jägers haben sie bis heute nicht überwunden. „Natürlich ist man nicht verrückt, wenn man zu uns kommt“, sagt Priet, trotzdem denken das die Opfer. Aber auch Polizisten, Angehörige oder Nachbarn wischen die Bedenken oft zu schnell beiseite. Aber das hilft nicht. Albträume, Schlaflosigkeit, ständige Wachsamkeit, das sind die versteckten psychologischen Folgen eines Einbruchs. „Viele Opfer glauben, dass sie selbst damit fertig werden müssen.“ Aber die Zeit heile nicht alle Wunden.

„Das Wichtigste ist, anzuerkennen, dass der Einbruch ein Einschnitt ist.“ Sich zu zwingen, als wäre nichts gewesen, sei falsch. Die Menschen bräuchten Zeit, Abstand, Erholung und müssen mit anderen darüber sprechen. „Einige fahren Rad, andere buddeln ihren gesamten Garten um“, sagt Priet. Und wieder andere schließen sich ein, kapseln sich ab oder sind so sehr von der Angst verfolgt, dass sie wegziehen müssen.

Martina Jäger kann noch nicht wieder alleine schlafen. Ihr Mann ist regelmäßig auf Dienstreise. Früher genoss sie die Zeit, die sie ganz für sich hatte. Nach dem Einbruch holte sie sich ihre Kinder ins Bett. „Ich wollte nicht alleine schlafen.“

Im Internet haben die Jägers nach Alarmanlagen gesucht, haben sich ein Angebot machen lassen. Magnetsensoren an den Fenstern, Bewegungsmelder im Flur, ein Alarmknopf neben dem Bett. „Ich will aber nicht, dass unser Haus eine Festung wird“, sagt Martina Jäger und blickt ihren Mann an. Der nickt. Das Paar redet viel über den Einbruch. Sie lachen auch dabei. Aber nicht immer. Fort Knox. Panikräume. Begriffe, die immer wieder am Esstisch fallen. „Mit einer Alarmanlage könntest du das Haus wieder mit einem Lächeln auf dem Gesicht verlassen“, sagt Manfred Jäger. Doch seine Frau lächelt nicht.

„Irgendwie muss man auch noch leben“, sagt Manfred Jäger dann. Die Nummer der Teltower Polizeiwache haben sie im Telefon gespeichert. Bald werden Manfred und Martina Jäger einen Kurzurlaub machen. Der war schon lange geplant. Doch das Haus bleibt nicht allein. „Die nächste Bande sitzt um die Ecke und wartet“, sagt Martina Jäger. Es wird ruhig am Tisch. Sie haben die Nachbarn kennengelernt, ihre Nummern ausgetauscht. Alles für den Notfall.

Das Diebesgut, die Milchzähne und Armbänder, sind schon längst wieder zurück im schwarzen Lederkästchen. Nur eine goldene Münze fehlt noch, sagt Manfred Jäger. 30 Jahre Bundeswehr, ein Geschenk der Eltern. Sie ist einfach verschwunden, vermutlich haben sie die Diebe bei der Flucht verloren. Nicht so wichtig. „Dafür sitzen die jetzt in Moabit ein“, sagt Martina Jäger.

Diese Reportage erschien auf der Dritten Seite.

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